Gesichtet

Eine Erblast: Die Koreafrage

Das Problem Nordkorea wurde über Jahrzehnte weiter der Zukunft zugeschoben. Wie lange kann das so weiter gehen?

Im Rückblick wünscht man sich in Washington vermutlich, man hätte mit Nordkorea kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhanges aufgeräumt. Doch Nordkorea ist kein bevorzugter Kriegsschauplatz der amerikanischen Geopolitik. Verständlicherweise: Das bestmögliche Ergebnis einer Beseitigung des Kim-Regimes wäre die Vereinigung Nordkoreas mit dem Südteil des Landes. Aus amerikanischer Sicht wäre das jedoch eine kaum bedeutsame Positionsverbesserung gegenüber China und Rußland.

Kein Vergleich mit den möglichen Gewinnen bei der Zerschlagung Jugoslawiens oder Regimewechseln im Mittleren Osten. Vor allem aber hat man immer gehofft, daß der surreale Staat von selbst zusammenbräche, bevor er eine ernsthafte Bedrohung darstellen würde.

Das nordkoreanische Nuklearprogramm wurde jahrzehntelang geduldet

Nur so läßt sich erklären, daß Washington sich von dem kommunistischen Zwerg auf der Nase herumtanzen ließ. Die diplomatische Farce um das nordkoreanische Nuklearprogramm geht nun ins dritte Jahrzehnt. Bereits 1994 wurde unter der symbolischen Ägide des Ex-Präsidenten Jimmy Carter ein Abkommen unterzeichnet, das Pjöngjang zwei Leichtwasserreaktoren und 5 Milliarden Dollar gegen das Versprechen einbrachte, sein Nuklearwaffenprogramm einzustellen.

Der Deal hielt nicht lange. Nordkorea nahm sein Nuklearprogramm bald wieder auf. 2003 kündigte es dann offiziell den Kernwaffensperrvertrag und 2006 explodierte allen roten Linien zum Trotz die erste Testbombe. Das diplomatische Tauziehen um das nordkoreanische Kernwaffenprogramm lief nach diesem Muster weiter und wird in jüngerer Zeit immer häufiger von wüsten Drohungen der nordkoreanischen Regierung gegen ihre Nachbarn begleitet.

Immer neue Provokationen in immer schnellerer Abfolge

Glücklicherweise reicht es noch nicht eine Masse angereichertes Uran zur Explosion bringen zu können, um eine einsatzfähige Atomstreitmacht aufzubauen. Man braucht auch geeignete Trägersysteme und muß einen Sprengkopf genügend miniaturisieren können, daß er von diesen auch befördert werden kann. Das Nordkorea über funktionsfähige Mittelstreckenraketen verfügt, ist jedoch unbestreitbar, trotz der jüngsten Panne. Geeignete Sprengköpfe will Nordkorea nach eigenen Angaben seit Mai 2015 auch besitzen.

Wie weit das nordkoreanische Atomprogramm aber tatsächlich ist, ist für die Öffentlichkeit nicht zu ersehen. Sicher ist nur, daß Nordkorea die Frequenz seiner Atomwaffen-, wie Raketentests immer weiter erhöht. Im vergangenen Jahr zündete das Land zwei Sprengköpfe und testete im Schnitt alle zwei Wochen eine Rakete. Man kann nur hoffen, daß die Geheimdienste der mit diesem Problem befaßten Staaten über mehr Informationen aus dem hermetisch abgeriegelten Land verfügen. Unzweifelhaft ist jedoch, daß Nordkorea sich mit schnellen Schritten auf dem Weg zur vollwertigen Atommacht befindet. Bis jetzt sind alle diplomatischen Bemühungen gescheitert, dies zu verhindern.

Was bedeutet ein nukleares Nordkorea?

Man könnte sich freilich auf den Standpunkt stellen, daß das kein Schaden sei. Wer nicht unbedingt auf einen Regimewechsel aus sei, der habe doch von einem nuklear gerüsteten Nordkorea nichts zu befürchten. Nur handelt es sich bei Nordkorea eben nicht um den Iran oder auch nur Pakistan. Nordkorea ist ein international isoliertes, wirtschaftlich ruiniertes Land, dessen Regierung sich nur durch beständiges Säbelrasseln gegenüber den Nachbarn im Sattel zu halten sucht.

Dabei bleibt es auch nicht bei verbalen Ausfällen. Auch Kampfhandlungen an der Grenze gehören zum Repertoire. Daß eine vorgelagerte südkoreanische Insel unter schwerem Artilleriefeuer liegt, wie Yeonpyeong am 23. November 2010, weil Nordkorea sich durch eine militärische Übung der südkoreanischen Armee provoziert fühlt, gehört zwar zu den weniger alltäglichen Aggressionen, kommt aber vor. Erst 2015 schoß Nordkorea eine Rakete über die Grenze, weil auf südkoreanischer Seite Lautsprecher Propaganda gegen die nordkoreanische Regierung von sich gaben.

Es ist zwar sehr unwahrscheinlich, daß Kim Jong-Un mit derselben Bedenkenlosigkeit einen Atomschlag anordnen würde, doch daß die Bombe für Nordkorea ein weiteres Erpressungsmittel darstellt, steht außer Frage. Vor allem wäre die Koreafrage mit einem nuklear abgesicherten Nordkorea kaum lösbar. Spätestens wenn der Norden einmal vor dem inneren Zusammenbruch steht, wäre der Staat ein unkalkulierbarer Risikofaktor.

Alle sind sich einig, fast

Daß Nordkorea keine vollwertige Atommacht werden darf, darüber sind sich denn auch die Amerikaner mit den Chinesen und Russen einig. Gerade die Chinesen rücken seit Jahren immer weiter von ihrem einstigen Schützling ab. Nordkorea ist für sie nicht nur ein Pufferstaat, sondern auch eine Belastung und zwar eine zunehmende. Diese Position haben sie soeben mit dem Boykott nordkoreanischer Kohle noch weiter verschärft. Jedoch wollen weder sie, noch die Russen deswegen Krieg. Schon gar nicht wollen sie ein geeintes, mit Amerika verbündetes Korea an ihrer Grenze.

Die offizielle Linie aus Peking will daher nicht von der bisherigen Sanktionspolitik abweichen, in der Hoffnung, daß man den wirtschaftlich abhängigen Nordkoreanern das Atomprogramm auf diese Weise abhandeln könne. China befindet sich dazu in einer einzigartig günstigen Lage. Der Handel mit der Volksrepublik macht gute achtzig Prozent des nordkoreanischen Außenhandels aus.

Daß „die Chinesen das Problem lösen sollen“, war bisher auch die Linie Donald Trumps. Erst kürzlich, am 11. April kündigte er öffentlich Zugeständnisse in der Handelspolitik an, für den Fall, daß China das Nordkoreaproblem löse. Doch denkt er offenbar auch darüber nach, zumindest selbst Druck aufbauen zu müssen.

Bis jetzt redet niemand vom Regimewechsel

Daß ist jedenfalls das Minimalziel, daß sich aus dem Befehl zum Zusammenziehen dreier Trägerverbände vor der koreanischen Halbinsel und der Drohung, das Problem nötigenfalls auch alleine zu lösen, ableiten läßt. Wie gewohnt läßt sich der US-Präsident nicht in die Karten blicken. „Alle Optionen liegen auf dem Tisch“, heißt es weiterhin offiziell, auch wenn die Nordkoreaner auf einen weiteren Atomtest verzichtet haben. Ob das ein Erfolg amerikanischer Kanonenbootdiplomatie ist, oder der chinesischen Drohung mit weiteren Sanktionen? Wer weiß das schon so genau.

Anders als gegenüber Assad, ist das gefährliche Wort vom Regimewechsel bisher nicht gefallen. Dabei wäre er hier tatsächlich sinnvoll. Nur ist Nordkorea, abgesehen von seiner immerhin möglichen atomaren Abschreckung, auch im Bereich konventioneller Kriegsführung nicht ungefährlich. Zwar hätte es im Ernstfall keine Siegeschance. Doch könnte es vor dem Ende noch erheblichen Schaden im Südteil des Landes anrichten. Seoul, die südkoreansiche Hauptstadt liegt keine 50 Kilometer von der Grenze entfernt, und damit in Reichweite der zahlreichen nordkoreanischen Artillerie und Kurzstreckenraketen. Dazu verfügt das Land über einige hundert Mittelstreckenraketen und eine Armee von einer Million Mann, wenn auch mit veraltetem Material. Zahlreiche Experten warnen vor unabsehbaren Verheerungen im Falle eines neuen Koreakrieges.

Pence: Zeit der strategischen Geduld vorbei

Deshalb war auch die Stationierung weiterer THAAD Raketenabwehrsysteme in Südkorea einer der wichtigsten Punkte beim kürzlichen Staatsbesuch Vizepräsident Pences in Südkorea. Zwei der Systeme waren bereits im März eingeflogen worden. Amerika muß hier auch seinen Verbündeten, Südkorea und Japan gegenüber Stärke beweisen. „Die Zeit der strategischen Geduld ist vorbei“, so Pences markigster Spruch. Aus nordkoreanischer Sicht steigt damit natürlich wieder die Bedrohungslage. Ist es den Vereinigten Staaten aber ernst damit, das nordkoreanische Nuklearprogramm auf Dauer vereiteln zu wollen, so läuft ihnen die Zeit davon.

Die Wahl lautet: Entweder Krieg und zwar rasch und mit allen Konsequenzen, auch was die Beziehungen zu China und Rußland anbelangt oder aber die Abschreckungskapazitäten Nordkoreas werden bald ausreichen, daß man sich damit wird abfinden müssen, mit allen Zukunftsrisiken, die das in sich birgt. Diesmal läßt sich die Koreafrage nicht weiter verschieben.

(Bild: Prachatai, flickr, CC BY-NC-ND 2.0)

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