Sollten Minderheiten geschützt werden? Die meisten Menschen würden diese Frage wohl mit „Ja“ beantworten. Umso erstaunlicher ist dann die Entscheidung, die vergangenes Wochenende in Irland durch ein Referendum gefällt wurde.
Nun hat sich also auch dieses Land in die lange Reihe der Länder eingereiht, die das Recht auf Leben dem Recht auf Selbstbestimmung unterordnen, falls diese in Konkurrenz zueinander stehen sollten. Zumindest partiell. Man könnte diese Volksentscheidung auch als tödliche Benachteiligung einer auf Schutz angewiesenen Minderheit beschreiben. In diesem Fall die ungeborenen Kinder.
Es soll hier nun nicht die Rede davon sein, ob ein Kind im Mutterleib schon ein vollwertiger Mensch ist oder nicht. Ob ihm daher auch Schutz zukommen muss. Diese Frage wurde in einem anderen Artikel bereits ausgeführt. Nein. Etwas anderes stößt vielmehr auf. Etwas, das nicht nur speziell im Falle Irlands zutrifft, sondern die ganze Diskussion um das Thema Schwangerschaftsabbruch bizarr erscheinen lässt.
Entscheidung für Menschlichkeit?
Denn obwohl hier dafür gestimmt wurde, in Zukunft legal Mord begehen zu können, scheinen alle darüber glücklich zu sein. Ja, diese Entscheidung wird in den höchsten Tönen gelobt. So titelte die WELT kürzlich: „Irland entscheidet sich für die Menschlichkeit.“ Wörtlich heißt es hier: „Abtreibung ist für jede Frau eine im höchsten Maße persönliche und zugleich schreckliche Entscheidung. Aber es war auch eine schrecklich schwierige Entscheidung für das einst erzkatholische Irland, seinen Bürgerinnen endlich die Freiheit zu geben, die für Millionen von Frauen in Europa schon lange Gewissheit ist.“ Kein Wort von den abgetriebenen Kindern, für die diese Entscheidung wohl am schrecklichsten ist. Denn für diese geht es dabei sprichwörtlich „ums Ganze“.
Diese selektive Sichtweise ist bezeichnend und symptomatisch für die Sicht unserer Zeit auf dieses Problem. Es geht immer nur um die Freiheit, respektive die Selbststimmung der Frau. Nach dem Willen des Kindes wird in der Regel nie gefragt. Aber was ist denn Freiheit? Ist es wirklich dasjenige, was hier immer angepriesen wird? Die Möglichkeit der Entscheidung, jenseits aller moralischen Gesetze? Gibt es solche überhaupt? Nach jenem Freiheitsverständnis wohl kaum.
Freiheit ist niemals Selbstzweck
Dabei ist Freiheit niemals Selbstzweck. Sie erhebt uns lediglich in die Sphäre des Moralischen. Sie ist die Bedingung der Möglichkeit von Verantwortlichkeit für eigene Taten. Wenn man die Möglichkeit zur Abtreibung als Freiheit bezeichnet, leugnet man, dass hier auch Verantwortung übernommen werden muss. Verantwortung vor allem gegenüber demjenigen, der die Konsequenzen zu tragen hat: dem ungeborenen Kind. Denn dieses ist es doch, das mit dem Leben bezahlt für die Entscheidungsfreiheit der Mutter. Kann man wirklich von einem Sieg der Freiheit sprechen, wenn dem Kind dadurch alle Möglichkeiten auf eine freie Entscheidung für das Leben genommen werden?
Was ist denn Freiheit noch, wenn sie von aller Moralität abgekoppelt ist? Wenn man sich einerseits als frei sieht, jedoch gleichzeitig leugnet, dass gewisse Handlungen der Freiheit grundlegend falsch und zu verwerfen sind, bleibt unterm Strich nicht mehr viel übrig von jener hochgelobten Freiheit. Man will die Entscheidungsfreiheit haben, bewusst etwas Falsches zu tun, weigert sich jedoch, die Konsequenzen zu tragen. Das ist keine Freiheit, sondern Feigheit. Was sagt das über Menschen aus, die die Erhebung der Feigheit zur Freiheit als Gewinn betrachten?
Abtreibung ist ein barbarischer Eingriff
Dass das Thema Abtreibung niemals eine Sache der Freiheit war, wird auch deutlich daran, wie mit dem Thema umgegangen wird. Da spricht man sich offen für die massenhafte Tötung von Menschen im Mutterleib aus, will aber unter keinen Umständen, dass publik wird, wie genau so eine Abtreibung eigentlich vonstatten geht. Schließlich könnte das ja die Menschen abschrecken, so einen barbarischen Eingriff vorzunehmen. Wie sonst ist es zu erklären, dass es als „Gehirnwäsche“ bezeichnet wurde, als konservative Kreise sich dafür eingesetzt hatten, dass Schulkindern der „schockierende Antiabtreibungsfilm Der stumme Schrei“ gezeigt werde.
Ich habe diesen Film gesehen, und ja, er ist schockierend über alle Maßen. Schließlich ist es nicht besonders alltäglich dabei zuzusehen, wie ein kleiner Mensch bei lebendigem Leib in Stücke gerissen wird. Aber ist es nicht eher Gehirnwäsche, wenn gerade diese Informationen den Jugendlichen vorenthalten werden? Kann ein Mensch nicht erst in aller Freiheit eine Entscheidung treffen über einen Sachverhalt, wenn er diesen auch wirklich kennt und beurteilen kann? Denn wenn ich weiß, was ich einem Ungeborenen antue, wenn ich es abtreibe oder abtreiben lasse, bin ich mir vollkommen der grundlegenden Verkehrtheit dieses Vorganges bewusst. Wenn ich mich danach immer noch dafür entscheide, weiß ich wenigstens, was ich damit bewirke, nämlich den grausamen Tod eines Menschen.
Filme über Massentierhaltung sind in Ordnung, über Abtreibung nicht
Wenn Filme über Massentierhaltung oder über das Schreddern von Küken im Unterricht gezeigt werden, ist das in Ordnung, weil sich die Kinder dann eine fundierte Meinung über diesen Aspekt unserer Massengesellschaft bilden können. Warum dann nicht auch, wenn es um Abtreibung geht? Vielleicht, weil dann das große Geld ausbleiben würde, das damit gescheffelt wird?
Unter diesen Umständen mutet es bizarr an, dass in Dublin das „Yes“ mit Tanz und Musik gefeiert wurde. Ganz davon abgesehen, diese Entscheidung als eine für die „Menschlichkeit“ zu bezeichnen. Es muss schon einiges im Argen liegen, wenn das Töten von Menschen als Akt der Menschlichkeit bezeichnet wird, zumal die allermeisten Abtreibungen aus „sozialen Gründen“ erwogen und durchgeführt werden.
Es wird eben nicht dadurch besser, dass man sich sagt, ein Kind passe gerade nicht in den Lebensentwurf oder man wolle schlicht kein behindertes Kind haben. Interessant wäre es zu wissen, wie jene Befürworter auf ein Referendum reagieren würden, welches das Ermorden von Behinderten, Juden oder Zigeunern erlauben würde? Ich glaube, nicht einer dieser feiernden Menschen in Dublin würde noch mit einem „Yes“-Button am Revers herumlaufen.
Muss man diese Entscheidung tolerieren? Wenn man in demokratischen Kategorien denkt, wohl ja. Aber dieses Referendum führt wieder einmal deutlich vor Augen, dass der Wille der Mehrheit nicht zwangsläufig auch gute Entscheidungen hervorbringt. So ist dem Ministerpräsidenten Irlands, Leo Varadkar, zuzustimmen, wenn er von einer „stillen Revolution“ spricht. Denn das ist es in der Tat.
Hin zu noch mehr Hedonismus, noch mehr gesellschaftlichem Liberalismus, endlich in eine düstere, gefallene Welt. Oder mit den Worten des Erzbischofs Vincenzo Paglia: „Ich glaube da gibt es keinen Sieg zu verkünden und nichts zu feiern.“
(Bild: American Life League, flickr, CC BY-NC 2.0)