Gesichtet

„Älterwerden ist schön.“

Samstagabend. Sie redet ununterbrochen. Wir hören gar nicht mehr auf zu quatschen. Quälend langsam schiebt sich die Schlange nach vorne. Was soll man auch anderes machen als sie anzuhauen, wenn man fast stundenlang warten muss, um zu einem Modeflohmarkt in einer alten Fabrikhalle in Frankfurt am Main eingelassen zu werden.

Petra ist putzig. Schnell erfahre ich, dass sie sich auf ihren runden Geburtstag freut. Nein, der 50. ist es sicher nicht, denke ich. Es kann nur der 40. sein. Es ist der 44.! Eine Frau, die sich schon monatelang vorher auf ihren runden  44. Geburtstag freut (…) Eigenartig! „Älterwerden ist schön!“ Und sie legt sogar noch eine Schippe drauf.

Wir sind nun endlich drin. Ich lasse meine zwei Kumpels, mit denen ich mich ursprünglich verabredet habe, einfach stehen und laufe dem sprudelnden Quell immer hinterher. Schließlich fläzen wir uns in eine Sesselgruppe. Frankfurter trifft Offenbacherin. Ob das was wird?

Anschließend in der U-Bahn auf dem Weg zur Aftermodeflohmarktparty ins Bahnhofsviertel schwoft die konventionell ungezwungene Petra mit den anderen Passagieren im Abteil. Die gebürtige Kölnerin hat sich früher regelmäßig über die sture Scheuklappenmentalität der Hessen mokiert, die am liebsten bei sich bleiben wollen. Doch mit ihr verlieren die Fahrgäste schließlich ihre Contenance. Ein großer Spaß!

Apropos Contenance verlieren. Da fällt mir eine sagenhafte Geschichte ein, die mir neulich ein Freund erzählte: Ein Betrunkener torkelt dabei in einen S-Bahn-Wagen rein, verstaut sein Dosenbier-Sixpack unter einem Klappsitz und setzt sich dann. Der streng riechende Alki steht anschließend noch einmal unsicher auf, um sich seine Hose zu richten. Die anderen Fahrgäste rümpfen schon ihre Nasen. Während sie ihre Nasen rümpfen, klappt sein Sitz nach oben.

Die Spritnase, die schon lange nichts mehr rafft, will sich wieder setzen, platscht aber jetzt mit einer nahezu perfekten Arschbombe auf die Bierdosen unter ihr. Wahre Bierfontänen ergießen sich auf Mutter mit Kinderwagen, Banker mit hipper Ledertasche unter dem Arm und weitere unbescholtene Bürger. Gefährliche Lynchmordstimmung unter der Bierdusche, während der Rest des Abteils wiehert vor Lachen.

Szenenwechsel:

Petra hat mir gemailt: hai Claus! alles gut verlaufen 🙂 mir gehts gut. war wirklich ekelig was die mir da rausgefischt haben. hab heute wieder jemanden glücklich gemacht., hab zwei zahneckchen angefertigt und angeklebt… sieht echt super aus.

Das passt zu ihr! Eben noch auf dem Operationstisch gelegen und am nächsten Tag wieder in der eigenen Arbeit aufgehen. Das ist schon workaholic, oder? Aber wenn sie es doch liebt, was sie macht! – Super Zahneckchen ankleben?

Das ist wohl dann Kunst?! Nun denn, in den nächsten Tagen werde ich Petra einmal in ihrem Atelier besuchen.

Sektchen zur Begrüßung. Die Zahntechnikerin ist ein Genussmensch. Nach ihrer Ausbildung wusste sie um ihre Leidenschaft, zukünftig „schöne und bunte Zähne zu gestalten.“

Was war der auslösende Moment?

Für einen guten Freund, der einen Goldzahn wie Madonna haben wollte, entwickelte ich 1997 tatsächlich einen Zahnschmuck zum Aufstecken und wieder Abziehen. Darauf habe ich dann ein Patent angemeldet.

Und warum ist Älterwerden schön?

Ich mag das Gefühl, dass man immer bewusster wird und durch seine Erfahrungen innerlich wächst. Das ist das, was ich am Älterwerden schön finde.

Und das ist dann ausschlaggebend für das Lebensgefühl?

Ja! Je älter ich werde, umso interessanter finde ich mein Leben, weil ich mein Leben ja selbst gestalte. Ich habe jahrelang immer fulltime gearbeitet und meine ganzen  künstlerischen Tätigkeiten nebenbei gemacht und mittlerweile habe ich mir mein Leben so gestaltet, dass ich nur noch parttime arbeite und somit genug Zeit habe für meine Künste.

Weniger Gesundheit im Alter zum Beispiel könnte aber dieses Lebensgefühl beeinträchtigen.

Ich glaube aber, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper wohnt. Ich will damit sagen, dass, wenn du dich geistig gut fühlst und das tue ich, dann können einen kleine Zipperlein bzw. Narbenziehen nicht aus der Rolle bringen.

Was hat das mit deiner Arbeit zu tun, dass du dich geistig wohl fühlst?

Total, weil ich da voll drin aufgehe, schon immer. Ich liebe meine Arbeit.

Mit anderen Worten: Es ist nicht nur ein Handwerk, sondern viel mehr?

Bei mir ist es die pure Leidenschaft.

Sicher kann man pure Leidenschaft für ein Handwerk empfinden. Worin liegt aber die geistige Komponente bei Schmuckdesign für Zähne?

Ja, das ist, dass ich mich in diesem ganzen Ding so weiterentwickelt habe. Ich habe ja damals angefangen mit Brillianten in den Zähnen, habe viele Ideen umgesetzt, wie Schlangen, die sich über die Zähne räkeln usw. Was mich immer daran gereizt hat, ist die Essenz, Zahnschmuck so ästhetisch wie möglich zu machen.

Und das kann man immer steigern und vollkommener machen?

Ich habe mich so weiterentwickelt in meinem Zahnschmuck, dass ich ihn wirklich als ästhetisches Produkt anbieten kann. Er soll ja im Prinzip das Gesicht untermalen und noch dieses i-Tüpfelchen darstellen. Es hat etwas mit Fashion zu tun und mit sich wohlfühlen. Wir laufen ja nicht nackt durch die Weltgeschichte.

Ohne Typberatung wird es sicherlich kaum gehen?

Genau, das Schmuckstück sollte nicht gleich auffallen, sondern so dezent eingesetzt werden, dass es den Typ unterstreicht bzw. seine Merkmale positiv ins Licht setzt. Es muss also raffiniert aussehen! 

Die unermüdliche Frau muss jetzt weitermachen. Aber bald ist ja Tanz in den Mai. Und wenn Petra, die sich in ihre Arbeit richtig verbeißen kann, erst einmal feiert …

(Der Artikel wurde Ende April geschrieben. / Foto: Pixabay)

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