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Belle Belletristik: Erfahrungshorizonte abschreiten

SAMSUNG CSCEnde letzter Woche trafen die ersten beiden Bände der edition nordost bei mir ein. Antaios-Chef Götz Kubitschek erfüllt sich mit dieser anspruchsvollen Schiene seines Verlages einen Lebenstraum, mit dem erklärten Ziel, die Konservativen endlich zum Lesen schöner Literatur zu erziehen.

Auf einer längeren Autofahrt in den Süden hatte ich die Bände am Wochenende bei mir, trug sie in der Tasche, legte sie ins Handschuhfach. Ich blätterte, erfreute mich an allem, was ästhetisch ist an diesen Büchern, und das ist viel. Der an Fernaus Privatdrucke erinnerne Einband, das moderne und solide Layout, die Punktlandungen der Illustrationen, das Papier, der Satz, das Gewicht, die Haptik. Das Künstlerherz schlug hoch und höher, jeden Cent sind diese Werke wert!

Jedoch: Wirklich komplett gelesen habe sie bislang nicht. Zeit genug hätte ich gehabt, um wenigstens einen Band ganz zu schaffen. Immer wieder habe ich angesetzt, reingelesen, doch es zog nicht durch. Der Fokus der ersten nordost-Staffel liegt auf menschlichen Extremsituationen. Der Krieg, der Kampf, die Gewalt dominieren. Irgendwann auf der Rückfahrt begann ich zu ahnen, warum ich keinen Zugang finde: Der Krieg fällt nicht in meinen Erfahrungshorizont.

Ich fragte mich, wie ein durchschnittlicher Szene-Leser, dessen extremste Lebenssituationen bislang im Brandloch in der Barbour-Jacke oder dem abgelehnten BAföG-Antrag bestanden, auf diese Werke reagieren wird. Wird er sie lesen, weil das irgendwie rechts ist? Weil er auch alles andere von Antaios im Schrank stehen hat? Weil es, zumindest in zwei Bänden der ersten Staffel, um den never ending WK II geht? Wird er sie überhaupt lesen? Und wenn ja, wird er sie verstehen? Wird er sein Leben ändern? Ich weiß es nicht.

So ehrlich ich diesem herausragenden Projekt wirtschaftlichen Erfolg und Rezensionen in großen Tageszeitungen wünsche, so sehr wirft diese Reihe in mir auch die Frage auf, wie man dem Ehrfahrungshorizont einer gesättigten Generation künstlerisch gerecht werden kann. Oder anders: Ob es überhaupt konservative Romane für ein konservatives Publikum geben kann? Und wenn ja, wie die dann aussehen müssen?

Warum die erste nordost-Staffel thematisch so ausgerichtet ist, macht der Briefwechsel zwischen Götz Kubitschek und Hans Bergel deutlich. Nicht nur, daß darin zwei vollkommen unterschiedliche Erfahrungshorizonte aufeinandertreffen, Kubitschek äußert auch sein Unbehagen, seine Verzweiflung gegenüber dem „unsichtbaren Gegner“, der den Zweikampf, die klare Feindbildbestimmung verhindert. Aus dieser Perspektive ist die bewußte Setzung eines Gegenbildes, in dem es identifizierbare und bekämpfbare Gegner gibt, nur zu verständlich. Jedoch: Wenn Kunst das Leben ändern soll, hilft dieses Gegenbild nicht weit. Die Fragen des Alltags – die konservatives Handeln, Gestalten, Fühlen und Denken aus sich heraus mehr als alles andere bestimmen – bleiben unbeantwortet.

Till Röcke jedenfalls wird sich der Bände Stück für Stück annehmen. In Kürze also mehr dazu aus einer anderen Perspektive.

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