Gesichtet

Der Zweck heiligt die Mittel – alle Mittel?

Berlin. Unter dem grauen Himmel der bundesrepublikanischen Hauptstadt erhebt sich seit Montag, dem 2. Dezember, eine schwarze Säule. Ein weiteres Monument, unweit des Schriftzugs „Dem Deutschen Volke“ auf dem Reichstag. Die Urheber: das „Zentrum für politische Reinheit“. Der Inhalt der Stele: menschliche Knochen, vorgeblich von Opfern der Mauerschützen und Gulags, ausgegraben und transportiert von Mitgliedern des besagten Zentrums.

Einen Tag später: In den sozialen Netzwerken verbreiten die politisch Reinen: „Rosa Luxemburg ist in unserer Gewalt!“. Darunter ein Foto vom Grabstein der KPD-Politikerin mit den Worten: „Rosa Luxemburg ist auf dem Weg nach Berlin, um die historische Schuld der deutschen Sozialdemokratie aufzuarbeiten.“

Auch an den deutschen Mainstreammedien ist diese Aktion nicht vorbeigegangen. „Grabschändung an Rosa Luxemburg“, steht da zu lesen, oder: „Das Zentrum für politische Reinheit ist eine Zusammenrottung von Rechtsextremen und Nationalsozialisten“. Bei der ARD wird ein Brennpunkt angekündigt und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang warnt zur besten Sendezeit vor einer Rückkehr der Braunhemden. Die Aktionen werden gemeinhin als Leichenschändung und Störung der Totenruhe verurteilt, der Staatsschutz ermittelt.

Die historische Schuld der Konservativen?

Begeben wir uns nun in ein Paralleluniversum. Eines, in dem das ZfR eigentlich „Zentrum für politische Schönheit“ (ZfS) heißt, die Asche der Säule nicht aus Gulags, sondern Konzentrationslagern stammt und statt Rosa Luxemburgs Grabstein jener Franz von Papens gestohlen wurde, um „die Schuld des deutschen Konservatismus aufzuarbeiten“. Sicher würde ein solch undenkbares Verbrechen vergleichbare Reaktionen hervorrufen.

Sicher würden sich die Medien mit Verurteilungen selbst überbieten und vor „linksextremen Grabschändern“ und dem Wiederaufstieg des Sozialismus warnen. Extremismusexperten würden bestimmt die Talkshows fluten und es würde mit Sicherheit eine große Mahnwache mit Lichterkette gegen das entwürdigende Verbrechen der Leichenschändung geben.

„Totenruhe wird überschätzt“

Würde es das? In diesem Paralleluniversum passiert exakt das Gegenteil. „Breaking News Saarland“ beschreibt das ZfS mit einem lehrbuchmäßigen Euphemismus als einen „Zusammenschluss von 70 Aktionskünstlern und Aktivisten“. Der Tagesspiegel titelt verharmlosend: „Aktion am Grab Franz von Papens“. Und in den sozialen Netzwerken wird der Diebstahl des Steins und die Zurschaustellung der Shoa-Opfer bejubelt. Unter dem Facebook-Post zu von Papen sind Kommentare zu lesen wie:

„Totenruhe wird überschätzt, sehr gute Aktion <3“

„In ner Primark Tüte.. herrlich!“

„…Würde ein gutes Pissoir abgeben.“

Solche Kommentare sind in diesem hypothetischen Universum längst Alltag und werden stillschweigend toleriert. Die gesellschaftliche, lösungsorientierte Debatte existiert nur noch auf Papier und wird zunehmend von Gewalt abgelöst. Alles mit dem Argument, der Zweck heilige die Mittel.

Kampf dem Faschismus! Konservative tragen Mitschuld! Jeder muss sich diesem Kampf unterordnen! Und zur Not eben Tote ausbuddeln, Grabsteine stehlen oder auch Tote produzieren! Alles ist Recht – solange es nicht irgendwie rechts ist!

Wie gut, dass dies alles nur in einem dystopischen Paralleluniversum stattfindet. Wie gut, dass bei uns immer noch die Richtigen Schuld tragen …

(Bild: Franz von Papen)

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