Gesichtet

Der gläserne Mensch

Dass die NSA und natürlich auch die anderen Geheimdienste so einiges über das Privatleben der Menschen wissen, ist nach den zahlreichen Skandalen in den letzten Jahren wohl jedem bewusst. Da wurden Telefone abgehört, E-Mails mitgelesen und wer weiß noch, was sonst so alles.

Doch nicht nur die staatlichen Spionagenetzwerke haben sich tief in die Privatsphäre der Menschen eingegraben. Das Sammeln und Auswerten von Informationen gehört heute in der zivilen Wirtschaft zum alltäglichen Geschäft. Internet-Riesen wie Google, Amazon oder Facebook sammeln jede Sekunde ungezählte Mengen an Daten von ihren Nutzern und erstellen so Persönlichkeitsprofile. Natürlich nur, um ihren Nutzern behilflich zur Seite stehen zu können …

Abschied von der Privatsphäre

Doch gehen mit dem systematischen Sammeln und Auswerten von Nutzerdaten auch erhebliche Risiken einher, die das Potenzial haben, nicht nur Privatsphäre zu einem Anachronismus werden zu lassen, sondern auch das heutzutage so hochgelobte Diktum der Entscheidungsfreiheit nachhaltig infrage zu stellen.

Diese Problematik wird in dem lesenswerten Roman Zero. Sie wissen, was du tust von Marc Elsberg aufgegriffen und – zugegebenermaßen – auf die Spitze getrieben. So ist in der Buchbeschreibung folgendes zu lesen: „Wissen Sie, wo Sie vor dreiundsechzig Tagen um vierzehn Uhr zweiunddreißig waren? Fragen Sie ihren Mobilfunkbetreiber. Wissen Sie, ob Sie vor drei Wochen in einer fünfzig km/h-Zone achtzig gefahren sind? Ihr Wagenhersteller weiß es. (…) Wir sind längst gläserne Menschen.“

Wir sind gläserne Menschen geworden. So ist es kein Geheimnis, dass beispielsweise Amazon seinen Nutzern sozusagen ständig über die Schulter schaut. Kaufentscheidungen werden registriert und mit anderen Kundenprofilen abgeglichen. Somit kann mittels Logarithmen bestimmt werden, welche Produkte zukünftig empfohlen werden sollten. Und – oh Wunder! – beim nächsten Besuch auf der eigenen Facebook-Seite wird der Nutzer feststellen, dass fortan Werbeanzeigen geschaltet werden, die eben jene Produkte anpreisen.

Dein Handy weiß alles

Das mag für manch einen förderlich erscheinen. Immerhin trifft es ja mehr oder minder oft den persönlichen Geschmack. Dennoch verursacht es ein dumpfes Gefühl, dass der Datenfluss zwischen diesen Internet-Firmen bezüglich ihrer gewonnenen Nutzerdaten offenbar keinerlei Hindernisse kennt. Wenn es der eine weiß, weiß es auch der andere und damit letztlich alle.

Gleiches ist auch für Suchmaschinen wie Google zu vermerken. Einmal nach Sehenswürdigkeiten in Prag gesucht und fortan tauchen die tollsten Urlaubsangebote für einen Kurztrip in die tschechische Hauptstadt auf. Und wenn man gar die Standortfunktion auf dem Smartphone aktiviert, reicht es schon durch eine Stadt zu fahren, um über entsprechende Freizeit- und Kulturangebote benachrichtigt zu werden.

Dabei geht es nicht nur um vergleichsweise harmlose Dinge wie Kaufangebote oder Reisevorschläge. Versicherungsfirmen und Werbeagenturen nutzen ebenso die im Netz gesammelten persönlichen Daten von den Nutzern. Privatsphäre ist unter diesen Bedingungen wohl mehr Schein als Sein.

Zudem wird daran deutlich, dass Informationen heute nicht nur für Geheimdienste von unschätzbarem Wert sind. Nicht ohne Grund sind gerade die Gründer und Besitzer jener Internet-Firmen innerhalb weniger Jahre zu den reichsten Menschen der Welt geworden. In einer Welt, in der Informationen Gold wert sind, ist derjenige, der gleich einem Kraken seine Fühler in möglichst vielen Informationsflüssen hat, der König.

Wir werden zu Versuchskaninchen

Ebenso lässt sich mittels Manipulation von Datenflüssen das Verhalten der Menschen steuern. So kam bereits 2012 ans Licht, dass Facebook heimlich Experimente mit seinen Nutzern durchgeführt hatte. Hierbei wurden über die Timeline des sozialen Netzwerks die Emotionen tausender Nutzer gesteuert, ohne dass auch nur eines dieser Versuchskaninchen etwas davon geahnt hatte. Konkret wurden bei über 150.000 Facebook-Mitgliedern im Rahmen einer Studie die Timeline so manipuliert, dass darin weniger bis gar keine positiven emotionalen Posts mehr zu sehen waren. Daraufhin sank ihr Kommunikationsverhalten messbar.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter verwunderlich, dass vor allem Social-Media-Plattformen eine wahre Spielwiese für Psychologen und Verhaltensforscher sind. Wo sonst lässt sich das Verhalten von einer großen Anzahl an Menschen so leicht untersuchen. Wenn dies aber für die Forschung gilt, spricht prinzipiell nichts dagegen, gleiches für gezielte Manipulationen staatlicherseits zu verwenden. So liegt vor allem hier ein unglaubliches Potenzial, steuernd auf die Meinung und Ansichten der Menschen einzuwirken.

Das chinesische Sozialkredit-System

Ein wunderbares Beispiel dafür, wie der Staat sich dieses Potenzial zunutze machen kann, ist das von der chinesischen Volksrepublik betriebene Sozialkredit-System. Dabei handelt es sich um ein Online Rating, bei dem beispielsweise das Strafregister, die Kreditwürdigkeit, aber auch das soziale und politische Verhalten von einzelnen Personen, Unternehmen oder Organisationen zur Ermittlung der jeweiligen Reputation verwendet werden. Offizielles Ziel ist es, die Gesellschaft mittels umfassender Überwachung zu „Aufrichtigkeit“ im sozialen Verhalten zu erziehen.

Anders gesagt: Mittels totaler Kontrolle der Bürger sollen diese zu sozialem wie politischen Konformismus erzogen werden. Wer aufmuckt, wird mit einem Marker versehen und alle Wege zum sozialen und gesellschaftlichen Aufstieg nachhaltig verbaut. Wenn das in China geht, geht das ebenso bei uns. Das Ergebnis wäre eine Diktatur mit den Instrumenten des 21. Jahrhunderts. Der ständige Ausbau der Überwachung hierzulande deutet diesbezüglich in eine eindeutige Richtung.

Was aber immer das für unser Verständnis für Staat und Gesellschaft bedeutet, die Problematik des gläsernen Menschen ist durchaus real. Nicht zuletzt deswegen, weil oft Menschen freiwillig oder aus Unwissen ihre Daten ins Netz und damit zur Verfügung stellen.

Hinzu kommt: Oftmals wird man geradezu genötigt, die Dienste professioneller Datensammler in Anspruch zu nehmen, da sie das Quasi-Monopol auf dem Markt halten und der Verzicht darauf mit teils erheblichen Nachteilen für den Ottonormalbürger einhergeht.

Natürlich werden jene Online-Dienstleister niemals müde, die Lauterkeit ihrer Absichten zu betonen. Aber können wir ihnen wirklich vertrauen? Wir wissen nicht, welche Suchergebnisse uns Google wirklich zeigt. Alle? Oder nur die, die wir sehen sollen? Auch wissen wir nicht, ob uns das Navi tatsächlich den kürzesten Weg zeigt oder doch eher an einer Tankstelle vorbei, deren Betreiber eine Vereinbarung mit dem Navi-Hersteller hat. Denn in diese Daten steht uns keine Einsicht zu, wie ein BGH-Urteil bezüglich der Schufa beweist. Die auf Algorithmen basierenden Bewertungsmodelle für Menschen sind Geschäftsgeheimnisse. Laut höchstrichterlichem Urteil dürfen sie alles über uns wissen, wir aber nicht über sie.

(Bild: Pixabay)

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