Gesichtet

300 Jahre Leibniz

Mit Gottfried Wilhelm Leibniz starb vor 300 Jahren ein theologischer Grenzgänger der Philosophie. Unsere Welt hielt er für die beste aller möglichen Welten.

14. November 2016, 22 Uhr – die Glocken der Neustädter Hof- und Stadtkirche in Hannover läuten. Sie ehren den 300. Todestag und die Todesstunde des mutmaßlich letzten Universalgelehrten. Gottfried Wilhelm Leibniz fand hier nach 70 Lebensjahren seine letzte Ruhe. Von der Jurisprudenz führte ihn der Weg nach seiner Promotion wie zuvor bereits seinen Vater zur Philosophie. Auch mathematische Probleme begannen ihn schnell zu interessieren. So gehen beispielsweise die heutige Ordnung des Dualsystems oder die Infinitesimalrechnung vor allem auf ihn zurück.

Sein dadurch begründeter Erfindergeist führte etwa zur mechanischen Rechenmaschine oder eines Gerätes zur Bestimmung der Windgeschwindigkeit. Für Leibniz gab es in der Wissenschaft keine Grenzen. Er betrachtete sie als Einheit, die vor allem in der Philosophie grundgelegt sei. Damit wurde er zu einem Wegbereiter der Aufklärung. Seiner Meinung nach besitze jeder Mensch Fähigkeiten zur vernünftigen Lebensführung. Für Theologie hatte er nicht viel übrig. Die Vernunft der Philosophie war die prägende Kraft seines Denkens.

Die beste aller möglichen Welten

Diese setzte er auch ein bei der Suche einer Antwort auf die Theodizee-Frage, die sich im Kern mit der Rechtfertigung Gottes beschäftigt und konkret danach fragt, warum ein allmächtiger und gütiger Gott das Leiden in der Welt zulässt. Leibniz’ Antwort, dass die existierende Welt die beste aller möglichen Welten sei, sieht auf den ersten Blick nicht wie eine Antwort aus. Insbesondere Moralphilosophen und Theologen der Neuzeit haben diese Antwort immer wieder scharf kritisiert.

Der britische Philosoph Bertrand Russell war beispielsweise sehr verwundert darüber, „dass Menschen glauben können, diese Welt mit allem, was sich darin befindet, und mit all ihren Fehlern sei das Beste, was Allmacht und Allwissenheit in Millionen von Jahren erschaffen konnten“. Russell war überzeugter Atheist und war gerne bereit, Gott die Schuld an allem Übel in der Welt zu geben, das er etwa im Ku-Klux-Klan oder den Faschisten verwirklicht sah und das er nicht als das Ergebnis von Allmacht und Allwissenheit akzeptieren konnte. Wie Russell, ist offensichtlich allen Kritikern der Rede von der besten aller möglicher Welten die Bedeutung entgangen, die das Beste für den Menschen hat.

Der freie Wille und die Vernunft

Für Leibniz war es bei seiner Antwort auf die Theodizee-Frage nicht relevant, wie eine absolut beste Welt aussehen könnte, denn in dieser hätte der Mensch keinen freien Willen und wäre der Steuerung seines Lebens durch Gott wehrlos ausgeliefert. Weil aber der Mensch einen freien Willen habe, sei die für ihn beste aller möglichen Welten eine Welt, die auf diesen freien Willen Rücksicht nimmt. Dies habe dann auch Gott in seiner unendlichen Weisheit und Güte dazu veranlasst, die bestehende Welt als die beste unter allen möglichen Welten zu erschaffen.

Die darin bestehenden Formen des Übels entstehen dann nicht durch den Willen Gottes, sondern durch den freien Willen des Menschen, der sich von Gott abwendet. Der Ku-Klux-Klan und der Faschismus sind dann auch nicht deshalb entstanden, weil dies Gott gewollt hätte, sondern weil der mit einem freien Willen ausgestattete Mensch es für gut hielt, diese entstehen zu lassen. Nach Leibniz’ Meinung kann Gott nichts dafür, wenn der Mensch seine Fähigkeiten zu einer vernünftigen Lebensführung nicht nutzt und den freien Willen dazu missbraucht, anderen Menschen Leid zuzufügen.

Die modernen Übel der Welt

Angesichts von Krieg, Gewalt und Naturkatastrophen hat die Theodizee-Frage im 21. Jahrhundert große Popularität erlangt. Mit Gott hat sie mittlerweile jedoch nur noch wenig zu tun. Für die selbsternannten Wohltäter steht vor allem im Mittelpunkt, wie sie ihrem eigenen Leben einen Bedeutungszuwachs verschaffen können, indem sie sich gegen vermeintliche Übel der Welt einsetzen. Schnell fallen dann auch Menschen wie Donald Trump in den Kreis der Theodizee-Frage und werden als Bedrohung des irdischen Heils inszeniert. Aus dieser Perspektive wäre Hillary Clinton logischerweise die Heilsbringerin par excellence gewesen.

Gott dürfte darüber nur müde lächeln. Ist es nicht wirklich lächerlich, wenn angeblich vernunftbegabte Menschen ihre persönliche Heilserwartung durch einen Donald Trump gefährdet sehen? Ähnlich verhält es sich bei allen politischen Bewegungen, die von den Wohlgesinnten und den hörigen Jüngern des medialen Hauptstroms als die Inkarnation des Bösen gebrandmarkt werden. Sollten sie sich nicht viel eher die Frage stellen, was ihr freier Wille noch wert ist, wenn sie Politikern die wesentlichen Entscheidungen ihres Lebens überlassen wollen?

Das Ende der bestmöglichen aller Welten

Damit hat die von Leibniz mit angestoßene Aufklärung ihren Endpunkt erreicht. Die Frage nach den Ursachen des Übels in der Welt wird nicht mehr mit Vernunft gesucht. Vielmehr hat die Gesinnung ihren Platz eingenommen. Im Gegensatz zur Vernunft ist bei der Gesinnung immer ein Plural möglich. Sie folgt nicht den beiden Grundprinzipien, die Leibniz in seinem Essay zur Theodizee-Frage für den Vernunftgebrauch aufgestellt hat: Das Prinzip des Widerspruchs und das Prinzip des zureichenden Grundes. Das erste Prinzip besagt: Von zwei entgegengesetzten Behauptungen muss die eine wahr und die andere falsch sein. Dem zweiten Prinzip zufolge geschieht nichts ohne Ursache. Deshalb ist für die Gesinnung unmöglich, unsere Welt als die beste aller möglichen Welten anzuerkennen. Sie setzt stattdessen auf Beliebigkeit und die ständige Weltverbesserung. Am Ende könnte das den Untergang der bestmöglichen aller Welten bedeuten.

(Bild: Historisches Museum Hannover)

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Jahrgang 1986, hat Soziologie und Politikwissenschaft studiert und lebt als selbständiger Autor in Köln. Für die Schriftenreihe BN-Anstoß hat er bereits zwei Bände beigesteuert: Geopolitik. Das Spiel nationaler Interessen zwischen Krieg und Frieden (2015). Sowie: Die ganze Wahrheit. Meinungsfreiheit als Herrschaftsinstrument (2016).

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