Rezension

Die Kulturschaffenden und die Politik

Aus der liberalen Nichteinmischungsdoktrin ergibt sich das grundsätzliche Problem des politischen Engagements von Intellektuellen und Künstlern.

Im Liberalismus entsprechen der Meinungs- sowie der künstlerischen Schaffensfreiheit Reservate und Reviere, die innerhalb der von ihm betriebenen Entpflichtung weiter gesellschaftlicher Bereiche zumindest virtuell abseits des Politischen liegen. Die dabei entstandene Illusion der Insularität lädt zum Übermut ein. Jeder Kulturschaffende fühlt sich Herr und Eigentümer seiner Insel.

Vom Festland, d.h. vom Staate, wird bestimmt nichts kommen, was man zu fürchten hätte. Umgekehrt kritisieren die Kulturschaffenden aber sehr wohl die Zustände auf dem Festland, trauen sich zu Streifzügen, betreten fremdes Herrschaftsgebiet und vergehen sich bedenkenlos auch an fremdem Eigentum. Sie glauben sich dazu berechtigt. Angesichts der Tatsache ihrer Befreiung und Entpflichtung sowie der Konsequenzlosigkeit ihrer Einbrüche in die Politik sind sie es auch.

Die bürgerliche Gesellschaft ist das Nährmedium der Intellektuellen und Künstler

Die Tätigkeit umstürzlerischer Kulturschaffender konnte in der Vergangenheit umso mehr den Charakter der Zersetzung annehmen, je enger es der Staat, zuerst mit dem Liberalismus, dann mit der Demokratie hielt. Das führte dann auch tatsächlich zu Übermut und Selbstüberschätzung.

Plötzlich wollten alle sich nicht mehr auf ihr eigenes Reservat und Revier beschränken, sondern überall hineinreden. Die Kulturschaffenden wurden politisch. Ein interessantes Dokument aus dieser Zeit ist Julien Bendas Essay Der Verrat der Intellektuellen (1927). Dieser Verrat ist nicht oberflächlich als ein Verrat am Ideal der liberalen (gemäßigten) Demokratie zu nehmen, sondern, tiefer, als ein Verrat an der Intellektuellenillusion der Insularität ihres besonderen Reservats und Reviers. Gerade auf die aber wollte ein so treuer Intellektueller wie Benda nicht verzichten. Der Idylle wegen sprach er sich für die Selbstbescheidung aus – man beachte die Parallele zur Selbstbeschränkung des liberal-individualistischen Staats.

Zur Idylle Bendas gehört vorzüglich die Beschäftigung des Intellektuellen mit geistigen Dingen. Analog dem l´art pour l´art der Künstler ist der Geist für den Intellektuellen auch nur um seiner selbst willen da. Der Intellektuelle ist für sich eine vom Körper losgelöste Wesenheit. Sich im Umgang mit Geistigem selbst als geistige Wesenheit zu erfahren, ist für ihn ein Genusserlebnis. Um in den ungestörten Genuss seiner eigenen Geistigkeit zu kommen – oder, wenn es ein Künstler ist, zur Gänze in seinem Kunstschaffen aufzugehen –, muss für Sicherheit, Wohlstand, überhaupt für einen geregelten Lebensablauf in der Umgebung gesorgt sein. Das ist das bürgerliche Dasein.

Die Politisierung selbst treuester Intellektueller ist unvermeidlich

Egal, wie sehr der Intellektuelle gegen den Bourgeois eifern mag, oder der Künstler das Ideal des Bohemiens hochhält, für beider Dasein trägt die bürgerliche Gesellschaft sorge. Sowohl Intellektuelle als auch Künstler finden nur einen Halt in der Welt, weil die tauben Philister und Banausen ein lebensnotwendiges Untergrundgestein bilden. Der treue Intellektuelle fragt sich nicht, ob er der Gesellschaft nützt, denn sie ist es, die ihm nützen soll.

Was er ihr im Gegenzug gibt, ist nichts anderes als die schönrednerische Umsetzung seiner Gedankenarbeit. Sieht dieser Gehirngespinstfabrikant, Schwatzkünstler und Schreiberling nun gerade die Daseinsweise, die ihm sein ungestörtes Genusserlebnis gewährt, gefährdet, widerfährt ihm das Paradox, politisch zu sein. Der „Verrat der Intellektuellen“ liegt, wenigstens der Möglichkeit nach, in der Sache selbst begründet und ist unvermeidlich, sobald der Intellektuelle eine Bedrohung wittert. Der Intellektuelle muss sich artikulieren, er muss sich äußern, Gehör verschaffen und Aufmerksamkeit erregen beim Publikum, und zwar im eigenen Interesse.

Vom Theologen …

In gewisser Hinsicht traten die Intellektuellen seit dem 17. Jahrhundert immer mehr in die Fußstapfen von Theologen, die sich mit politischen Dingen befassen. Die Theologen taten das nicht immer zum Vergnügen ihrer jeweiligen Fürsten, wie eine Ermahnung Kaiser Karls V. erkennen lässt, die „Mönche“ mögen doch endlich schweigen. Adressat war ein besonders qualifizierter Theologe, Franz von Vitoria. Dieser hatte das damalige politische Zeitgeschehen unter den Gesichtspunkten von Sittlichkeit und Vernunft auf seine grundsätzliche Berechtigung hin untersucht. Die Objektivität und Sachkenntnis, mit der Vitoria selbst entgegen den Interessen seines Monarchen urteilte, musste missfallen. Das Theologieverständnis Vitorias forderte eine umfassende Weltkenntnis, und die ging notwendig über die nackten Tatsachen sowie kaiserliche Interessen gleichermaßen hinaus.

Nach Vitoria stellt die Theologie als dem umfangreichsten Gebiet geistiger Betätigung allerhöchste Ansprüche an den Theologen. Ein kompetenter, in den verschiedensten Dingen bewanderter Theologe ist noch viel seltener als ein vollkommener Redner. Um zu sprechen, muss der Theologe nicht nur den notwendigen Sachverstand mitbringen. Er hat sich zu vergewissern, dass er auch wirklich mit einem wichtigen Thema sowie mit einem universalen Anspruch auftritt, um überhaupt sprechen zu dürfen. Freilich konnten die Theologen nicht ewig auf der Höhe bleiben, so dass mit dem Niveau auch die Autorität sank. Auf den außergewöhnlichen Theologen von Fach folgte der gewöhnliche weltliche Kleriker, der Intellektuelle.

… zum Sophisten und selbstverliebten Doktrinär

Die Intellektuellen nun waren ganz niveaulos, konnten folglich auch keine Autorität für sich geltend machen. Was sie anstatt einer Autorität, die sie nicht besitzen konnten – so wie der Fuchs in Äsops Fabel die Trauben nicht besitzen kann –, geltend machen, war ihre Emporkömmlingsvernunft. Und die machte alle Autorität schlecht, genauso wie der Fuchs die Trauben schlecht macht, nur weil er nicht an sie ran kommt. Aber selbst heute noch wollen es die Intellektuellen den alten Theologen gleich tun. Der französische Soziologe Gabriel de Tarde bemerkt dazu: „Die Nachahmung der Theologen ist so sehr die Seele ihrer heimlichen Revolte, dass sie sich glücklich schätzen, wenn sie es schaffen, in ihrem kleinen speziellen Bereich zu lehren und dabei den Gelehrten und Wissenschaftlern Leitideen aufzuerlegen.“

Die Intellektuellen des 18. Jahrhunderts hatten keinen Zugang mehr zu einer wahrhaft universellen Weltauffassung. Das enzyklopädische Wissen der Zeit war alles andere als echte Weltkenntnis. Und die wissenschaftliche Spezialisierung ihrer akademischen Zöglinge im 19. Jahrhundert führte nicht zurück zu einer ganzheitlichen Betrachtungsweise. Die kosmopolitische Pseudouniversalität der Intellektuellen bediente sich dazu noch der Vernunft als einem Korrosiv, um sich in der Wirklichkeit durchzusetzen. All das zeigt, die Intellektuellen waren keine Freunde wahrer Einsicht und Weisheit, sondern Sophisten, Freunde gemeiner Meinungen und selbstverliebte Doktrinäre. Wenn der Sophist spricht, so tut er es, um seinem Publikum nach dem Mund zu reden.

Der sittenverderbende Künstler als moralische Instanz

Die Ablehnung dieser Afterphilosophen seitens des französischen Traditionalisten Louis de Bonald (1754-1840) findet ihre Parallele in Platons Ablehnung gewisser Künste, namentlich der Dichtkunst. Im Gegensatz zum Liberalismus und heutigen l´art pour l´art-Schwarmgeistern wusste Platon, dass die Künste wesensgemäß fest in das Gemeinwesen eingebunden sein müssen. Ein Kunstschaffen, welches sich gegenüber der Religion, der Politik oder der Sitte verselbständigt, versteigt sich in Abartigkeiten. Anzügliche oder unglaubliche Götterdichtungen z.B. wirken sittenverderbend auf die Menschen und damit zersetzend auf das Gemeinwesen.

Das heutige Selbstverständnis der Kunst ist im Allgemeinen durchaus atheistisch bis blasphemisch, sogar antiästhetisch. In den Augen des Liberalismus legitimiert Kunst den Unsinn und Unfug genauso wie die Abartigkeit, weil die Kunst ja abseits der Politik steht. Gerade aber, weil sie abseits der Politik stehen, wagen es zeitgenössische Künstler immer wieder, ihrem Kunstschaffen einen politischen Anstrich zu geben oder sich direkt politisch zu äußern.

Sie ziehen dann mit den Intellektuellen gleich, die sich daran machen, von ihren kleinen Inselherrschaften aus das Festland anzuvisieren. Der Erfolg bleibt auch den Künstlern nicht verwehrt. Heutzutage wird geradezu erwartet, dass der Künstler auch politisch etwas zu sagen hat. Idealerweise ist er ein „Aktivist“. Besonders qualifiziert sind die Künstler, die Opfer von Unterdrückung und politischer Verfolgung geworden sind, die im Exil leben oder deren freies Kunstschaffen von bestimmten Regimes verhindert wird. Das Nonplusultra ist natürlich der politisch gefangene Künstler, also der Künstler hinter Gittern oder unter Hausarrest. Zur Not geht auch ein Künstler, der irgendwie irgendwo einmal irgendwelchen Widerstand geleistet hat. Das macht ihn glaubwürdig für den Fall, dass er sich eines Tages politisch äußern sollte.

(Bild: Das Schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch)

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