Gesichtet

Der zweifelhafte Segen des Tourismus

In einem ausgesprochenen Urlaubsland, wie es Spanien ist, zu leben, hat den Vorteil, den Tourismus in allen nur erdenklichen Formen zu Gesicht zu bekommen.

Auch bekommt man Gelegenheit, zu verstehen, was es mit der Bedeutung „Urlaubsland“ auf sich hat. Wenn aus „meinem Land Spanien“ ein  stereotypes „Land für Urlauber“ gemacht wird, so ist das noch ein halbwegs zu verschmerzendes Übel. Jede Stereotypisierung ist nämlich, bis zu einem gewissen Grad wenigstens, völlig normal. Bei „Holland“, „Tschechien“, „Kuba“ und „Thailand“ denkt man sich deshalb auch etwas Entsprechendes dabei, meistens zu Recht. Auch sind die allerwenigsten Leute wirklich schuld an dem Bild, welches sie von einem Land besitzen. Wenn nun etwa mein Land Spanien mit „Sonne“, „Strand“, „Paella“, „Sangria“ sowie „brünetten flamencotanzenden Kastagnettenseñoritas in andalusischer Zigeunertracht“ gleichgesetzt wird, so ist daran hauptsächlich die spanische Tourismusindustrie und, mit ihr, Spanien selbst schuld.

„Ködern“ ist das vornehmliche Mittel der Touristenwerbung

Wenn überhaupt irgendwo im Leben, so geht es gerade beim Tourismus knallhart um Angebot und Nachfrage. Hier ist elementar, dass der Tourist seinerseits etwas geboten haben möchte, wie es ebenfalls elementar ist, dass ihm von Seiten der Tourismusbranche ein Vorausgeschmack auf die ihm versprochenen Genüsse und Erlebnisse gegeben wird. Allein bei der Vorstellung soll ihm das Wasser im Munde zusammen laufen. Tourismus fängt deshalb schon daheim an, mit Appetithäppchen bzw. Leckerli, die allesamt Köder sind.

Die rhetorische Frage der Reisebüros „Lust auf…?“ soll deshalb auch der Vergewisserung dienen, ob man bereits „auf den Geschmack“ gekommen, d.h. bereits geködert ist. Ködern gehört zur Branche wie die Butter aufs Brot. In Bezug auf das „klassische“ Urlaubsland Spanien nimmt sich der Köder –  für Deutsche wohlgemerkt! – offiziell so aus: „Spanien hat alles, was Sie sich wünschen, Spanien hat alles, was Sie brauchen“. Der faden Floskel liegt eindeutig das stereotype (!) Bild vom deutschen Langweiler zugrunde. Eine dem Gegenstand „Tourismus“ angemessenere Formel bietet allein das Original: „Was du willst, ist Spanien, was du brauchst, ist Spanien“ – das bedarf keines weiteren Kommentars mehr.

Dumme Durchschnittstouristen und verunglimpfte Urlaubsländer

Wie jede Werbung, so verkauft erwiesenermaßen auch die der Tourismusindustrie die Menschen für dumm. Grundsätzlich. Die Dummheit der Werbung selbst kommt dabei nicht von ungefähr, sie hat den Durchschnittstouristen scharf im Visier. Dass dabei Werbung auf klassen- bzw. statusbedingte Eitelkeiten und Selbstbilder von Einzelnen oder Zielgruppen eingehen kann, fällt im Endergebnis nicht ins Gewicht. Soll sie effektiv sein, muss über einen Kamm geschoren werden.

So kommen wir unausweichlich und immer wieder zum statistischen, knapp unter Mitte liegenden Durchschnittstouristen. Wenn dieser zweckmäßig als genuß- und erlebnissüchtiges und dazu noch dummes Mängel- und Bedürfniswesen aufgefasst wird, so ist damit der Gipfel der werbebedingten Unverschämtheit noch nicht erreicht. Erreicht wird er gegenüber den Urlaubsländern, die in dieser ihrer Eigenschaft, eben Urlaubsländer zu sein, gänzlich vermarktet werden. Die spanische Wirtschaft z.B., deren Standbein selbstredend die Tourismusindustrie ist, hat mit ihrer 2013 gestarteten, genauso großen wie unschönen Werbekampagne „Qualitätsmarke Spanien“ (Marca España) – ein schlecht gebildetes Pendant zum „deutschen“ Made in Germany übrigens – der merkantilen Entwürdigung und Schändung des Landes die Krone aufgesetzt.

Und tatsächlich ist der Tourismus volkswirtschaftliches Standbein Nummer eins unter den Bedingungen der modernen Zivilisation – d.h. unserer technologisch-ökonomisch-szientistischen Verkehrswelt – die primitivste und auch verdienstloseste Wirtschaftsform, die man sich denken kann: sozialökonomisch, also ohne ihn irgendwie ethisch qualifizieren bzw. disqualifizieren zu wollen, steht er genau zwischen Parasitismus und Prostitution.

Böses Wirtschaftswunder Selbstschmarotzertum

Ein gelungenes Urlaubsland, wie es Spanien ist, hat es immer noch zu einer perfekten Synthese von Parasitismus und Prostitution gebracht. Es wird nämlich nicht sofort gelebt vom fremden Devisenbringer, dazu bedarf es erst eines voll ausgebildeten Selbstschmarotzertums, d.h. eines Schmarotzertums an Eigenem. Zu diesem „Eigenen“ gehören alle diejenigen „Ressourcen“, die sich von der landesspezifischen Natur und Kultur ableiten: Geschichte, Denkmäler, Brauchtum genauso wie Landschaft, Klima und Volkscharakter. Sind diese als wirtschaftliche Heimvorteile der Vermarktung fähig, werden sie auch vermarktet ohne Umschweife. Es lässt sich nämlich hervorragend von ihnen leben, wobei „von ihnen“ eigentlich „auf ihre Kosten“ bedeutet.  Diese Perversion eines rein wirtschaftlichen Daseins ist unrühmlich zu nennen, vor allem, wenn es das Dasein der Nachfahren eines einstmals großen Volkes ist.

Von toten Helden und unwürdigen Nachfahren

Das Verhältnis ist hier das des Helden zu seinem unwürdigen Nachfahren, wobei unter „Held“ immer die Personifikation von Geschichte, Volkstum und Kultur verstanden werden soll. Bei Lebzeiten hätte der Helden beim Gedanke, sein Erbe könnte eines Tages als Gewürm von seinem Leichnam zehren, Kummer empfunden. Nun, da er tot, begraben und vergessen liegt, würde er, so er könnte, sich wie ein Brummkreisel ruhe- und pausenlos im Grabe umdrehen. Sein quicklebendiger Nachfahr hingegen ist unbekümmert. Er dankt ihm sogar noch die reiche Hinterlassenschaft, nur nicht eben dadurch, dass er sein Andenken etwa in Ehren hielte oder sich sonst wie als des Erbes für würdig erwiesen hätte.

Ohne den großen Vorfahr – d.h. seine eigene Geschichte, Volkstum und Kultur – wirklich zu kennen, ist er unfähig, Scham ob seines unrühmlichen, rein wirtschaftlichen Daseins zu empfinden. Die Annehmlichkeiten und Vorteile seiner jetzigen Existenz und Rolle, der mehr oder weniger (frei)willige und effiziente Dienstleister am erholungsbedürftigen, „fun“-benötigenden und, vor allem, zahlungskräftigen Rest der Welt, zu sein, die kennt, empfindet und genießt er hingegen zu genüge. Damit ist der Beweis erbracht, dass der volksumgreifenden Entartung zum Selbstschmarotzertum eine nationalhistorische Selbstentfremdung, ein regelrechter Kulturbruch vorausgegangen sein muss.

Die Bevölkerung eines Urlaubslandes kann zwar schlechterdings „fremd im eigenen Land“ sein – sie hat ja keines! Denn, wem gehört „Urlaubsland“, wenn nicht dem Urlaub und, mit ihm, den Urlaubern? Als geschichtliche Volkheit ist die Bevölkerung eines Urlaubslandes jedoch nicht mehr vorzufinden, sie ist sich selbst fremd und, infolgedessen, zerfallen und unwirklich. Und auch hier bildet Spanien ein sehr anschauliches Beispiel. Nur nicht für den Urlauber und auch nicht für den „normalen“ Durchschnittsspanier.

Bild: Sevilla, Plaza de España, von: Luc Mercelis, flickr, CC BY-NC-ND 2.0

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