Gesichtet

Die Jugos sind wieder da!

Die Balkan-Connection hat für gute Laune und für Tore bei der Eintracht gesorgt. Der Kroate Ante Rebic und der Serbe Luka Jovic sind auch privat dicke Kumpels.

Es hat wirklich Spaß gemacht, mit den Jugos zu quatschen. Das Cafe Würfel, eine kroatische Bar in Frankfurt/Nordend, ist heute am Freitagabend bevölkert von den Fußballern des FC Posavina Frankfurt, die hier nach dem Training aufgeschlagen haben und drei etwas abseits sitzenden Freundinnen, die zu serbischer Partymusik so intensiv rauchen, wie ich es bei Frauen noch nie erlebt habe. Wenn der Qualm sie für einen Moment freigibt, erkennt man ihre hübschen Gesichter.

Kroaten und Serben

Um beim Thema Fußball zu bleiben: „Wissen Sie, was die serbischen Zeitungen geschrieben haben, als Kroatien bei der WM 2018 das Finale erreicht hat?“, fragt mich eine der Damen, um dann selbst die Antwort zu geben: „Wir freuen uns für unsere kroatischen Brüder. Das würde eine kroatische Zeitung umgekehrt niemals schreiben. Sie berichten immer nur negativ über Serbien.“

Dabei sei es doch gar nicht mehr herauszufinden, wer im Jugoslawienkrieg wen zuerst abgeschlachtet habe. „Die Frage ist wie ein ewiger Kreislauf und für uns als jüngere Generation, die sich eher als Jugos begreift, eigentlich nicht mehr relevant.“ Außerdem seien Serben herzliche Menschen und in der Not manchmal bessere Freunde als ihre kroatischen Landsleute.

Einer von den kroatischen Fußballern, der mir seinen Namen genauso wenig sagen möchte wie die drei Freundinnen, hatte zuvor das Gleiche gesagt: „Wenn es darauf ankommt, sind meine richtig guten Freunde Serben.“ Der in Frankfurt geborene „bosnische Katholik“ hält die kroatische Volksgruppe in Bosnien und Herzegowina für ein fröhliches Volk, das gerne zusammenhält, grenzt sich dabei aber von den katholischen Kroaten in Kroatien ab.

Sehr viele Kroaten in Frankfurt würden auf dem Bau arbeiten. Für die Deutschen dort seien sie einfach Jugos. Das ist wohl etwas gedankenlos, da sich das frühere Jugoslawien mittlerweile in sieben kleinere Länder aufgeteilt hat. Für meinen Gesprächspartner ist „Jugo“ aber akzeptabel, „da der Krieg lange vorbei“ ist.

Als Gastarbeiter in Frankfurt

In den 60er Jahren kamen die Jugoslawen neben anderen Gastarbeitern aus Südeuropa nach Frankfurt. 1971 gründete sich mit dem FV Progres der erste jugoslawische Fußball-Club in der Mainmetropole, für den auch der spätere Bundesligatrainer Dragoslav Stepanovic spielte.

Im Zuge der 1991 entbrannten Jugoslawienkriege spalteten sich vor allem die Kroaten ab und gründeten ihre eigenen Vereine. Heute sind von sieben „Balkan-Klubs“ zwei kroatisch: der eher kroatisch-katholische Croatia Frankfurt und der eher bosnisch-katholische Posavina Frankfurt.

Mario Koturic, das frühere Vorstandsmitglied von FC Posavina, der vor dem Bürgerkrieg noch Jugo Frankfurt hieß, sieht die Zeit für einen neuen „Jugo“-Verein nicht gekommen. Er erfreut sich stattdessen an packenden kroatischen Derbys in der Kreisoberliga, die stets freundschaftlich verliefen.

„Der Freiheit nicht genug, hier darf auch geraucht werden!“

Wenn eine Bar mit diesem Slogan wirbt, dann kann es nur eine kroatische sein. Auch mit der Barkello-Bar in der Innenstadt betrete ich eine Giftkammer. Kroaten würden gerne eine Tasse Kaffee mit einer Zigarette verbinden. Das sei eine Frage der Mentalität und der Lebensart, meint der Bosnier Milan (nicht sein echter Name), der 1991 wegen des Bürgerkriegs nach Frankfurt floh und sich sonntags oft im Barkello mit seinem Kumpel von seiner harten Arbeit als Maler unter der Woche erholt. Während der zweifache Familienvater qualmt, verweist er auf das Cafe Würfel, das ein erlassenes Rauchverbot wieder zurücknehmen musste, da anschließend die Umsätze einbrachen.

„Wer kommt denn hier?“, frage ich die junge Bedienung. „Einzelpersonen, Paare?“ – „Hier kommen nur Kroaten. Es ist eine Jugo-Bar.“ – „Warum ist es dann eine Jugo-Bar?“ – „Weil auch Bosnier und Serben kommen.“ 80% der Gäste seien Kroaten aus Bosnien-Herzegowina, meint Milan (46).

Jetzt wird es richtig voll im Barkello. Das Personal, das eben noch bummelte, rotiert. Denn die Heilige Messe der kroatischen Gemeinde im Frankfurter Dom endet um 13 Uhr und für viele Gottesdienstbesucher ist eine Cafe-Bar die nächste Anlaufstation.

Probleme mit Afghanen

„Was gefällt Ihnen denn an Frankfurt und was nicht?“ Meine Frage katapultiert Milan in die 90er: „Früher beklagte man sich über die Zustände im Bahnhofsviertel. Ja, es gab Junkies und Obdachlose. Aber im Gegensatz zu heute war es ein Paradies. Nach dem Feiern konnte ich mich morgens um 5 Uhr mit einer Dose Bier auf die Straße setzen und niemand fasste einen an.“

Milans Malerbetrieb hat seine Aufträge meistens bei großen Firmen im Bahnhofsviertel. Der Facharbeiter berichtet, wie „Flüchtlinge oder Afghanen“ sich mit Muskelspielen vor seinem Auto aufbauten, während er die Taunusstraße entlang fährt bzw. versuchten, seine Autotür aufzureißen, um das Malerzubehör bzw. die Schleifmaschine zu stehlen, wenn er an einer roten Ampel hält. Dies passiere jeden (!) Tag. Milan war früher nachts sorglos, heute hat er tagsüber Gänsehaut.

Für Milan kippt das Klima in der Stadt. 80 % seiner Kollegen seien Deutsche, die meisten aus dem Vogelsbergkreis. „An sich ruhige und nette Kollegen, die ich teilweise seit 25 Jahren kenne. Aber einige sprechen jetzt von Kanaken, wenn sie sehen, was im Bahnhofsviertel los ist.“ Eskaliert sei die Situation mit den Migranten und Flüchtlingen, die vor zwei bis drei Jahren nach Deutschland kamen und deren finanzielle Ausstattung viele Deutsche neidisch machten.

Dass Autofahrer angesichts der Zustände im Viertel ihre Türen von innen verriegeln, wenn sie durch die Taunusstraße müssen, höre ich nicht zum ersten Mal. Manfred Füllhardt, der Pressesprecher der Frankfurter Polizei, meint auf eine E-Mail-Anfrage hin ergänzend: „Zu Autofahrern, die die Tür verriegeln, kann von uns keine Feststellung getroffen werden. Zum einen, da fast alle Autos heute selbstständig nach dem Anfahren die Türen verriegeln, zum anderen ist noch niemand auf dem Revier vorstellig geworden, der angab, dass an seinem Pkw die Tür aufgerissen worden wäre.“

Das Vermächtnis Titos

„Bosnien-Herzegowina besitzt das komplizierteste Regierungssystem Europas, manche sagen sogar der Welt. Der Gesamtstaat, die beiden Entitäten und die zehn Kantone der Förderation haben jeweils eigene legislative und exekutive Strukturen. Ein gemeinsames Regieren ist damit so gut wie ausgeschlossen“, berichtet der Mitteldeutsche Rundfunk.„Das ist nun mal der Preis für harte nationalistische Grenzen“, meint Darko Vidovi? (50), Gründer einer Jazz Cafe Bar in Frankfurt/Sachsenhausen: „rein bürgerlich, antinationalistisch, für Frankfurter“. Auch er kam als Kriegsflüchtling nach Frankfurt, „einem Ort, wo er gerne lebt“. Hier hat er gute Kontakte geknüpft zu Frankfurtern („Trümmerkinder“), die nach dem Krieg ihre Stadt aufgebaut haben und wundert sich über manche städtebauliche Fehlentscheidung der Stadt nach dem Krieg.

So hätte er sich eine restaurierte Alte Brücke auch als Fußgängerbrücke mit Kunstateliers vorstellen können, die zu einem Alt-Sachsenhausen führte, das die Politik – im Gegensatz zur teuren Altstadt in der Innenstadt – mit viel geringeren Mitteln zu einer authentischen Altstadt hätte aufrichten sollen. Mit verflossenen Live-Musik-Institutionen wie dem Spritzehaus oder Jazz-Live (heute Oberbayern), die er, wie auch mein vorheriger Gesprächspartner D., sehr vermisst.

Seine eigentliche Heimat aber war das „beispiellose“ sozialistische Jugoslawien in den 1970ern und 1980ern. „Zu dieser Zeit waren die Menschen offen für alles, sie sind über Grenzen gegangen, mental und körperlich, ich habe es selbst erfahren.“ Sein Blick verklärt sich, als er in die Welt von damals abtaucht, wo Völker und Länder ohne Grenzposten vereint gewesen seien: „Es war mein Leben.“ Den Menschen sei es in vieler Hinsicht besser gegangen als heute. „Als Bürger und als Völker waren wir souveräner als heute, da Kultur und Ressourcen noch den Menschen gehörten.“

Darko Vidovi? ist in Livno, einem Ort in Bosnien an der Grenze zu Kroatien geboren. Er studierte Maschinenbau in Sarajevo, das mit seinen christlichen, muslimischen und jüdischen Tradition einst auch „europäisches Jerusalem“ genannt wurde. Darko sieht sich auch heute noch als Jugoslawe, da seine Familie typischerweise weit verzweigt ist. Familienmitglieder finden sich in Kroatien, Slowenien, Serbien, Montenegro, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. „Wir haben uns immer gegenseitig besucht und zusammen gefeiert.“

Mein Gesprächspartner verwendet im Zusammenhang mit dem „unabhängigen“ Sozialismus unter Tito gerne den Begriff offen. Aber am Ende wird auch seine Welt kleiner, wenn er erzählt, dass seine heutige Frau, die er in Frankfurt kennenlernte, wie er aus Livno stammt und es in Frankfurt ohne Apfelwein nicht geht.

Tito war wohl ein Diktator. „Aber er hält den Daumen auf viele Korken. Wenn er geht, werden mehrere davon hochgehen“, merkte damals der Vater eines Schulfreundes an. Gemeint gewesen sein könnte damit, dass es die Jugoslawen zwar über die Jahrhunderte gelernt haben zusammenzuleben, aber nie ohne einen gewissen Zwang. Druck gab es während der Zeit der Ottomanen, während der österreichisch-ungarischen Herrschaft und im jugoslawischen Königreich. Zuletzt war es Tito, der Präsident der Volksrepublik Jugoslawien, der den Vielvölkerstaat einte.

Kein neuer Mensch – Bosanac

Kristina (25) strahlt zustimmend, als ich ihr vorspiele, was Darko Vidovi? in mein Diktiergerät gesprochen hat: „Bei uns gibt es einen Begriff, der über einer bestimmten Nation steht: Bosanac. Es ist ein schönes Wort, weil es bedeutet, dass du ein fröhlicher und guter Mensch bzw. Freund bist, der immer bereit ist, anderen Menschen zu helfen. Wenn man mit einem Bosanac zusammen lebt, ist immer alles in Ordnung und alles positiv.“

Kristina lebte 18 Jahre in Bosnien, bevor sie nach Kroatien ging, um an der Fakultät für Elektrotechnik, Maschinenbau und Marinearchitektur in Split ihren Master in Informations- und Kommunikationstechnologie zu machen. Vor neun Monaten folgte sie ihren Eltern und ihrem Bruder nach Frankfurt, wo sie seitdem als Softwareingenieurin arbeitet.

Kristina fühlt sich genau wie Darko als ein Bosanac, ein Menschentyp, dem auch die Jugoslawienkriege nichts hätten anhaben können. Sie lacht gerne und verbreitet um sich herum eine positive Atmosphäre. Schließlich sagt sie in Übereinstimmung mit sich selbst: „Ich bin eine Bosanac und keine Kroatin.“

Kristina sieht die relativ kleine Bevölkerungsgruppe der Kroaten in Bosnien-Herzegowina von der „bosnischen Politik“ bedrängt, so dass viele zum Auswandern gezwungen seien. Das pastorale Hilfswerk Kirche in Not schätzt, das jährlich bis zu 10.000 Katholiken Bosnien-Herzegowina verlassen. Dann verweist meine Gesprächspartnerin auf ihre Geburtsstadt Novi Travnik, wo die Menschen heute als Ergebnis nach dem Krieg nach angenommener Ethnie und Religion strikt getrennt lebten. Ihre Medizin dagegen ist die schöne Gleichung: „Bosanac – Balkan – Jugoslawien – freundlicher Mensch.“

Während ich ein Stück Kuchen verspeise, endet das kurze Interview an ihrem Arbeitsplatz in der Frankfurter City. Schokolade, Kaffee, kroatische Spezialitäten, Blumen an Weihnachten, an Ostern, aus Dankbarkeit und Freundschaft, als Gastgeschenk bekommt eine Freundin, die als Psychotherapeutin arbeitet, regelmäßig von ihren kroatischen Klienten.

(Bilder von Claus Folger, 2. Bild: Darko, 3. Bild: Kristina)

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