Gesichtet

Der linke Konservatismus Amerikas

Vor einigen Tagen empfingen wir als Gast einen achtbaren Geschichtsprofessor aus Tokio, der den Her- und Fortgang der „amerikanischen konservativen Bewegung“ in Vorbereitung für ein geplantes Buch erforscht.

Beinahe zufällig ereignete sich seine Aufwartung. Nach einer ersten Lageeinschätzung gelangte ich zum Schluss, dass die von amerikanischen Stiftungen und Hiro Aida übermittelte Auflistung der von ihm aufzusuchenden „Bezugspersonen“ meinen Namen unerwähnt ließ. Seit Jahrzehnten bin ich mit dem Bann des konservativen Kaiserreichs belegt. In den 1980er Jahren nahm ich mir heraus, über die neokonservative Beschlagnahme der „ehrbaren Rechten“ zuviel Lärm zu machen. Infolgedessen wurde ich nicht nur von der Zunft ausgewiesen, sondern auch durch die „konservative“ Presse heruntergemacht.

Säuberungsaktionen der konservativen Bewegung

Meinen japanischen Gast machte ich darauf aufmerksam, dass die betreffende Bewegung  Säuberungsaktionen wie am laufenden Band vornimmt. Diese Aktionen, die schon seit Generationen stattfinden, sind darauf gezielt, zwischen der vorwärtstreibenden Linken und der hinterherlaufenden Scheinrechten die Lücke zu verengen. Indem mein Gast meine Schriften darüber nachlas, wurde er von meiner Feststellung kaum verblüfft. Er meldete sich elektronisch an und erbat einen Besuch während seines Aufenthaltes, damit er seine Forschungsarbeit mit einem „schwer verletzten Fachkenner“ ausdiskutieren konnte.

Es traf sich, dass er schon in Tokio etliche Bücher von mir las. Da wurde es ihm bewusst, dass mein Konservatismus-Begriff keineswegs verstiegen war und er mit dem, was in Japan als „konservativ“ verstanden wird, völlig übereinstimmt. Der amerikanische Konservatismus dagegen zeigt wenige Schnittmengen mit seinem Verständnis dieser Stellung. Diese Unregelmäßigkeit führt mein Gast auf den Sachverhalt zurück, dass die einflußreichen Intellektuellen in den USA schon im letzten Jahrhundert den menschlichen Fortschritt und die zugespitzte Moderne für sich als alternativlos anerkannten. Ohne eine richtige Einschätzung der Vormoderne, die hierzulande als bloße Randerscheinung auftrat, kann man sich jedoch keine Vorstellung von einer wahrhaftig „konservativen Alternative“ machen.

Die Amerikanisierung vergiftet auch den Konservatismus

Der japanische Professor wies auf die Landesherren der amerikanischen Südstaaten vor dem Sezessionskrieg und auf die schon verkommenen Patrizierfamilien aus Neuengland als Ausnahmen hin, die die Regel bestätigten. Dann betonte er, dass „die Spuren jedweder vormodernen Gesellschaft in diesen Örtlichkeiten schon verlaufen sind“. Dazu merkte ich an, unsere „gemäßigte“ Rechtsopposition haue auf den Putz mit ihren scheinkonservativen Erfindungen und überführe ihre aus einem linken Glauben zusammengeflickte Ideologie auf unterwürfige Staaten wie Deutschland oder auf Regierungen, die von der amerikanischen Leitkultur geprägt sind.

Eine Bewegung, so mein Gast, die mit linken Stichworten wie „Menschenrechten“  oder einer „vielfältigen Gesellschaft“ jongliere, gebrauche aber den „Konservatismus-Begriff“ fälschlicherweise. Mein Gast wollte zudem wissen, was andere bedingende Faktoren zur gegenwärtigen Ausprägung des amerikanischen Konservatismus beitrugen. Ausschlaggebend für die betreffende Bewegung war ihre weltanschauliche und gefühlsmäßige Verankerung im Kalten Krieg, wodurch sie strikt antikommunistisch wurde. Wenngleich sie andere Zielvorgaben nebenbei ergriff, rangierte der Widerstand gegen die Sowjetunion an erster Stelle bei den amerikanischen Konservativen von den 1950ern ab bis zum Sturz der sowjetischen Diktatur.

Zusammenarbeit der konservativen Antikommunisten mit der Mitte und den Linken

Führende Persönlichkeit wie der Journalist William F. Buckley waren gewillt, ihre antikommunistischen Steckenpferde neben anderen Themen, wie der Verteidigung des Kapitalismus und einer weniger interventionistischen Staatsregierung, pflegen zu müssen. Doch diese anderen Anliegen erwiesen sich leider als nebensächlich oder entbehrlich verglichen mit dem Antikommunismus-Leitmotiv. An Buckleys Seite befanden sich zwar strenggläubige Katholiken, Kritiker der von links gesteuerten Wohlfahrtsregierung und vereinzelte Agrarians aus den Südstaaten, die die „entgrenzte Technik“ bedauerten. Voraussetzung für ihre Mitwirkung war aber, dass sie die antikommunistische Hauptrichtung bejahten.

All dies veränderte sich mit einem Knall, als es einleuchtete, dass Antikommunismus und Traditionalismus nicht mehr das einzige für Buckleys Sache geeignete Gespann darstellten. Er und sein Innenkreis schmiedeten einen Bund mit linken Antikommunisten und solchen aus der Mitte. Die Gruppe bestand zumeist aus jüdischen Journalisten, die sich gegen die Sowjets wandten, da sie es ablehnten, als jüdische Bittsteller nach Israel auszuwandern. Außerdem existierten in Hülle und Fülle  sozialdemokratische und trotzkistische Kontrahenten des sowjetischen Kommunismus, denen eine glühende Wut verblieb, dass die Sowjets die Linke „verraten“ hatten.

Links-konservativer Sonderweg

Dieser Kreis war Buckley keineswegs fremd. Die Weichen stellend, schaltete er so im Nachhinein scharf links um. Kaum überraschend war es, dass die Seiten seiner Publikation und die Gespräche seiner themenverwandten Fernsehvorstellungen diesen konservativen Sonderweg zunehmend widerspiegelten. Denjenigen, die den neuen Kurs nicht mitmachen wollten oder konnten, kündigte die im Wechsel stehende Bewegung ihre Stellen oder Beitragseinladungen. Buckley und seine Unterstützer hielten derweil über die Abweichler ein Scherbengericht ab.

Warum ist dieser Rückblick nun bedeutend für das Verständnis der Gegenwart? Die gefügige Basis der konservativen Bewegung denkt auch heute parteilinienmäßig. Daher hat sie selten beachtet, dass ihre Führung fast auf der ganzen Linie nach links ausschwenkte. Für die treuergebene Gefolgschaft bis zum Aus des Kalten Krieges galt die Beständigkeit der antikommunistischen Orientierung, egal in welchem Format sie eingekleidet war.

Konservative gegen Trump

Zu Beginn des Kalten Kriegs wurde der Kampf für die christliche Zivilisation gegen die kommunistische Barbarei zum konservativen Schlachtruf aufgestylt. Gegen Ende dieser langwierigen Streitigkeiten rang man um eine weltdemokratische Ordnung, die auf dem angeblichen amerikanischen Gründungsideal der menschlichen Gleichheit fusste. Im Vorfeld der jüngsten Präsidentenwahl bezogen jene Konservativen, die in dieser Tradition stehen, Stellung gegen Trump.

Ich befürchtete nun, dass ich mit diesen Erklärungen meinem japanischen Gast den Besuch verdorben haben könnte. Doch Fehlanzeige! Er lächelte mir zu, als meine Erzählung ausklang, und brachte gelassen vor, „das habe ich schon alles geahnt“.

(Bild: William F. Buckley, Jr., gemeinfrei)

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