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Alte Worte über die Kirche

Alle jungen Sekten sind im tiefsten Grunde staats- und besitzfeindlich, gegen Stand und Rang und für allgemeine Gleichheit eingenommen. Und die Politik altgewordener Kirchen, so konservativ sie in bezug auf sich selbst sind, ist immer in Versuchung, in bezug auf den Staat und die Gesellschaft liberal, demokratisch, sozialistisch, also einebnend und zerstörend zu werden, sobald der Kampf zwischen Tradition und Mob beginnt.

Alle Priester sind Menschen und damit wird das Schicksal der Kirche von dem menschlichen Material abhängig, aus dem sie sich in schneller Folge zusammensetzt. Selbst die strengste Auswahl – und sie ist in der Regel meisterhaft – kann nicht verhindern, daß in Zeiten des gesellschaftlichen Verfalles und revolutionären Abbaus aller alten Formen die gemeinen Instinkte und das gemeine Denken häufig und selbst herrschend werden. Es gibt in allen derartigen Zeiten einen Priesterpöbel, der die Würde und den Glauben der Kirche durch den Schmutz parteipolitischer Interessen schleift, sich mit den Mächten des Umsturzes verbündet und mit den sentimentalen Phrasen von Nächstenliebe und Schutz der Armen die Unterwelt zur Zerstörung der gesellschaftlichen Ordnung entfesseln hilft – der Ordnung, mit welcher auch die Kirche unwiderruflich und schicksalhaft verbunden ist. Eine Religion ist das, was die Seele der Gläubigen ist. Eine Kirche ist so viel wert, als das Priestermaterial wert ist, aus dem sie sich zusammensetzt.

Am Anfang der Französischen Revolution stehen neben dem Schwärm verkommener Abbes, die seit Jahren gegen Monarchie, Autorität und Stand spöttisch schrieben und redeten, der entlaufene Mönch Fouché und der abtrünnige Bischof Talleyrand, beide Königsmörder und Millionendiebe, napoleonische Herzöge und Landesverräter. Seit 1815 wird der christliche Priester immer häufiger Demokrat, Sozialist und Parteipolitiker, Das Luthertum, das kaum, und der Puritanismus, der gar keine Kirche ist, haben als solche keine destruktive Politik getrieben. Der einzelne Priester ging für sich »ins Volk« und zur Arbeiterpartei, redete in Wahlversammlungen und Parlamenten, schrieb über »soziale« Fragen und endete als Demagoge und Marxist. Der katholische Priester aber, stärker gebunden, zog die Kirche auf diesem Wege hinter sich her. Sie wurde in die Agitation der Parteien verflochten, zuerst als wirksames Mittel und zuletzt als Opfer dieser Politik. Eine katholische Gewerkschaftsbewegung mit sozialistisch-syndikalistischen Tendenzen gab es in Frankreich schon unter Napoleon III. In Deutschland entstand sie seit 1870 aus der Furcht, daß die roten Gewerkschaften die Macht über die Massen der Industriegebiete allein eroberten. Und alsbald verständigte sie sich mit diesen. Alle Arbeiterparteien sind sich ihrer Gemeinsamkeit dunkel bewußt, so sehr die Führergruppen einander hassen.

Es ist lange her, seit der weltpolitische Blick Leos XIII. Schule machte und in Deutschland ein echter Kirchenfürst wie Kardinal Kopp den Klerus regierte. Damals war die Kirche sich bewußt, eine konservative Macht zu sein, und wußte sehr genau, daß ihr Schicksal mit dem der übrigen konservativen Mächte, der staatlichen Autorität, der Monarchie, der gesellschaftlichen Ordnung und des Eigentums verbunden war, daß sie im Klassenkampf unbedingt gegen die liberalen und sozialistischen Mächte auf der »rechten« Seite stand und daß davon die Aussicht abhing, das revolutionäre Zeitalter als Macht zu überdauern. Das hat sich schnell geändert. Die seelische Disziplin ist erschüttert. Die pöbelhaften Elemente im Priestertum tyrannisieren durch ihre Tätigkeit die Kirche bis in die höchsten Stellen hinauf, und diese müssen schweigen, um ihre Ohnmacht nicht vor der Welt zu enthüllen. Die Diplomatie der Kirche, einst vornehm von oben her und über Jahrzehnte hin die Dinge taktisch beurteilend, hat in weiten Gebieten den gemeinen Methoden der Tagespolitik Platz gemacht, der parteimäßig demokratischen Agitation von unten mit ihren nichtswürdigen Kniffen und verlogenen Argumenten. Man denkt und handelt auf dem Niveau der großstädtischen Unterwelt. Man hat das überlieferte Streben nach weltlicher Macht auf den kleinen Ehrgeiz von Wahlerfolgen und Bündnissen mit anderen Pöbelparteien zum Zweck materieller Erfolge reduziert. Der Mob in der Priesterschaft, einst streng gezügelt, führt heute mit seinem proletarischen Denken die Herrschaft über den wertvollen Teil des Klerus, welcher die Seele des Menschen für wichtiger hält als seine Wahlstimme und metaphysische Fragen ernster nimmt als demagogische Eingriffe in das Wirtschaftsleben.

(Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung, Die weiße Weltrevolution, 14. Typus des Demagogen)

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