Gesichtet

Die konservativen Ursprünge der Nachhaltigkeit

Die kapitalistische Wirtschaft als Ganzes genommen ist revolutionär. Das ist keine marxistische Schulphrase und auch nicht ihre eigene Definition, sondern eine Wesensaussage.

Wir, die wir in einer permanenten Revolution leben und groß geworden sind, nehmen das revolutionäre Wesen – eigentlich Unwesen – der kapitalistischen Wirtschaft kaum noch wahr, höchstens in Form der technologischen Revolution. Das Wort technologische Revolution selbst trägt dann noch zur Verniedlichung eines totalen Aus-Den-Angeln-Hebens bei, weswegen man technologische Revolutionen eher hin- als wahrnimmt und sogar willkommen heißt.

Technologische Revolutionen gehören ja zum und sind Indikatoren des Fortschritts. Dieser selbstgefällig alternativlos auftretende Fortschrittsfatalismus ist das ureigenste Produkt revolutionärer Verhältnisse. Diese gehen selbst wiederum auf die Tätigkeit einer Unzahl von ökonomisch tätigen Menschen zurück, welche nichts anderes verfolgen und nichts anderes im Auge haben als ihren eigenen privaten Vorteil. Gehenlassen und Wirtschaftsfreiheit führen zu Zwangsläufigkeiten im Ganzen sowie zur fatalen Ein- und Unterordnung des Einzelnen. Dieser ist dem allmächtigen Mechanismus der Wirtschaft bzw. deren dialektischer Selbstbewegung (Automatismus) ausgeliefert.

Meliorismus anstatt Fatalismus

Der deutsche Publizist und Politiker Constantin Frantz (1817-1891) identifizierte deshalb Liberalismus und Kapitalismus ganz richtig als Fatalismen. Zur Bekämpfung des Fatalismus greift Frantz auf den französischen Frühsozialismus zurück. Im Gegensatz zu Liberalismus und Kapitalismus geht dieser von einem vernunftgeleiteten Willen aus, der sehr wohl dazu berufen ist, in die Wirtschaft einzugreifen. Mit den Sozialisten plädiert Frantz für eine planmäßige Wirtschaftsleitung im Gegensatz zu einer vom Individuum abgelösten Eigengesetzlichkeit – die angebliche „Naturgesetzlichkeit“ – der Wirtschaft.

Eine Parallele zum sozial-reformatorischen Ansatz von Frantz bildet dann der etwas später von Lester F. Ward (1841-1913) in den USA verfochtene Meliorismus. Nach Wards eigener Darstellung ist der Meliorismus weder Optimismus noch Pessimismus. Er geht davon aus, dass es bestehende Zustände gibt, an die man sich zu halten hat, wie es auch Dinge gibt, die man nicht ändern kann. Stünde man aber auch vor noch so vollendeten Tatsachen, immer ist noch etwas zu machen. Vertrauen in die Vernunft und in das Vermögen der menschlichen Freiheit zeichnen jeden Meliorismus aus, welcher im Kern doch ein Optimismus, wenn auch ein nüchterner und realistischer und damit lebensnaher, ist.

„Konservatismus in der Wirtschaft“

Wenn Frantz folglich für Nachhaltigkeit einsteht, weist ihn das als Melioristen aus. Im Unterschied zu Ward ging Frantz nicht vom Fortschrittsglauben, sondern tatsächlich vom Konservatismus aus. Anders als der Parteikonservatismus seiner Zeit lieferte Franz  keinen polemischen Gegenentwurf zum Liberalismus und auch keine Rückwärtsutopie, sondern gelangte zu einem im besten Wortverstand restaurativen, sozialreformatorischen Ansatz, dem, wie er es nennt, „föderalen Prinzip“.

Frantz´ föderalistisches Prinzip ist eine Weiterentwicklung dessen, was am Konservatismus lebendig ist. Nachhaltigkeit z.B. ist nichts anderes als Konservatismus angewandt auf die Wirtschaft. Dass Nachhaltigkeit der ureigenste Beitrag des Konservatismus zur Sozialreform ist, versteht sich heute nicht von selbst, obwohl zu dem Wort zu seiner Sinnerhellung die konservativen Begriffe Fortbestehen, Beharren, Stetigkeit sowie organisches bzw. natürliches Wachstum ergänzt werden. Seine forstwirtschaftliche und agrarische Herkunft offenbart ebenfalls den konservativen Charakter.

Volkswirtschaftlicher Primat der Landwirtschaft

Ernst Moritz Arndt zitierend spricht Frantz vom „Bauern und Wald als den beiden wichtigsten konservativen Prinzipien“. Urbild der Nachhaltigkeit ist der Bauer, weil der Mensch nur auf natürlicher Grundlage leben und erzeugen kann. Freilich gilt das nur für den Bauern, der kein global erfasster Agrarerzeuger, keine nationalstaatlich geschützte agrarische Spezies und auch kein EU-Agrarfunktionär ist, sondern das Bauerntum als seinen ureigensten Beruf ethisch fasst.

Zur Nachhaltigkeit inspiriert der Wald, d.h. die Natur. Weil die beiden „Haushalte“, der der Natur und der der Kultur, ineinander übergehen und miteinander verbunden sind,  gehört zur Nachhaltigkeit notwendig ein pfleglicher Umgang mit der Natur. Die auf die Natur einwirkende menschliche Tätigkeit weist den Menschen dazu an, verantwortungsvoll in Hinsicht beider Zukunft, der des Menschen und der Natur, mit ihr umzugehen. Für die Landwirtschaft bedeutet das Pflege, Sorge, vor allem Vorsorge und Weitsicht, Berücksichtigung gegebener Kultur- und Naturverhältnisse sowie schonender Eingriff unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung und Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit.

Im Sinne der Nachhaltigkeit untersucht Frantz ausführlich die Nutzung der Gewässer und fordert deren agrarische Nutzbarmachung im Gegensatz zu ihrer Nutzbarmachung zu Verkehrszwecken. Überhaupt möchte Frantz dem Verkehrs- und Transportwesen, aber auch dem technologisch bewerkstelligten geistigen Austausch, die Wichtigkeit nehmen, die sie im Kapitalismus haben, aus ersichtlichen Gründen: mit Nachhaltigkeit sind sie nicht zu vereinbaren. Zu einer wirklichen Verbesserung, sowohl was die Wirtschaft als auch was die Sittlichkeit der Völker betrifft, taugen sie nicht, eher das Gegenteil ist der Fall.

Die Hauswirtschaft als Urelement der gesamten Wirtschaft

Ein wirtschaftliches Wachstum, welches über das natürliche Wachstum der Bevölkerung sowie über deren rechtmäßige Bedürfnisse ginge, darf es Frantz zufolge nicht geben. Die industrielle Produktion hat sich vor allem nach der Inlandsnachfrage zu richten wie auch der Bedarf an Lebensmitteln und sonstigen Gebrauchsgütern so weit wie möglich mit inländischen Mitteln zu bestreiten ist – ein Gedanke, den Frantz von Johann Gottlieb Fichte übernommen hat.

Als wirtschaftlichem Ideal scheint Frantz tatsächlich ähnlich Fichte der Gedanke der wirtschaftlichen Autarkie vorzuschweben: Bevorzugung der Landwirtschaft gegenüber Transport, Verkehr, Industrie; Reduktion von Anzahl und Ausmaß der Städte. Allgemein spricht sich Frantz für eine Verländlichung aus. Die Autarkie ist dabei nur eine relative, sie beruht nicht auf Abschließung nach außen, wie bei Fichte  – das widerspräche Frantz föderalistischem Prinzip –, sondern trägt der für eine Volkswirtschaft unentbehrlichen Selbstversorgung Rechnung gemäß seinem Grundsatz, dass die  „Hauswirtschaft für immer das Urelement der Volkswirtschaft“ ist. Hauswirtschaft im alten Sinn bedeutet aber immer noch weitestgehende Selbstversorgung.

Aktualität von Frantz´ sozialreformatorischen Forderungen

Trotz aller Ausführungen im Detail sieht Frantz sehr wohl, dass sein umfassendes Reformprojekt Verhältnissen und Lebensgewohnheiten entgegensteht, welche die kapitalistische Wirtschaft hervorgebracht hat. Bei dem derzeitigen Stand der technologischen Entwicklung und der durch sie hervorgerufenen permanenten Totalrevolution des Daseins erscheint es geradezu widersinnig, der Landwirtschaft heutzutage eine so hervorragende Bedeutung beizumessen, wie Frantz es tat: „Das konnte einem noch 1879 einfallen, um 1950 war damit schon nichts mehr anzufangen“ – könnte der Einwand lauten.

So aber vernimmt sich derselbe Fatalismus, den Frantz bereits 1879 anprangerte. Seine Kritik der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation knüpft direkt an seine Forderung von Nachhaltigkeit an, und entbehrt damit keinesfalls der Aktualität: „Fragen wir aber doch einmal: ob der durch die Eisenbahnen so außerordentlich gesteigerte Reiseverkehr auch eine entsprechend und nachhaltige Steigerung des allgemeinen Wohlstandes hervorrief? Oder dürfte nicht andererseits ein Luxus daraus entsprungen sein, welcher zu Ausgaben veranlasste, die zu unserem wirklichen Wohlstande in keinem Verhältnis standen? Schon die luxuriösen Hotels, welche seitdem in unseren Großstädten wie in den Badeorten pilzartig emporschossen, dürften in dieser Hinsicht ein bedenkliches Kopfschütteln erregen.“

Trotz aller weiteren technischen Entwicklungen bleibt die hier gestellte Frage auch nach hundertfünfzig Jahren immer noch die gleiche: Was soll das Ganze? Im Grunde läuft doch alles auf allen Gebieten auf ein „nach mir die Sintflut“ heraus.

Heutiger Schwindel mit der Nachhaltigkeit

Der heutige Gebrauch des Wortes „Nachhaltigkeit“ ist mindestens ein Missbrauch, wo er nicht bereits offener Schwindel ist. Gedankenlosigkeit und Unwissen sind dabei nur den Nachbetern eines unverstandenen Begriffs zugute zu halten, nicht aber den Urhebern so eigenartiger Verknüpfungen: Nachhaltigkeit + Management = Nachhaltigkeitsmanagement. Unter ökonomischem Gesichtspunkt kann es Nachhaltigkeit nicht geben wie auch nicht unter Managementgesichtspunkten.

Nachhaltigkeit erfordert Politik, mehr noch Ethos, beide hat Frantz bei den Sozialisten ausmachen können. Kapitalistische Wirtschaft, die weder politisch noch ethisch ist, und Nachhaltigkeit, die ein Grundbegriff jeder echten Volkswirtschaft ist, sind unvereinbar. Von Nachhaltigkeit kann daher in einer „globalisierten Welt“ niemals die Rede sein. Auch „Echtzeit“, Schnelligkeit sowie Schnelllebigkeit stehen in direktem Gegensatz zur konservativen Nachhaltigkeit.

Die Nachhaltigkeit ist zu sehr konservativen Erfahrungswerten verpflichtet, als dass sie im kapitalistischen Kontext, welcher durch und durch revolutionär ist, am rechten Platz wäre. Geradezu unmöglich wird die Nachhaltigkeit dadurch, dass die kapitalistische Wirtschaft eifersüchtig ist wie der liebe Gott: Sie kann kein anderes Wirtschaften und, daraus abgeleitet, keine anderen Wirtschaftsweisen neben sich dulden. Tut sie es dennoch, ist es nur für kurze Zeit, oder weil sie dieses andere Wirtschaften in ihrem Wesen längst entfremdet, denaturiert hat.

Nicht anders verfährt das Management, welches ja gar nicht in der Lage ist, den föderalen Gedanken, der die organisatorische Entsprechung der Nachhaltigkeit und wie diese ebenfalls konservativ ist und von mannigfachen dezentralen Selbstverwaltungen ausgeht, umzusetzen, geschweige denn zu fassen.

(Bild: Pixabay)

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