Gesichtet

Architektur der Standardisierung und Kontrolle

Eines der wichtigsten Kritikfelder konservativer Philosophen an der modernen Welt ist neben dem Moralverfall und dem kritiklosen Technikglauben die „hässliche“, moderne Architektur, welche die mittelalterlichen Bauwerke niederriss und durch lieblose Betonwüsten ersetzte.

Die „Hässlichkeit“ der modernen Architektur wird von ihren konservativen Kritikern momentan meistens auf einen Kulturmarxismus geschoben, der die Unterschiede zwischen talentierten und untalentierten Künstlern einebnen würde. Ein Beispiel für diese Argumentationsweise ist der Youtuber Paul Joseph Watson. Alternativ dazu werden einige bekannte „architektonische Bösewichter“ wie Le Corbusier ausgemacht.

Betonarchitektur

Er ist eine beliebte Zielscheibe für Kritik, da er die typisch hässliche, moderne „Betonarchitektur“ erfand, die beispielsweise in Plattenbauten verwendet wurde.  Gleichzeitig neigte Le Corbusier den Einsatz von Beton so weit zu treiben, dass oft sogar an Fenstern gespart wurde, was eine sehr bedrückende und klaustrophobische Atmosphäre schafft. Hadmut Danisch hat mal treffend kommentiert: „Brutale Architektur passt als Name für sowas mehr als gut.“

Diese Argumentation ist einfach zu ziehen. Jedoch bleibt sie zu oberflächlich. Das wird unter anderem dadurch deutlich, dass dabei oft Fakten ausgeklammert werden, die zeigen, dass dieses Problem schon früher als in den 60er Jahren begann. Zum Beispiel stimmt es, dass Le Corbusier in seinem berüchtigten „Voisin Plan“ Paris einreißen und als am Raster entstandene Stadt mit gleichförmigen Wohntürmen neu errichten wollte. Jahrzehnte vor Le Corbusier gab es aber den Stadtplaner Georges-Eugène Hausmann, der große Teile von Paris einebnen und neu bauen ließ, um die Stadt kontrollierbarer zu machen. Le Corbusier ist eigentlich nur dessen Beispiel gefolgt.

Nordkoreanische Entwürfe

Dann ist es so, dass diese Architektur sich über die gesamte Welt ausbreitete, über alle Grenzen von Kultur und politischer Ideologie hinweg. Selbst Ayn Rand pries diesen Stil als „rational“. Jedoch gab es auch viele Entwürfe an moderner Architektur, die deutlich besser, lebensfreundlicher und schöner wirkten, aber niemals gebaut wurden. Gerade in Folge des Atomzeitalters und des beginnenden Weltraumzeitalters sind richtig beeindruckende Entwürfe entstanden. Und selbst die nordkoreanische Architektenschule „Paekdusan Institut“ hat deutlich lebensbejahenderes entwickelt als das, mit dem man tatsächlich die Städte zukleisterte.

Doch wieso blieben schöne Ideen der architektonischen Moderne nur ferne Erinnerungen an ein besseres Morgen, die man heute nur noch in Futurama, Jetsons, Alarm im Weltall oder Raumschiff Enterprise bestaunen kann, während unsere realen Städte als Betonwüsten verunstaltet wurden?

Die Ursachen liegen weitaus tiefer und berühren die fundamentalen Grundlagen der Denkweise der modernen Epoche. Laut dem Kulturphilosophen René Guénon, der etwas unbekannter als Julius Evola ist, aber dessen Lehrmeister war, ist die bestimmende Geisteshaltung der Moderne die sogenannte „Herrschaft der Quantität“. Damit ist gemeint, dass man versucht, alles auf eine möglichst kleine Zahl von gleichförmigen „Grundeinheiten“ zu reduzieren und den Rest dann als Positionierung dieser Grundeinheiten zu begreifen oder zu erstellen. Und wenn etwas nicht aus Grundeinheiten besteht, wird es auf diese hinunter standardisiert.

Reglementierungswut

Im menschlichen Leben ist dieses Phänomen absolut lebensfeindlich, weil man den Menschen dann tatsächlich von Kindesbeinen an durchplant und reglementiert. Dies führt dann dazu, dass der Mensch immer zur selben Zeit aufstehen und zur selben Uhrzeit dasselbe lernen bzw. machen muss, selbst wenn er damit nicht fertig ist, und dann zum Nächsten übergehen muss. Der Mensch wird zum komplett austauschbaren Zahnrad in einer totalitären Weltmaschine gemacht. Der Totalitarismus des 20. Jahrhunderts sei die Extremform dieser „Herrschaft der Quantität“, aber auch in der „liberalen“ Industriegesellschaft ist dies allgegenwärtig.

Diese „Herrschaft der Quantität“ passt auch perfekt zu den Eigenschaften der „brutalen Architektur“. Die Aussagen von Le Corbusier zeigen gut, dass dieses moderne Denken hinter dem architektonischen Alptraum steckt, und dass sich die moderne Architektur durchsetzte, die am besten zum Paradigma der Moderne passte. Le Corbusier betonte explizit, seine Architektur solle den Menschen vereinzeln und sein Denken „standardisieren“.

Die omnipräsente Standardisierung

Bei genauerer Betrachtung der modernen Architektur und des modernen Städtebaus fällt auf, dass dieses von Guènon beschriebene Verlangen, alles auf wenige Grundkörper und Grundformen zu standardisieren, omnipräsent ist. Der Grundkörper der modernen Architektur sind das Rechteck und der Quader. Man findet kaum ein modernes Gebäude, das nicht aus einem oder mehreren Quadern besteht. Andere geometrische Formen sind deutlich seltener.

Ein krasses Beispiel dieses Phänomens ist der durch den damaligen Bürgermeister Arnulf Klett durchgeführte Neubau des Stuttgarter Rathauses. Bei diesem könnte man buchstäblich wie in einem Computerspiel davon sprechen, dass man die „Polygonzahl“ reduziert hätte. Das frühere Rathaus hatte verschiedene Formen für Fenster und Türen, die zum Teil nicht mal geometrisch „primitive“ Formen wie einen Kreis oder ein Quadrat hatten, sondern komplett unregelmäßigen Linien folgten. Das Rathaus war übersät mit Türmchen, von denen jeder ein rundes Dach hatte. Es war verziert etc. – also eine hochkomplexe Form.

Was hat man im Namen der Moderne daraus gemacht? Man hat eine Form gewählt, die komplett aus Quadern und Rechtecken besteht, die geometrisch in regelmäßiger Form angeordnet sind. Dies zeigt auch deutlich eine Funktion dieser Standardisierung auf: Man vereinfacht Arbeitsprozesse. Selbst ein virtuelles 3D-Modell des alten Rathauses würde mehrere Wochen an Bauzeit brauchen, während das neue Rathaus innerhalb von weniger als 20 Minuten im Computer nachgebaut werden kann.

Krumme und schiefe Architektur sowie verwinkelte Gassen

Das Phänomen der Standardisierung fällt auch im Städtebau auf. Traditionelle Architektur steht wirklich „krumm und schief“, und erzeugt so extrem verwinkelte Gassen, die sogar manchmal ein extremes Gefälle haben, während moderne Stadtplanung alles in einem geometrisch gleichförmigen Raster anordnet und Höhenunterschiede eindämmt.

Warum ist das Rechteck der ideale Grundkörper? Weil dies die Form ist, die am effizientesten „Lagerplatz“ ausfüllen oder bereitstellen kann. Runde oder dreieckige Formen sorgen dafür, dass Lagerplatz möglicherweise nicht vollständig ausgenutzt werden kann. Wenn alles rechteckig ist, passt alles gut und effizient ineinander. Es kann perfekt von oben herab geplant, überwacht und kontrolliert werden. Die moderne Gesellschaft wird, wie Michel Foucault beschrieb, architektonisch zum leicht zu kontrollierenden, und zu überwachenden, riesigen Gefängnis.

Bild: Le Corbusier, Pixabay

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