Gesichtet

Das Fortleben der „schwarzen Legende“

Immer noch sehr beliebt unter Multikulti-Sentimentalisten sowie Besserwissern ist die Anklage, die Spanier hätten die Juden und Araber vertrieben bzw. mit Gewalt zum Christentum bekehrt. Diese Anklage ist allerdings nur erbärmlich dumm und oberflächlich.

Ähnlich verhält es sich mit dem Vorwurf – so gehört während meiner Gymnasialzeit, und zwar aus dem Mund einer türkischen Mitschülerin – spanische Mönche hätten in ihrem Fanatismus wertvolle arabische Bücher und Handschriften verbrennen lassen. Das ist nur teilweise richtig. Es gab mehr als genug Geistliche, die diese Schätze sammeln und übersetzen ließen.

Auch bezüglich vorkolumbischer Kodizes gab es mindestens genauso viele Rettungen wie Verbrennungen. Man kann auf die Menschen vergangener Jahrhunderte wohl kaum die moralischen Maßstäbe unserer unbedarften Gegenwart anwenden, die umso unbedarfter ist, je mehr weichgespült „pluralistisch“ und absurd-tolerant sie ist.

Antispanisches Ressentiment der Deutschen und Niederländer

Die Deutschen haben die Spanier auf dem Kieker spätestens seit dem Dreißigjährigen Krieg: Unzählig sind die Flugblätter, die vom „spanischen Türck“ und seinen Gräueltaten berichten. Schiller hat in seinem Wallenstein II – Die Piccolomini sehr gut die im damaligen Heiligen Römischen Reich verbreitete Meinung eingefangen. Er lässt den böhmischen Kellermeister sagen (zu Neumann): „´s ist nichts mit den Hispaniern, sag ich Euch, die Welschen alle taugen nichts.“

Dass gerade protestantische Menschen den Spanier mit Verachtung, fast schon Ekel, betrachten, das  habe ich selbst erlebt, wenn auch nicht am eigenen Leib. Und noch vor dem Dreißigjährigen Krieg hatten die Protestanten aus Philipp II. – den, der von den Engländern höhnisch „unbesiegbar“ genannten Armada – den „Teufel des Südens“ gemacht.

Das wurde auf alle Spanier ausgedehnt und hält wohl noch bis heute vor. Die Niederländer kultivierten über Jahrhunderte eine spezifische Abneigung gegen das Spaniertum. Der Grund: Der Herzog von Alba hatte im 16. Jahrhundert den niederländischen Aufstand blutig niedergeschlagen, die Grafen Horn und Egmont zum Schrecken aller hinrichten lassen. Daraus wurde ein echter Dauerbrenner, erst in der protestantischen, dann in der von dieser beeinflussten liberalen Geschichtsschreibung. Und noch heute soll der blutrünstige Alba in einigen Gegenden Belgiens und Hollands ungehorsame Kinder holen kommen …

Das mit den Ureinwohnern Amerikas

Was den Spaniern immer noch vorgeworfen wird, ist tatsächlich die Eroberung, Kolonisierung, Ausbeutung, und Unterdrückung der amerikanischen Ureinwohner, namentlich der Inkas und Azteken. Die Spanier sollen die Hauptschuld – für manche Alleinschuld – an ihrer Ausrottung tragen.

Dabei hatten diese Völker Glück, dass es Spanier waren, die sie eroberten, nicht Engländer oder Franzosen. In diesem letzteren Fall nämlich wären sie wirklich geschlachtet worden. Auch war es nur eine Handvoll Spanier, die unter Cortés das Aztekenreich eroberte. Und weder das Pferd, noch die Feuerwaffen noch die unpraktischen Rüstungen brachten den Eroberern einen Vorteil.

Den Vorteil brachten ihnen verbündete Indianerstämme, die bis dato Opfer der menschenfressenden Azteken gewesen waren. Übrigens: Den Kannibalismus der Azteken interpretiert der Anthropologe Marvin Harris als eine Form der Ausbeutung, und zwar der Proteine wegen. Ein schlimmeres Motiv der Ausbeutung als dieses kann man sich gar nicht vorstellen.

Menschenrechte – christlich begründet

Ausbeutung durch die Spanier, wenn auch weniger krass als die der Azteken, gab es zwar in Mexiko genauso wie in den Anden. Dennoch versuchten spanische Vizekönige, Gouverneure und Geistliche, das Los der Eingeborenen zu verbessern. Und im Mutterland wurde die Rechtmäßigkeit der Eroberung diskutiert. Zum ersten Male in der Geschichte wurden die Menschenrechte, und zwar vom christlichen Gedanken aus, begründet.

Kein anderes Volk hätte sich die Mühe gemacht, Wilden Menschenrechte zuzugestehen, auch wenn das in der Praxis nicht immer zu realisieren war. Es wurden Maßnahmen getroffen, wie die sich selbst verwaltenden jesuitischen Reduktionen (Schutzgebiete) für die Indianer Paraguays. Also: so böse und unbarmherzig sind die Spanier doch nicht umgesprungen mit ihren Indianern.

Alexis de Tocqueville erwähnt bezüglich der Ausrottung der Indianer, dass die US-Amerikaner damit viel erfolgreicher waren als die Spanier. Tocqueville hatte selbst in Erfahrung gebracht, wie die US-Amerikaner mit den Ureinwohnern verfuhren, bezüglich der Spanier jedoch stand auch er leider unter dem Einfluss der „schwarzen Legende“.

Ein unverzeihliches Weltreich modelt den Nationalcharakter für Jahrhunderte

Das unverzeihlichste Verbrechen der Spanier jedoch ist, ein großes Weltreich besessen zu haben, eine Tatsache, die das britische „Empire“ von Geburt an mit einem bösen Minderwertigkeitskomplex belastete: Wie war es nur möglich, dass der göttlichen angelsächsischen Rasse in all ihrem Arbeitsfleiß und trotz überlegener Technik und kapitalistischem Reichtum selbst nach zwei Jahrhunderten einfach nicht gelingen wollte, was diesen zurückgebliebenen Katholiken innerhalb weniger Jahrzehnte und mit viel bescheideneren Mitteln gelang?

Die Engländer haben den Spaniern ihr Weltreich nicht verziehen und sind deshalb auch nicht müde geworden, es schlecht zu machen. In Malthus´ Essay on the Principle of Population (1798) werden die spanischen Kolonien als die am schlechtesten verwalteten bezeichnet.

Dieses alles andere als schlecht verwaltete Weltreich dauerte aber fast drei Jahrhunderte. Während seines Bestehens hat es Spanien ausgezehrt bei gleichzeitiger Modelung des Nationalcharakters: ein Stolz, für den es anscheinend nicht den geringsten Anlass gibt, eine für Außenstehende unbegreifliche Unterentwicklung des Arbeitsethos, dagegen aber eine ausgeprägte Neigung, von „in Besitz genommenem Kapital“ zu leben sowie die Unfähigkeit, Benjamin Franklins Satz, dass Zeit Geld ist, zu begreifen – eine fatale Kombination, wenn man sich die kapitalistische Entwicklung des Abendlands vor Augen hält.

Piraten und Spanier

Je schwerer den Spaniern selbst der Anschluss an eine kapitalistische, technologische und politische Moderne fiel, desto mehr hielten sich jahrhundertealte Stereotype und, mit ihnen, die traditionellen Hass- und Zerrbilder. Im Piratengenre der 1940er und noch bis in die 1960er Jahre, z.B. in Pirat der sieben Meere, werden die Spanier der Lächerlichkeit preisgegeben: als schläfrige und tölpelhafte Zeitgenossen, denen man leicht ihre Beute – d.h. das von den Indianern geraubte Gold – wegnehmen kann.

Wie eine späte Wiedergutmachung nimmt sich die Rolle aus, welchen den Spaniern in Fluch der Karibik 4 – Fremde Gezeiten zukommt: tölpelhaft und sogar irrsinnig sind hier nur die Engländer und der verfluchte Blackbeard. Die stolzen Spanier aber sind würdige Nachfahren christlicher Ritter: „Nur Gott kann ewiges Leben verleihen, nicht dieses heidnische Wasser.“

Sie erlegen nicht einer Versuchung, der jeder moderne Mensch sofort erlegen würde, sondern zerstören den „heidnischen Ort“. Das ist wahrhaftige Größe, das sind Spanier, wie sie sein sollen. Die heutige Realität schaut freilich anders aus. Aber, bei welchem Volk, das seine besseren Tage längst hinter sich hat, tut sie das nicht?

(Bild: Philipp II.)

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