Rezension

Der Ring des Fischers

Treffen sich zwei Päpste“ war auch im Mittelalter aktuell. In „Der Ring des Fischers“ zeichnet Jean Raspail die Geschichte des zweiten Papsttums von Avignon nach.

Die Erzählung beginnt Weihnachten 1993 in Rodez. Ein Bettler ist auf der Suche nach einer warmen Mahlzeit. Mehr als zehn Franc hat er nicht dafür. Wie für Raspail üblich, wechselt sich das Hier und Jetzt mit Rückblenden ab, was auch für die einzelnen Kapitel gilt. Es wird erzählt, wie der Bettler in einer Abtei zu Gast war. Am Stundengebet der Mönche hat er dort teilgenommen und wurde schließlich mit einem neuen Rucksack und unter anderem einem Messbuch als Geschenk verabschiedet.

Zweifel plagen den Mann. Offenbar trägt er ein Geheimnis mit sich herum, dessen Größe für ihn immer unerträglicher wird. Sprechen will er darüber erst nach einer langen Reise. Sein Alter ist fortgeschritten und seine Kräfte sind begrenzt. Wer der Mann ist, bleibt verborgen. Sein Name wird nicht genannt. Beschriebene Gesten wie das Segnen der Abtei deuten aber an: Er ist ein Priester, aber nicht irgendein Priester. Bevor er in Rodez nach erfolgreicher Stärkung die Christmette besucht, gerät er in Konflikt mit einem anderen Bettler, der seinen Hund auf ihn hetzen will. Er erhebt seine Hand über das angriffslustige Tier, das nach dem Wort „Sakrileg“ zu Boden geht.

Das Große Abendländische Schisma

Die Szene wurde beobachtet und von Kapitel zu Kapitel wird klar, dass der alte Bettler gar nicht so einsam ist, wie er sich fühlt. Sein Geheimnis hat höchste Aufmerksamkeit. Es beginnt 1378 in Rom. Die durch den römischen Pöbel mit Gewalt erzwungene Wahl von Bartolomeo Prignano zu Papst Urban VI. stürzt einige Kardinäle in schwere Gewissenskonflikte. Ihrer Meinung nach hätte der neue, von Avignon nach Rom zurückgekehrte Papst nicht unbedingt ein Italiener sein müssen. Weil Urban VI. um seine Macht fürchtet und nur mit Mühe den Vatikan zusammenhalten kann, wendet er brutalste Gewaltmittel auch gegen seine Kardinäle an.

Einige von ihnen fliehen daraufhin nach Fondi und wählen mit Robert von Genf einen weiteren Papst, der sich Clemens VII. nennt. Er kehrt nach Avignon zurück und genießt den Schutz Karl V., des Königs von Frankreich. Das Große Abendländische Schisma hatte begonnen. Jahrzehntelang bestimmten die damit verbundenen gewaltsamen Rivalitäten zwischen den beiden Päpsten die Politik des europäischen Kontinents. Alle Versuche der Schlichtung scheiterten und auch zwei aufeinanderfolgende dritte Päpste in Pisa konnten das Problem nicht lösen.

Welcher Papst ist der echte?

Niemand konnte in dieser Zeit mit Sicherheit sagen, wer denn nun der echte Papst ist. Für den Papst in Rom sprach zumindest die Nähe zum Grab Petri. Die anderen beiden mussten ganz auf die Macht ihrer weltlichen Fürsprecher mit ihren Armeen vertrauen, die das Lager aber häufiger wechselten als manche Leute die Socken. Klarheit schaffte erst das Konzil von Konstanz, das von 1414 bis 1417 stattfand. Das Konzil endete nach zahlreichen Querelen mit der Wahl von Odonne Colonna zu Papst Martin V., der auch von allen weltlichen Herrschern als einzig legitimer Papst anerkannt wurde.

Aus Sicht der Geschichtsschreibung war das Schisma damit beendet, auch wenn nach Clemens VIII., mit dem sich Martin V. 1423 einigte, noch zwei weitere Gegenpäpste – jeweils mit dem Namen Benedikt XIV. – bekannt sind. Raspail schildert die historischen Umstände des Großen Abendländischen Schismas sehr anschaulich. Seiner Vermutung nach endete die Linie der Päpste von Avignon jedoch keinesfalls mit dem letzten Benedikt XIV., der 1437 verstarb, sondern wurde bis in unsere Tage von einem zum anderen Benedikt weitergegeben. Der alte Bettler aus Rodez ist der letzte in dieser Reihe.

Die Frage der Legitimität

Sein Weg soll ihn nach Rom führen. Ein von dort entsandter Erzbischof hat in Raspails Geschichte die Aufgabe, ihn aufzuspüren. Wenn es schon jahrhundertelang einen zweiten Papst im Verborgenen gegeben hat, will die römische Kirche logischerweise davon wissen. Allerhand Ermittlungen werden deshalb von dem umtriebigen Erzbischof mit besten Verbindungen zur Kurie angestellt. Er vernimmt Zeugen, sichert Beweise und folgt dem alten Bettler quer durch Frankreich. Leser im 21. Jahrhundert mögen sich fragen, was das überhaupt soll. Ob nun neben dem Papst in Rom noch ein weiterer herumläuft, ist für sie aus moderner Sicht nicht von Interesse.

Möglicherweise ist es für sie noch nicht einmal unterhaltsam, solange es nicht von Dan Brown erzählt wird. Raspail will mit seiner Was-wäre-wenn-Geschichte auch ganz und gar nicht unterhalten. Wie in dem Roman Sire geht es ihm um die Bedeutung der Geschichte an sich, die ob bekannt oder nicht unser Leben bestimmt. Immer gibt es etwas, das hinter den sichtbaren Dingen im Verborgenen liegt, eine unbekannte Welt, die nur Eingeweihten bekannt ist. Als Katholik fällt es Raspail nicht schwer, dafür in Der Ring des Fischers zu begeistern. Obwohl die nun endlich erfolgte Übersetzung ins Deutsche einige Schwächen aufweist, ist die Lektüre ein Ereignis. Es öffnet die Augen für die Antwort auf die Frage, woher das Leben des Menschen in welchem Stand auch immer seine Legitimität bezieht. Mit der Geschichte des letzten Benedikts zeigt Raspail das fehlende Recht des Menschen, darüber zu urteilen.

Jean Raspail: Der Ring des Fischers. Antaios. 352 S., 22 Euro, Schnellroda 2016.

Jahrgang 1986, hat Soziologie und Politikwissenschaft studiert und lebt als selbständiger Autor in Köln. Für die Schriftenreihe BN-Anstoß hat er bereits zwei Bände beigesteuert: Geopolitik. Das Spiel nationaler Interessen zwischen Krieg und Frieden (2015). Sowie: Die ganze Wahrheit. Meinungsfreiheit als Herrschaftsinstrument (2016).

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