Anstoß

Die Freiheit des Kairos

Georg Immanuel Nagel über die Vitalität der Krise und die Rückkehr in die Geschichte.

Seit Wochen beherrscht die massenmedial durchinszenierte Corona-Krise fast vollständig die öffentliche Debatte. Staatliche Nachrichtensendungen kommen derzeit mit einem einzigen Thema aus. Nachdem Länder wie die Bundesrepublik und Österreich monatelang mit dem Verweis auf den Vorrang wirtschaftlicher Interessen beschwichtigten, wurde dann doch über Nacht der Notstand ausgerufen und Zwangsmaßnahmen verhängt, welche ein Einfrieren weiter Teile des Geschäftslebens beinhalten. Jetzt bekommt auch der naive Durchschnittsbürger einen Geschmack davon, zu welchen totalitären Maßnahmen dieser Staat ganz einfach fähig ist.

Das offizielle Narrativ der Mächtigen ist umstritten. Doch die Frage, ob die tatsächliche Gefährlichkeit der Pandemie die drastischen Eingriffe rechtfertigt, soll an dieser Stelle nicht erörtert werden. Vielmehr geht es jetzt um die psychologischen Auswirkungen dieser für uns alle ungewohnten, ja, tatsächlich nie dagewesenen Situation. Zum ersten Mal nach den Weltkriegen kam es im Westen zu einem Bruch in der Zeitlinie, einem Rückkehr in die Geschichte.

Das Undenkbare ist eingetreten

Laut Diego Fusaro gehört eine Geisteshaltung, welche „die ungebrochene Neutralisierung der Denkbarkeit der Kategorie eines möglichen Anders-Seins gegenüber dem, was ist, [durchführt,] und die hierzu jeden Versuch dieses Anders-Seins – und das ist das paradoxe – als ‚ideologisch’ etikettiert“,* zu den Hauptmerkmalen der herrschenden Ideologie. Der westliche Mensch unserer Epoche – die vielleicht bald schon zu einem vergangenen Zeitalter gehört – zeichnet sich dadurch aus, dass er keine Lebensziele hat, die nicht mit den eigenen Konsumwünschen verbunden sind.

Die Religion des „Fortschritts“, also die quasi naturgeschichtlich unausweichliche Entwicklung hin zu Globalisierung, zur Liberalisierung aller Lebensbereiche und zu einem grenzenlosen Primat des Ökonomischen in sämtlichen Angelegenheiten des Gemeinwesens stellt sich selbst als alternativlos dar. Wer die ewigen Wahrheiten gegenüber dieser religiös verbrämten Utopie, die in Wahrheit eine entwürdigende, technokratische Dystopie ist, verteidigt, wird mindestens als ideologisch verblendet, wenn nicht gleich als völlig verrückt dargestellt.

Eine Aktualisierung der Wirklichkeit

Eine Gesellschaft, deren ganzes psychosoziales Innenleben, nach Jahrzehnten von Überfluss und Entpolitisierung, durch Weibergekreische und spastisches Geklatsche versinnbildlicht wird, hat keine Vorstellung mehr vom Ernstfall. Dieser ist für die Mehrheitsgesellschaft nur etwas, das im Fernsehen läuft, wenn von fremden Kulturen berichtet wird. Der Ausnahmezustand wurde undenkbar, die westliche Wohlstandsverlorenheit zur selbstverständlichen Daseinsform des Eigenen.

Die Krise erweist sich daher als elektrisierende Aktualisierung der Wirklichkeit, wirkt als erfrischende kalte Dusche, welche die Lebenskräfte anregt. Wer jetzt mit innerer Ruhe, neuem Wohlbefinden, visionärer Zuversicht, ja Lust und Freude reagiert, steht auf der richtigen Seite der Geschichte. Die Pseudomoral unserer Zeit fordert Gefühlsduselei, als demonstrativ vor sich her getragenen Konformismus ein. Diejenigen, welche nun stoisch ihre Frontfahrt auf den tosenden Wellen der Allgewalten herbeisehnen, mangeln an keinerlei Menschlichkeit, sondern haben vielmehr das große Ganze im Auge, dem sie sich verbunden fühlen, weshalb sie es vermögen, sich als Einzelner in das Schicksal einzuordnen. Lächelnd gebe man nun die Parole aus: Ein Herz in Flammen, in einer Welt in Flammen!

Krise bedeutet Chance

Die Krise ist jene Situation, in der das Alte noch nicht ganz niedergegangen, das Neue aber auch noch nicht erwachsen ist. Laut Gerd-Klaus Kaltenbrunner braucht jede Gesellschaft ihre Eliten, um zu funktionieren. In einer echten Demokratie würde die Elitenauswahl also über eine Konkurrenz verschiedener Eliten hergestellt werden. In vielen scheindemokratischen Staaten wird dies jedoch nur simuliert. Hier sind die realpolitisch möglichen Optionen alle in den wesentlichen Dingen völlig gleichförmig.

„Nicht minder wichtig, langfristig sogar entscheidend“, seien laut Kaltenbrunner, abseits der technokratischen Eliten, „auch jene Minderheiten, die einfach deshalb elitär sind, weil sie bereit sind, jene asketischen Tugenden vorbildhaft zu verwirklichen, und darzuleben, ohne die nun einmal kein Staat zu machen ist: zu dienen, zu verzichten, sich zu bescheiden, die Pflichten des Alltags diszipliniert zu erfüllen und Selbstbeherrschung und Selbstvervollkommnung im Interesse des Gemeinwohls zu üben.“ Dass sich diese Gegenelite nun bestätigt fühlt und auf das hofft, was ihr zusteht, ist momentan nur natürlich.

Kairos ist nicht tot

Kairos, der Gott des rechten Augenblicks, wurde in den Lüften erblickt. So viele haben nicht mehr an ihn geglaubt. So mancher Hitzkopf hat gemeint, dass man ihn selbst herbeizwingen könne. Doch die Freiheit des Kairos, so wie die aller Götter, ist es, nach Belieben die Sterblichen erhören zu können – oder eben auch nicht.

Spätestens jetzt ist es wieder Zeit, auf den Altären des Kairos zu opfern. Seine Gunst wird gefolgt werden von Nemesis, welche die Hybris der Menschen bestraft, von Mars Ultor und letztlich von Victoria. Die Deutung der Vorzeichen ist eine schwierige Kunst. Jeder Augur hüte sich, jetzt die Omen falsch und vorschnell zu deuten. Doch der große Triumph des Augenblickes ist nun nicht mehr zu verleugnen: Kairos ist noch nicht tot! Er hat sich und die Rückkehr in die Geschichte angekündigt. Bis dahin heißt es weiter standzuhalten.

* Fusaro, Diego: Geschichte, Ideologie, Wahrheit. Marx und die Deduktion der Kategorien. In: Marx von Rechts, Jungeuropa Verlag, Dresden 2018, S. 104

** Kaltenbrunner, Gerd Klaus: Elite. Erziehung für den Ernstfall. Blaue aktuelle Reihe Band 3, MUT-Verlag, Asendorf 1984, S. 20

Jahrgang 1986, aus Wien, Studium der Philosophie, begreift sich als Vertreter der deutschen Alt-Right (Alternative Rechte) und ist seit 2014 als Journalist bei diversen Medien tätig und veröffentlichte mehrere Bücher. Maßgeblich war er beteiligt an PEGIDA in Österreich. Zudem ist er Gründer und Obmann von "OKZIDENT - Verein zur Förderung von Rechtsstaatlichkeit". - www.georgimmanuelnagel.at

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