Gesichtet

Christenverfolgung im Iran

„Was machst du, wenn du dich mit anderen Christen triffst? – Welche Lieder singt ihr? – Für welche Organisation arbeitet ihr? – Schreib die Namen von allen anderen Christen auf!“

Wer im Iran Leiter oder Mitglied einer Untergrundkirche ist, lebt gefährlich. Kommt der Geheimdienst einer Hausgemeinde auf die Spur, drohen Verhöre und Verhaftungen. Laut Open Doors, dem überkonfessionellen Dienst für verfolgte Christen weltweit, wurden iranische Christen allein im Jahr 2020 zu knapp 150 Jahren Gefängnis verurteilt.

Der aus dem Islam konvertierte Nasser Navard Gol-Tapeh als Beispiel verbüßt seit Januar 2018 im für seine grausamen Haftbedingungen berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran eine zehnjährige Haftstraße. Weil Bibellektüre und Lobpreislieder „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“ darstellten. Dass seine beantragte Wiederaufnahme des Verfahrens schon drei Mal abgelehnt wurde, verwundert angesichts der politischen Großwetterlage kaum.

Bedrohung des Islams?

Zwar sind Christen, die Angehörige der ethnischen Minderheiten sind (Armenier, Assyrer, Chaldäer), weitgehend in die Gesellschaft integriert. Soweit sie ihre Arbeit ausschließlich auf die Angehörigen der eigenen Gemeinden beschränken, werden sie geduldet. Im Feuer stehen aber missionierende Christen. Die eigentliche Agenda formulierte der mit unumschränkten Machtbefugnissen über alle Institutionen herrschende Revolutionsführer Ali Chamenei, der „christliche Untergrundkirchen als große Bedrohung des Islams sowie Verführung der iranischen Jugend“ bezeichnet.

Am 25. April 2015 sagte er vor den Mitgliedern des Hohen Rats für islamische Lebensweise: „Wir hatten eine islamische Revolution, dann bildeten wir eine islamische Ordnung, die nächste Phase ist der islamische Staat, dann kommt die Bildung der universellen islamischen Zivilisation. Vorher muss man aber eine Vorstellung davon haben und hier im Iran ein Modell bauen.“

Entwicklung zum totalitären Staat …

Sechs Jahre später macht Modellbauer Chamenei bezeichnenderweise Blutrichter Ebrahim Raisi zum Präsidenten des Irans. Beobachter werten Raisis Ernennung lediglich als Zwischenschritt auf dem Weg zur Nachfolge des 81-jährigen Revolutionsführers. Für Martin Lessenthin, Vorstandssprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), eskaliert die Lage: „Seit 2018 gibt es deutlich mehr Hausdurchsuchungen bei Konvertiten und Bespitzelungen im Internet und privaten Umfeld, Drohungen gegen Angehörige und Arbeitskollegen, Verhöre und Haftstrafen“.

Ähnlich sieht es Open Doors, der den Iran im Weltverfolgungsindex 2021 der 50 Länder, in denen Christen der stärksten Verfolgung und Diskriminierung wegen ihres Glaubens ausgesetzt sind, auf Platz acht setzt: „Der Iran entwickelt sich immer mehr zu einem totalitären Staat.“

Wie um diese Aussage zu bestätigen, verabschiedete das iranische Parlament am 20. Mai 2020 zwei Änderungen der Artikel 499 und 500 des islamischen Strafgesetzbuches, die von Vorgängerpräsident Hassan Rohani Anfang des Jahres ratifiziert wurden. Artikel 500 sieht nun eine Strafe von zwei bis fünf Jahren Haft vor für den Straftatbestand „jeder abweichenden erzieherischen oder bekehrenden Tätigkeit“ von Mitgliedern von „Sekten“, die „dem heiligen Gesetz des Islam widersprechen oder es beeinträchtigen“. Das Tor zu einer umfassenderen Unterdrückung nicht anerkannter religiöser Minderheiten steht seitdem offen.

… und trotzdem Säkularisierung

Immerhin findet in der „Islamischen Republik“ keine nennenswerte Verlagerung von der staatlichen auf die private Ebene statt, wie sie in anderen Ländern mit steigendem Verfolgungsdruck auf religiöse Minderheiten zu beobachten ist. Dazu wäre auch die Kluft zwischen den Menschen und dem theokratischen Regime zu groß.

Nach über 40 Jahren politischem Islam ist der Iran heute eines der am stärksten säkularisierten Länder der Region. Laut einer neuen Studie zweier Religionswissenschaftler an der Universität Utrecht verstehen sich nur noch rund 40 Prozent der Iraner als muslimisch. Ein Profiteur ist das Christentum. Während man zur Zeit des Schahsturzes etwa 10.000 Konvertiten im Land zählte, beten heute mehrere Hunderttausend Ex-Muslime Jesus Christus an.

Sie haben es nicht einfach. Sie sind der Teil der bedrohten christlichen Welt, zu der das christliche Hilfswerk Open Doors seit 1955 unermüdlich Brücken baut. Angst schwingt dabei immer mit. So sagt einer ihrer Referenten: „Bitte erwähnen Sie in Ihrem Bericht meinen Namen nicht, um Menschen auf meinen Reisen durch den Iran nicht in Gefahr zu bringen.“

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