Rezension

Huntington und die amerikanische Identität

Der amerikanische Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington (1927-2008) ist vor allem wegen seiner umstrittenen These des „Kampfes der Kulturen“ bekannt.

Die Inkompatibilität von „Kulturen“ liegt derart auf der Hand, dass ihr gegenüber eigentlich keine Zweifel bestehen dürften. Leider Gottes gibt es aber immer wieder laute oder bzw. und mehrheitliche Menschen, die vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen wollen. In den USA gehören dazu die Kritiker Trumps, die mit den Kritikern Huntingtons identisch sind. Wer die konkreten Einwände, die diese multikulturalistischen Freunde des „Einwanderungslandes Amerika“ Trump gegenüber hegen, verstehen will, ist gut beraten, auf Huntingtons 2004 veröffentlichtes Buch Who Are We? Die Krise der amerikanischen Identität zurückzugreifen.

Der „Amerikaner“, Erzeugnis einer bestimmten Kultur

In völliger Unabhängigkeit von seiner wissenschaftlichen Methode bestätigen die Schlussfolgerungen Huntingtons einfach nur die Voraussetzungen seiner Untersuchung. Huntington ging es vornehmlich darum, etwas zu beweisen. Dass seine Voraussetzungen nicht in bloßer „Ideologie“ bestanden, hat Huntington nicht davor bewahrt, von der „nationalen“ sowie internationalen Linken als Rassist, Chauvinist, Fremdenfeind und was dergleichen mehr ist, gehandelt zu werden. Welches sind denn nun diese für die Linke unsäglichen und unerträglichen Voraussetzungen?

  1. Das die amerikanische Kultur bildende und tragende Element im amerikanischen Volkskörper ist das weiße, angelsächsische, protestantische („WASP“). Sein Geist erst hat der Welt den „Amerikanismus“ – d.h. die für Amerika charakteristischen Werte – und damit Amerika beschert: Freiheit, Gleichheit, überhaupt einen besonders ausgeprägten Sinn für Menschenrechte sowie Individualismus und Initiative (Arbeitsethos, Unternehmergeist).
  2. Diese Werte sind grundlegend für die „amerikanischen Glaubensartikel“ (American Creed). Diesen Glaubensartikeln hat ein säkularisiertes Christentum Modell gestanden, das in dieser säkularisierten Form ohne Gott allgemein akzeptiert wird, sogar von Nichtchristen und Atheisten. Ähnlich verhält es sich für die „amerikanische Zivilreligion“, die Allgegenwärtigkeit von religiöser Sprache und Bildern – überhaupt von Religion – in der Öffentlichkeit sowie der religiöse Charakter nationaler Riten und Zeremonien.

Die Zerbrechlichkeit Amerikas hängt unmittelbar mit seinen europäischen Wurzeln zusammen

Wie die amerikanischen Glaubensartikel auf ein „Christentum ohne Gott“ aufbauen, so baut die amerikanische Zivilreligion auf einen „Protestantismus ohne Jesus“ auf. Dazu gehört auch das für Amerikaner charakteristische Denken in Kategorien von Gut und Böse. Die Zivilreligion bringt es ebenfalls mit sich, dass die Amerikaner sich selbst für das „erwählte Volk“, das von der Vorsehung begünstigte oder geleitete Volk, kurz, als die Guten begreifen. Auch heute noch seien, so Huntington, diese vom verschwindenden WASP-Element hervorgebrachten Glaubensartikel und die Zivilreligion verantwortlich dafür, dass Amerika ist, was es ist.

Nach Huntington bilden Demokratie und Unternehmergeist auf amerikanischem Boden eine Einheit, eine einmalige und einzigartige Synthese, die so auf das Konto eines ganz bestimmten Menschentyps geht. Der Amerikaner und seine Erfolge sind aus diesem Grund nicht für selbstverständlich zu nehmen. Es waren eine außergewöhnliche geschichtliche Situation sowie eine überaus glückliche soziologische Konstellation, welche den Amerikaner hervorgebracht haben. Dies einmal erkannt, ist die Zerbrechlichkeit dieses in der Hauptsache geistig von protestantischen Nordwesteuropäern abstammenden kulturellen Typus unbestreitbar.

„Amerika“ ist nicht von Einwanderern gemacht worden

Diese bis ins Kategorische gehende Behauptung der amerikanischen Identität hat bei Huntington ihre polemische Spitze gegen das, was er „Halb-“ und „Teilwahrheiten“ nennt. Als Ganzes genommen sind diese „Wahrheiten“ handfeste Irrtümer, die immer wieder für Missverständnisse und somit Verfehlungen in der Interpretation des amerikanischen Selbst geführt haben. Ein besonders krasser Irrtum ist z.B. die Ansicht, die Amerikaner stammten von Einwanderern ab.

Die Abstammung von „Einwanderern“ bezeichnet eben nicht den geistigen Stammbaum des Amerikaners, sondern bezieht sich auf einen Prozess, der erst nach Grundlegung der amerikanischen Identität durch die zumeist angelsächsischen und puritanischen Kolonisten einsetzte. Wirklich grundlegend für die amerikanische Identität seien nur die Pilgrim Fathers und deren Nachkommen gewesen, keineswegs aber die Einwanderer. „Amerika – das Einwandererland“ verortet Huntington im Reich der amerikanischen Mythen. Wobei, nebenbei gesagt, Huntington die grundsätzliche Notwendigkeit der Mythen für die Herausbildung der amerikanischen Identität anerkennt.

Echte Symbiose verlangt Anpassung und Angleichung

Gegenüber der „multikulturalistische Ideologie der Vielfalt“ behauptet Huntington, dass die geistigen Grundlagen Amerikas empirisch doch auf die rassischen und ethnischen Unterscheidungen der Vergangenheit zurückgehen. Mit dem Sieg der amerikanischen Kultur, die sich bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein immer wieder mit Erfolg gegenüber den Kulturen der Einwanderer durchgesetzt hat, seien diese Unterscheidungen hinfällig geworden.

Gerade der Rückgang des WASP zeigt, wie sehr der Amerikanismus in der Lage ist, sich fremde Elemente einzuverleiben. Huntington nahm ganz typisch amerikanisch-pragmatistisch die Tatsache hin, dass das nicht immer ganz freiwillig geschah, und bis vor wenigen Jahrzehnten ein zuweilen recht unduldsamer Assimilationsdruck bestand. Schließlich hing vom Erfolg der Assimilationsanstrengungen der Nutzen beider, sowohl der des fremden Einwanderers wie auch der der amerikanischen Gesellschaft, ab.

Huntingtons „Holismus“ und „Kulturalismus“ sind typisch amerikanisch

In Anschluss an das deutsche soziologische und geschichtsphilosophische Denken, aber auch an die davon beeinflussten britischen Historiker Arnold Toynbee und Christopher Dawson, begriff Huntington „Kulturen“ (Civilisations) als die eigentlichen Akteure der Geschichte. Inwieweit Huntington sich damit in „organischen Analogien“ verstrickte, ist belanglos. Einzig von Belang ist, dass eine Verwischung der Organismusanalogie ins Ungefähre einer realistischen Auffassung der Gesellschaft Vorschub leistet: Automatisch wird die Gesellschaft dann als ein aus interaktiven Prozessen bestehendes Ganzes aufgefasst.

Diese prozesssoziologische Auffassung ist fast seit den Anfängen der amerikanischen Sozialwissenschaft als liberal-demokratische Selbstauffassung der dortigen Gesellschaft bezeugt. Ganz charakteristisch kommt dem Individuum, trotz seiner Ganzheitsverbundenheit, ein absoluter Vorrang zu. Es ist daher von Huntington nur folgerichtig und zudem auch sehr amerikanisch gewesen, dieser auf religiösen Kategorien beruhenden Ganzheitsverbundenheit das Etikett der „Kultur“ aufzukleben.  Aus demselben Grund ist auch Huntingtons durchaus parteiische Voraussetzung, dass darin das WASP-Element, besser noch: sein „Geist“, führend sein muss, nicht grundsätzlich abzuweisen. Regime, Verfassung, überhaupt politische Kultur Amerikas sind auf offensichtlichste Weise mit dem Geist des WASP verknüpft.

Die meisten Vorwürfe Huntington gegenüber sind lächerlich

Huntington sah diese seine „kulturell definierte Kultur“ durch die Latinos und ihre so ganz anders geartete Kultur gefährdet. Unter „Kultur“ verstand er vornehmlich Sprache sowie durch die Religion vorgegebene Werte, Weltanschauung und Handlungsmuster.

Huntington vorzuwerfen, politisch etwas zu wollen bzw. zu bezwecken, bedeutet somit, ihm seinen in aller Offenheit vorgetragenen Amerikanismus vorwerfen. Der Vorwurf des bewusst gewollten, gelebten und auch sonst wie tatkräftig umgesetzten Amerikanismus trifft dabei eine ethische, keinesfalls eine ethnische Einstellung und Überzeugung, über die Huntington zu genüge Rechenschaft abgegeben hat.

Wegen anderslautender ethischer Einstellungen und Überzeugungen wurde und wird er von seinen Kritikern angefeindet. Wer nun die „bessere“ ethische Einstellung und Überzeugung hat, ob Huntington oder seine Multikulti-Kritiker, ist paradoxerweise eine Frage von „Schwarzweißdenken“, von Amerikanismus in der Wissenschaft.

Ein wissenschaftlicher Standpunkt hielte beide Einstellungen für gleich gut bzw. für gleich schlecht. Davon aber bliebe der Fakt, dass unterschiedliche Kulturen sich zunächst einander fremd gegenüberstehen und es bei ihrem Zusammentreffen zu Konflikten und Auflösungsprozessen, zum Kampf der Kulturen kommt, unberührt. Das besondere daran ist, dass es immer nur einzelne Individuen sind, die diesen Kampf, entweder in sich selber durchmachen, oder aber ihn, sei es als Einzelkämpfer, sei es in der Gruppe, anderen gegenüber durchführen, und zwar mit unabwendbarer Notwendigkeit.

(Bild:  World Economic Forum (www.weforum.org), swiss-image.ch/Photo by Photo by Peter Lauth; CC BY-SA 2.0)

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