Gesichtet

Metapolitiker des Jahres

In der Metapolitik entwickeln sich neue Führungsstile. Richard Spencer, der Präsident des National Policy Instituts, ist einer der Pioniere.

Wo im Kampf gegen ein machthabendes System der metapolitische Weg eingeschlagen wird, der Kampf der Ideen, dort ist die alles entscheidende Frage die der Führung. Anders für den Metapolitiker, der sich vorhandenen Machtstrukturen an- und eingliedert, er hat es hier einfacher. Als Philosoph, als Ideenlieferant ist er Teil eines arbeitsteiligen Apparates. Für Macht und Machtausübung, Strategie und Organisation sorgen andere. Für den solchermaßen eingegliederten Metapolitiker bedeutet das nicht nur Bindung und Vereinnahmung durch „das System“, sondern auch die Freiheit von allen Aufgaben, die mit denen eines Intellektuellen in Konflikt geraten können. Idealerweise ist solch ein eingegliederter Metapolitiker im wörtlichen Sinne ein Vor-Denker der praktische Politik.

Wie entsteht aus Ideen eine Bewegung?

In der Fundamentalopposition ist die Metapolitk jedoch zunächst auf sich gestellt. Diejenigen, deren einzige Handlungsfähigkeit im Reich der Ideen liegt, müssen wirkliche Handlungsfähigkeit durch Metapolitik überhaupt erst erzwingen. Siegreiche Ideen müssen neue Wege überhaupt erst denkbar machen. Doch das Denken ist hier nur der eine Teil. Der Andere, allzuoft übersehene, besteht in der Führung. Sie erst macht aus intellektuellen Diskurszirkeln eine politische Kraft, eine Bewegung.

Seit dem Zweiten Weltkrieg sind „rechts“ wie „links“ alle Ansätze gescheitert, den bestehenden Verhältnissen eine solche Kraft entgegenzusetzen. Die Dichter und Denker, die in der Zwischenkriegszeit eine der erstaunlichsten Blüten des abendländischen Geistes hervorgebracht hatten, waren ebenso machtlos wie zuvor. Jene Organisationen „wie von Stahl“ (so schon Ferdinand Lassalle), die zuvor unwiderstehliche Kräfte entfesselt hatten, liefen in den befriedeten Nachkriegsgesellschaften gegen die Wände einer Gummizelle. Die Einen wie die Anderen gliederten sich entweder dem machthabenden System ein, übernahmen dessen Leitbilder und Ziele, oder versanken in der Bedeutungslosigkeit. Nicht selten geschah beides.

Neue Führungsstile

Erst seit kurzem entstehen Führungsstile und Methoden, die über diesen toten Punkt hinausreichen. Richard Spencer ist einer der Pioniere auf diesem Gebiet. Der 1978 in Boston geborene Erfinder der Marke „AltRight“ machte zunächst schlechte Erfahrungen mit dem herkömmlichen Konservatismus. Dann gründete er 2010 die Netzseite AlternativeRight. Der Name war eine bewusste Abgrenzung von der Rechten der Ära Bush, den Marktfanatikern, Neokonservativen und Irakkriegspatrioten. Drei Jahre später legte er die Seite auf Eis, um sich RadixJournal, dem Netzmagazin des seit 2011 von ihm geleiteten National Policy Instituts zu widmen. Die heutige Blogspotseite Alternative-Right hat deshalb nichts mit Spencer zu tun.

Doch der Name „AltRight“ ist hängengeblieben. Heute bezeichnet er ein ganzes politisches Milieu. „AltRight, dass ist größer geworden als ich.“ Spencers Umgang mit dieser lapidar festgestellten Tatsache stößt zum Kern der heutigen Führungsaufgabe. Es geht nicht mehr nur um feste Organisationen mit Mitgliedslisten und eingetragenem Vereinsstatus. Das Internetzeitalter bedeutet auch eine große Aufwertung loser, informeller Zusammenschlüsse ohne Zentralstelle mit Befehlsgewalt. Die entscheidende Frage ist: Wie können diese hochaktiven Milieus die notwendige Festigkeit und Richtung erlangen?

Markenpolitik

Ihr Dreh- und Angelpunkt ist die gemeinsame „Marke“, die Selbstbezeichnung, die gemäß der Dialektik des Politischen auch eine Bestimmung des Anderen erlaubt. Spencers Autorität beruht darauf, dass er die Marke „AltRight“ nicht nur erschaffen hat, sondern ihre Bedeutung bis heute maßgeblich mitbestimmt – nicht kontrolliert, das wäre unmöglich. Er prägt sowohl das Selbstbild, als auch die Außenwahrnehmung der AltRight wie kein zweiter.

Neben seinem Talent für Öffentlichkeitsarbeit verdankt er diese Erfolge vor allem der Tatsache, dass er das National Policy Institut zur Adresse der AltRight gemacht hat. Spencer ist selbst im Netz verwurzelt, stellt aber auch gerade die Art von Institutionen zur Verfügung, die ein internetzentriertes Milieu von sich aus nicht hat. Die Jahreskonferenzen des Instituts sind das jährliche Szenetreffen. Nach außen hin sind das Institut und sein Direktor die Anlaufstelle Nummer Eins für Journalisten aus dem Mainstream, die endlich wissen wollen, was denn diese „AltRight“ ist, von der man in letzter Zeit so viel hört.

Wichtig werden ist gefährlich

Dass die AltRight das Trump-Jahr 2016 so gut nutzen konnte, ist nicht zuletzt Spencers Verdienst. Solange ein metapolitisches Milieu in der Bedeutungslosigkeit sein Dasein fristet, halten sich innere und äußere Konflikte noch in Grenzen. Man bewegt sich in der Szene und verträgt sich auch mit denjenigen, mit denen man erhebliche Differenzen hat. Es herrscht die Atmosphäre eines Debattierklubs. Das wird plötzlich anders, wenn dieses Milieu wichtiger wird. Jetzt muss man eine Linie herausarbeiten. Es dauert nicht lange und alle fallen übereinander her.

Die Radikaleren werfen den Moderateren vor die Sache zu verraten. Die Moderateren halten die Radikaleren für den Grund, weshalb man noch nicht allgemein akzeptiert wird. Für eine metapolitische Bewegung im Internetzeitalter sind das besonders gefährliche Zeiten. Sie hat keine Stelle, die autoritativ über die Mitgliedschaften entscheiden könnte. Auch die Selbstbezeichnung ist nicht markenrechtlich geschützt. Sie kann weder jemanden offiziell zum Mitglied ernennen, noch kann sie verhindern, dass dieser jemand sich öffentlich selbst zum Repräsentanten der Bewegung erklärt. Es beginnen die Schlammschlachten darum, wer dazugehört und wer nicht.

Keine Jubelperser

Wie stehen wir zu Trump, und wer sind eigentlich wir? Das waren die beiden Fragen, die die AltRight in diesem Jahr umtrieben. Vom intellektuellen Standpunkt aus waren viele Antworten genausogut und in einigen Fällen besser als die Spencers, aber er handhabte diese Fragen mit dem größten strategischen und taktischen Geschick.

Er setzte auf Trump, ohne je einen Zweifel daran zu lassen, dass zwischen der AltRight, wie er sie vertritt, und Trump erhebliche Differenzen liegen. Er beteiligte sich nicht an dem Trump-ist-einer-von-uns-Blödsinn, übernahm aber und spielte mit dessen Ikonographie – Trump als Gottimperator. Damit setzte er den Ton, um nach der Wahl sofort klar zu machen, dass die AltRight Trump zwar unterstützt und ihn vor allem von Anfang unterstützt hat, aber nicht seine hauptamtlichen Jubelperser stellt, sondern eigene Vorstellungen davon hat, wo genau sich das Overton-Window befinden sollte.

Probleme mit Trittbrettfahrern

Die Jubelperser Donald Trumps waren dann auch das zweite große Problem dieses Jahres. Als sie feststellten, dass die Marke „AltRight“ attraktiv wurde, kamen eine ganze Reihe von Leuten auf die Idee doch selbst unter diesem Namen zu operieren. Ihre Weltanschauung beschränkte sich oft genug auf die Sprüche Donald Trumps und den Hass auf adipöse Feministinnen. Ihre Aktivitäten bestanden oft genug im Verkauf von Selbsthilfebüchern oder der Gründung ihres eigenen Personenkultes – alles unter der Marke „Altright“ versteht sich.

Die Standardreaktion des harten Kerns bestand in Wutausbrüchen und Boykottaufrufen. Andere klammerten sich an die Hoffnung, dass diese „AltLighter“ doch irgendwie neue Leute überzeugen könnten. Diejenigen, die mitten in der Präsidentschaftswahl Kreuzzüge im eigenen Lager führen wollten (das Wort „crusade“ fiel tatsächlich), mahnte Spencer zur Ruhe. Er machte gleichzeitig unmissverständlich klar, dass er die Marke „AltRight“ verteidigen werde.

Nach Trumps Sieg setzte er dem Spuk mit einer gezielten Provokation ein Ende. Auf der Jahreskonferenz des National Policy Instituts beendete er eine nicht hundertprozentig ernst zu nehmende Rede mit den Worten: „Hail Trump, Hail our Poeple, Hail Victory!“ Zu diesem Zeitpunkt war ein Kamerateam des Atlantic vor Ort. Die Sache ging groß durch die Medien. Weil zwei oder drei übermütige Jugendliche auf Spencers Worte mit dem Hitlergruß reagierten, schlug das Ganze größere Wellen, als wohl geplant war.

Auch Spencer musste in dem Skandal Federn lassen. Medial unter Druck gesetzt, distanzierte sich sogar Trump und das passiert selten genug. Doch die Konsolidierung der eigenen Marke wurde erreicht. Viele Trittbrettfahrer konnten gar nicht schnell genug absteigen und ihr Herausstürzen aus der AltRight geriet bisweilen zur Slapsticknummer.

Schutzgeldeintreiber

Das Erkennungsmerkmal metapolitischer Führerschaft besteht in der Fähigkeit, Grenzen und Inhalt eines politischen Milieus zu setzen. Das erfordert jene seltene Mischung aus intellektuellen Fähigkeiten, Organisationstalent und taktischem Geschick. Spencer hat sich hier bisher als außerordentlich kompetent erwiesen. Man muss den Zensoren auf Twitter zugutehalten, dass ihre letzte große Kampagne den Richtigen getroffen hat. Inzwischen ist Spencer aber wieder auf Twitter.

Da Angriffe auf seine Person nichts mehr fruchten, sind einige ganz widerliche Gestalten inzwischen dazu übergegangen sein Mutter zu terrorisieren und sie durch Drohungen mit Protesten einer Menschenrechtsgruppe des Namens „Love Lives Here“ zum Verkauf ihrer Geschäftsimmobilie in Withefish, Montana zu zwingen. Die Initiatorin des Ganzen schreckt nicht einmal davor zurück sich als Maklerin anzubieten. Die Forderung: ein entsprechender Teil der Verkaufssumme soll als Spende an „Love Lives Here“ wandern. Diese Art von Schutzgelderpressung verbreitet sich unter linken Aktivistengruppen in den USA immer mehr. Sie richtet sich meist gegen eigentlich unbeteiligte, unpolitische Personen, die einiges springen lassen um die antirassistischen Demonstranten wieder los zu werden.

Kann ein weißer Separatist in den Kongress?

Spencer ist aber schon wieder im Angriffsmodus. Der Kongressabgeordnete Montanas, Ryan Zinke, soll bald zurücktreten. Falls das passieren, gedenkt Spencer zur Wahl anzutreten. Nicht um als Hinterbänkler seine Zeit totzuschlagen, sondern um des Symbols willen, um die Frage zu stellen: „Wenn ein schwarzer Separatist wie Keith Ellison Vorsitzender des Nationalkongresses der Demokraten sein kann, kann dann ein weißer Separatist für den Kongress antreten und gewinnen?“

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Dann unterstützen Sie uns mit einer kleinen Spende. Fünf Euro reichen bereits aus, damit hier ein Jahr auf hohem Niveau gearbeitet werden kann: 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Datenschutzinfo