Gesichtet

Happy auf der Frankfurter Europaallee

Wie unfähige Frankfurter Architekten und Städteplaner einen Südafrikaner glücklich machen – eine Fotoreportage.

Das ist Steffen Solomon (30). Aufgewachsen in Port Elizabeth, 770 km östlich von Kapstadt, ist er nun seit zwei Jahren in Deutschland und arbeitet als Sales Graduate Trainee für die Thomson Reuters (Markets) GmbH im Frankfurter Messeturm. Der ehemalige Tennisprofi (Platz 1108 auf der Tennisweltrangliste) ist glücklich im Europaviertel, dem neuen Frankfurter Vorzeigeprojekt. Das Bild zeigt entsprechend die Europaallee, die durch das innenstadtnahe Stadtviertel führt und im Frankfurter Volksmund Stalinallee genannt wird. Es fehlt eigentlich nur noch ein Pavillon der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft.

Steffen konnte sich nie recht vorstellen, was Bob Marley mit seinem Song Concrete Jungle meinte, bis er in eine 20 Quadratmeter große Kammer angrenzend zur Europaallee zog. 515 Euro warm seien gar nicht so teuer, meint er. Die Warteschlangen seien lang. Ich bewundere seinen großen Schreibtisch.

Steffen hat im Europaviertel alles, was er braucht. Ein Fitnesscenter und einen Rewe im nahen Einkaufszentrum, einen Pennymarkt gleich um die Ecke im Gallusviertel. Der sympathische Sportler hat in Frankfurt mittlerweile auch „heftige und heruntergekommene Stadtviertel“ kennengelernt. Da sei es im Europaviertel schon viel besser: Keine Drogendealer, es ist sicher und die Menschen sind in aller Regel gut gekleidet. Es sei ein bisschen so wie in einer gated community. Er habe hier durchaus auch ein Nachbarschaftsgefühl. – Ich empfinde eher blanke Anonymität.

Wir sitzen in einem Café an der Europaallee. Ich unterdrücke für die nächste Stunde den Impuls, vor der Betonwüste schreiend wegzulaufen. Für Steffen ist es jedoch perfekt: „Es ist hier genau wie in Südafrika, wo auch nur moderne Komplexe hochgezogen werden. Und wenn ich alte Gebäude sehen möchte, bin ich in zehn Minuten mit meinem Fahrrad in der Altstadt oder am Main.“ Steffen nennt das den Wechsel zwischen big city life und small city life. Dann sagt er ohne jede Ironie, dass das hier noch der schönere Teil des neuen Europaviertels sei. Ich solle mir mal den Rest anschauen. – Damit die Klickzahlen nicht einbrechen, male ich den Rest jetzt nicht aus.

„I am happy here.“ Erneut säuseln unwirkliche Worte in mein Ohr. Die Menschen in den Geschäften und Restaurants seien unheimlich nett. Er kenne einen Freund, der extra aus einem anderen Stadtteil kommt, nur um seine Kleidung in der „besten Reinigung der Stadt“ an der Europaallee abzugeben. Zudem werde die Straße abends schön beleuchtet, die Bürofenster leuchteten auch und das nahe Einkaufszentrum habe ein schönes Lichterspiel. Nicht nur Asiaten würden hier abends Fotos machen, sagt er. „Also auch normale Menschen?“, frage ich ungläubig zurück. „Ja“, sagt er und wir beide müssen lachen.

Aber hören wir doch mal, was der weltbekannte Architekt Albert Speer junior sagt, dessen Büro den städtebaulichen Entwurf für das Europaviertel geschaffen hat. In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau betont er: „Man muss einem solch großen Viertel Zeit geben zusammenzuwachsen. Das braucht eine Generation, also zwanzig Jahre. Bis die Bäume groß genug sind, bis es Restaurants gibt. Aber heute gibt es auch schon Ecken, die schön geworden sind. Ich bin insgesamt zufrieden (…) Ich empfinde die Europaallee auch nicht als überdimensioniert. Wenn da mal richtig Verkehr drauf und Leben in den Erdgeschossen ist, funktioniert das.“

Haben Sie auf den Fotos oben Bäume gesehen? Und den Autoverkehr auf der Europaallee einfach vervielfachen und schon schwuppt es im Viertel? Es ist fast immer das Gleiche, was ich denke, wenn sich Frankfurter Architekten und Städteplaner zu ihrer Arbeit äußern: Es weiß nicht nur jeder besser, es kann auch jeder besser, ihr Eierköpfe! – Aber Steffen „is happy here“.

(Erstes Bild: Andreas Wecker, flickr, CC BY-NC-ND 2.0 / alle anderen Bilder: Claus Folger, privat)

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