Gesichtet

Der Che der deutschen Rechten: Albert Leo Schlageter

Der Dramatiker Heiner Müller hat einmal die Ansicht geäußert, ein Volk ohne kollektive Kraft, müsse die Kraft von den Toten beziehen.

In Zeiten, in denen die eigene Kultur, das eigene Herkommen, der eigene Grund und Boden von innen wie von außen existenziell bedroht sind, ist die Rückbesinnung auf die Ahnenreihe mehr als nur Folklore. Sie wird zu einem notwendigen „Verlängerungskabel“ zu alten, nicht verjährten Kraftquellen des eigenen Willens. Es gab sie auch in der deutschen Geschichte, die großen Einzelnen, in denen sich das Schicksal des Volkes besonders in Krisenzeiten verdichtete und verkörperte.

Zu nennen wären da Arminius, Luther, Major Schill, Oberst von Stauffenberg, vielleicht auch Pastor Brüsewitz. Für sie wie für uns gilt: Abstrakte Leben gibt es nicht, sie gehen alle durch Geschichte und Prägung. Auch Albert Leo Schlageter war einer dieser emblematischen Figuren. Verehrt, verfemt und vergessen stand dieser eher wortkarge Kämpfer mit dem Priestergesicht in einem Zeitfenster des 20. Jahrhunderts für ganz Deutschland und das sogar über Klassengrenzen hinweg.

Ein Theologe an der Front

Das Geradlinige und das Ideelle standen ihm gleichermaßen ins Gesicht geschrieben. In Erinnerung blieben manchem seine feinen Züge mit den schüchternen Augen. Von ihm sind keine schneidigen Reden, keine Zeugnisse intellektueller Brillanz und auch keine Anekdoten überliefert. Er geht ganz in der Tat auf, unerbittlich und rastlos, ist ganz Hingabe. „Ich stehe unter dem Zwang einer Aufgabe. Ich kann nicht anders“, wird er später seiner ersten und einzigen Liebe in einem Brief schreiben.

Mutter und Dorfpfarrer hätten den begabten Jungen gern im Dienst der Kirche gesehen, doch der Erste Weltkrieg macht einen dicken Strich durch die Rechnung. Geboren wird Albert Leo Schlageter am 12. August 1894 im idyllischen Schönau im Südschwarzwald. Vom besagten Pfarrer erhält der Bauernjunge den ersten Lateinunterricht, bevor er aufs Gymnasium nach Freiburg und Konstanz darf.

Im Dezember 1914 legt er wie so viele seiner Generation das Notabitur ab und rückt in die Kaserne des badischen Feldartillerieregiments 76 ein. Noch während des zweiten Kriegsjahres ist er als Student der katholischen Theologie in Freiburg immatrikuliert. Im Feld zeichnet er sich aus, wird zum Offizierslehrgang abkommandiert und befehligt als junger Leutnant bald eine Batterie. Seine ihm unterstellten Soldaten werden sich daran erinnern, dass es bei Leutnant Schlageter nur ein „neben ihm“ und nicht ein „unter ihm“ gegeben hätte.

Hilferuf aus dem deutschen Osten

Als kurz nach dem Krieg Abgeordnete der Soldatenräte bei ihm vorstellig werden und barsch einen Soldatenrat einfordern, entgegnet er trocken: „Fragen Sie die Unteroffiziere.“ Diese machen den Abgesandten dann schnell klar, dass so etwas in ihren Reihen nicht nötig wäre. Schlageter ist auf allen Schlachtfeldern der Westfront dabei: Verdun, Hartmannsweilerkopf (Vogesen), Flandern.

Er wird mit dem Eisernen Kreuz beider Klassen ausgezeichnet und muss 1917 den Verlust seines ebenfalls im Feld stehenden Bruders Emil verkraften.
Nach dem Krieg nimmt er entgegen seiner Erstimmatrikulation das Studium der Nationalökonomie an der Universität Freiburg auf und tritt zugleich der katholischen Studentenverbindung Falkenstein bei. Da ereilt ihn ein Hilferuf aus dem deutschen Osten. Schlageter ist von nun an wieder Soldat und wird es bis zu seinem frühen Tod bleiben.

Die Pflicht

Was den geordnet in die Heimat zurückkehrenden Fronttruppen im November 1918 erwartet, ist nichts Geringeres als ein Weltuntergang. Abdankung des Kaisers, Meuterei, Revolution und die Ausrufung der deutschen Republik stürzen viele in eine seelische Erschütterung, während sie andere wiederum befreien. Truppen der Revolution, vor allem die meuternden Matrosen der Volksmarinedivision und die mehrheitlich konservativen Fronttruppen stehen sich feindlich gegenüber.

Arbeiter- und Soldatenräte nach bolschewistischem Vorbild und die Regierung der Volksbeauftragten unter Friedrich Ebert konkurrieren um die Macht. Reichskanzler Ebert von der SPD ist bald auf die alten Kräfte angewiesen, soll die Ordnung wiederhergestellt werden. Doch die Oberste Heeresleitung (OHL) ist der Bürgerkriegssituation nicht gewachsen. Aus den Rängen der Unteroffiziere des kaiserlichen Heeres haben sich derweil Freiwilligenverbände zusammengetan, die den Kampf gegen die kommunistischen Spartakisten aufnehmen, erst in Berlin, dann in ganz Deutschland.

Diese Verbände erhalten die Bezeichnung Freikorps und sollen gemeinsam mit regulären Truppenteilen die Aufständischen bezwingen. Die OHL unterstützt diese Initiative, belässt sie doch die politische Verantwortung bei der Regierung Ebert. Der ehemalige Holzfäller Gustav Noske, der als einer der wenigen SPD-Politiker das Vertrauen und den Respekt der Armeeführung genießt, übernimmt das Reichswehrministerium und koordiniert die militärischen Gegenmaßnahmen.

Basisdemokratie in den Freikorps

Anfangs verlangen die Freikorps von Bewerbern noch den Nachweis des geleisteten Kriegsdienstes, später genügt der einer militärischen Ausbildung, viel später werden auch Studenten und Freiwillige aufgenommen, die über keinerlei Kampferfahrung verfügen. Viele bringen gar ihre eigenen Waffen mit. Benannt werden die Freikorps zumeist nach ihren Befehlshabern (Erhardt, Roßbach, Epp, Loewenfeld etc.). Diese Freikorpsführer sind von ihren Untergebenen gewissermaßen „gewählt“ worden, was paradoxerweise eine der zentralen Forderungen der Soldatenräte gewesen war.

Einigen dieser Freikorps wird sich auch Albert Leo Schlageter anschließen. So kämpft er mit seiner nach ihm benannten Sturmbatterie um die Stadt Riga, die 1919 von lettischen Verbänden der Roten Armee besetzt worden war. Aus allen deutschsprachigen Ländern (auch aus der Schweiz) folgen Freiwillige den Werbern der Reichsregierung, die unter anderem mit Siedlungsmöglichkeiten viele Mittellose anlocken. Den meisten ging es jedoch darum, das Baltendeutschtum zu verteidigen sowie das Kernland des alten Deutschritterordens vor bolschewistischer Übernahme zu bewahren.

Votum für Oberschlesien

Weitaus erbitterter sollte ein anderer Kampf im Osten werden, der um Oberschlesien. Auch auf diesem Schauplatz taucht Schlageter auf, der den Kontakt zu ehemaligen Kameraden und Mitkämpfern nicht abreißen lässt. Die Provinz Oberschlesien steht unter Verwaltung einer Interalliierten Kommission, der ein französischer General vorsteht. Die Reichsregierung vermochte es, den Entente-Mächten eine Volksabstimmung über den Verbleib der Provinz bei Deutschland abzutrotzen, die am 20. März 1920 stattfindet. 60% der Befragten stimmen für ein deutsches Oberschlesien, was polnische Scharfmacher wie Wojciech Korfanty nicht davon abhält, mit Freischärlern in das ungeschützte Gebiet einzufallen.

Da hier keine regulären Truppen aus dem Reich Zutritt haben, sickern die Freikorps heimlich ein, getarnt als Land- und Waldarbeiter aus den großen Gütern Ostpreußens. Einer von ihnen ist Albert Leo Schlageter. Diesmal übernimmt er das Kommando über eine MG-Kompanie der Kampfgruppe Hauenstein, die 1921 an der Rückeroberung des strategisch wichtigen Annabergs teilnimmt. Nach einem Intermezzo als Spion in der Völkerbunds-Stadt Danzig kommt der nächste Hilferuf aus dem Westen. Hier, im Widerstand gegen die französische Ruhrbesetzung findet Schlageter den Tod und wird sein Mythos geboren.

Der Preis

Am 11. Januar 1923 rückten fünf Divisionen der französischen Armee unter General Degoutte zusammen mit belgischen Truppen in das Ruhrgebiet ein und handelten damit rechtwidrig. In dieser Provinz standen keine deutschen Truppen. Sie sollte laut Versailler Vertrag entmilitarisiert bleiben. Grund für den Rechtsbruch waren Verzögerungen in der Reparationsleistung Deutschlands, die vom französischen Premierminister Raymond Poincaré ohne Rücksichten eingefordert wurde. Die Reichsregierung unter dem kaum bekannten Reichskanzler Wilhelm Cuno (eigentlich ein Wirtschaftsliberaler) ruft die Bevölkerung der betroffenen Gebiete angesichts des offenkundigen Rechtsbruchs zu passivem Widerstand auf.

Wasser und Elektrizität werden abgestellt, Hochöfen und Zechen werden stillgelegt. Es kommt zu Streiks und Sabotageakten, vor allem gegenüber dem nach Frankreich rollenden Güterverkehr. Rechte und linke Gruppen arbeiten hier Seite an Seite gegen den gemeinsamen Feind, der bei den Kommunisten das Etikett „Entente-Kapitalismus“ erhält. Diese ungewöhnliche Kampfgemeinschaft ist wichtig, will man die spätere (wenn auch kurzlebige) Schlageter Ehrung durch die Kommunisten verstehen.

Am 10. März fallen zwei französische Offiziere einem Attentat zum Opfer, was die Verkündigung des Belagerungszustands nach sich zieht. Jede Zusammenrottung auf den Straßen wird verboten. Die Eskalationsspirale beginnt sich zu drehen. Es kommt zu Opfern unter der Zivilbevölkerung, so etwa beim Massaker unter Krupp-Arbeitern am Ostersamstag 1923 in Essen.

Der Kampf im Untergrund

In dieser Stadt übernimmt der Badener Bauernsohn Schlageter die Führung einer Kampfgruppe, die sich auf Sabotageakte gegen die Infrastruktur des Gegners konzentrieren soll. Der Kampf wird hier im Untergrund geführt, anders als in den ländlichen Gebieten des Ostens. Mit seinen Männern späht Schlageter Ziele aus und findet ein besonders lohnendes: die Eisenbahnbrücke bei Calcum, im Düsseldorfer Stadtgebiet. Am Abend des 15. März 1923 explodiert der Sprengsatz. Französisches Militär nimmt sogleich Geiseln in den umliegenden Ortschaften. Ein Steckbrief wird unter Mitarbeit deutscher Behörden herausgegeben.

Albert Leo Schlageter muss die Quartiere wechseln, schläft jede Nacht woanders und nie ohne seine geladene Mauserpistole. Dennoch wird er in seinem Essener Quartier in der Nacht des 7. April von der französischen Kripo festgenommen. Bald schon wird von Verrat gemunkelt und der Name eines V-Manns mit Namen Wilhelm Schneider macht die Runde. Allzu viele hatten sich den geheimen Freikorps-Aktivitäten angeschlossen, vor allem nach den Übergriffen auf die Zivilbevölkerung, ein Leichtes, einen Spitzel einzuschleusen.

Am 8. Mai 1923 wird Schlageter als einziger der sieben Angeklagten wegen Spionage und Sabotage zum Tode durch Erschießen verurteilt. Die deutsche Verteidigung hatte erst am Vortag der Verhandlung Einsicht in die Anklageschrift nehmen dürfen. Gnadengesuche werden von Premier Poincaré persönlich abgelehnt. Der Todeskandidat verfasst letzte Briefe an Eltern und Geschwister, in einem versichert er: „Kein wildes Abenteuerleben war mein Verlangen, nicht Bandenführer war ich, sondern in stiller Arbeit suchte ich meinem Vaterland zu helfen. Ein gemeines Verbrechen oder gar einen Mord habe ich nicht begangen.“ Der Katholik Schlageter legt beim Geistlichen Pfarrer Faßbender die Beichte ab und empfängt die Hl. Kommunion. Sein letzter Wunsch vor der Hinrichtung ist eine Zigarette. Nach ein paar Zügen wirft er sie fort und schaut noch einen Augenblick der Glut nach, so beschreibt Wolfram Mallebrein in seinem Buch die letzten Minuten von Albert Leo Schlageter.

Der Lohn?

Ein nationaler Aufschrei geht durch Deutschland, als sich die Nachricht von Todesurteil und Hinrichtung des bis dahin relativ unbekannten Freikorps-Kämpfers verbreitet. Schon in der Weimarer Zeit bilden sich Vereine, die das Gedenken an Schlageter bewahren möchten. Insbesondere der Nationalsozialismus wird sich des Märtyrers vollumfänglich bedienen und Albert Leo Schlageter zum ersten Soldaten des Dritten Reiches küren. Denk- und Ehrenmäler übersäen das Land. Vor allem der Heimatort Schönau erhält einen mächtigen Schlageter-Obelisken, und die einstige Hinrichtungsstätte bei Düsseldorf überragt ein 27 Meter hohes Stahlkreuz, das noch in der Weimarer Republik errichtet wurde.

Damit ist es nach 1945 vorbei. Albert Leo Schlageter, der angebliche Nazisoldat, über dessen Eintritt in die NSDAP (nach einer Hitler-Rede in München 1922) lange Zeit Unklarheit herrschte, verfällt einer mit deutscher Gründlichkeit betriebenen Damnatio memoriae. Es bleibt neo-nazistischen Kreisen überlassen, mit Ausnahme der einen oder anderen Burschenschaft, den Verfemten in Ehren zu halten, was eine Rehabilitierung in der Bundesrepublik weiter ausschließt. Nach Schändungen in den 70er und 80er Jahren, werden 2013 letzte Überreste von Gedenksteinen entfernt. Dabei handelt es sich wohlgemerkt um die Reste von Resten.

Abgesehen davon, dass man das Schicksal, das eine Person posthum ereilt, nicht der Person selbst anlasten darf und abgesehen davon, dass von Albert Leo Schlageter keine antisemitischen Äußerungen bekannt sind (vielleicht hätte er gar zum 20. Juli gehört?), übersieht vor allem die Linke, wie sehr er für seinen Opfergang die Verehrung deutscher Kommunisten genoss.

Verehrung durch Kommunisten

Zeugnis davon ist die Rede von Karl Radek, jüdischer Bolschewik mit strategischem Talent und Lenins Mann für Deutschland. In seiner Rede vom 20. Juni 1923 vor Vertretern der Komintern in Moskau betont er: „Schlageter, der mutige Kämpfer der Gegenrevolution, verdient, dass wir als Kämpfer der Revolution ihm die Ehre, die Ehrenmännern zukommt, erweisen.“

Wertschätzung und Ehre gibt es wohl nur unter ehrenhaft Kämpfenden. Wo man das Kämpfen verlernt hat, braucht man auch die Ehre (und bald auch alles Andere) nicht mehr. Wie weit entfernt ist das feige Schänden und verstohlene Entfernen von Denkmälern von solch ehrenhaftem Kampf? Wie groß ist der Mangel an psychologischer Einsicht, dass man mit Verdrängen nichts aus der Welt geschafft hat? Wie gefährlich die Meinung, dass der heutige Mensch nichts mehr zu verteidigen hätte? Wie vorgefertigt die Maßeinheiten, nach denen heute gemessen und zugeteilt wird. Immerhin führte das Magazin Tichys Einblick ein Interview mit Cemil Bayik, dem derzeitigen Führer der kurdischen PKK, ein Terrorist oder ein Freiheitskämpfer?

„Die heute in Deutschland von Versöhnung, von Gutmachung, von internationaler Justiz, vom Weltgewissen reden, glauben an die Wohltaten des wirtschaftlichen Zwanges. Und wir meinen, daß Gegner nur dann voreinander Achtung haben können, wenn jeder den Wert des anderen kennt und weiß, was sie voneinander unterscheidet und zu Gegnern macht“. Der so hellsichtig sprach, tat dies nicht 2017, sondern Anfang der 1920er Jahre. Es war Kapitänleutnant Erwin Kern, der Attentäter auf Walther Rathenau, ein Idealist und Gewalttäter.

(Bild: links – Schlageter, Bundesarchiv, Bild 183-J27290 / CC-BY-SA 3.0; rechts – Einzug französischer Truppen in Essen, 1923)

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