Gesichtet

Die Kunst des Nudging

Plant der Staat den ökologischen Übermenschen? Ganz so schlimm ist es noch nicht, aber er stupst uns in die gewünschte Richtung.

Was ist eigentlich Nudging? Dafür, dass wir alle „genudged“ werden, wissen erstaunlich wenige Leute, worum es sich bei dieser Art der staatlichen Politik handelt. „Nudge“ kommt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie kleiner Stoß, Anstoß oder Schubser. Und genau das macht Vater Staat mit seinen Bürgern. Die größte Stärke des Nudgings kann man bereits aus der Übersetzung ableiten. Es ist keine paternalistische Peitsche, kein aggressives Drängen der Bevölkerung in eine bestimmte Richtung. Stattdessen ist der Anreiz, oder eben Nicht-Anreiz, oft so klein, dass der normale Bürger dies überhaupt nicht merkt.

Minimale Beeinflussung im Alltag

Das mögliche Nudging, aber auch bereits durchgeführte Beeinflussungen, gibt es in allen Facetten. Das fängt bei transparenten Inhaltsstoffen von Lebensmitteln an, die Käufer beeinflussen sollen und können, und hört bei den Schock-Bildern auf Zigarettenpackungen auf. Aber auch auf den ersten Blick völlig unscheinbare Veränderungen zählen zum kleinen Schubs in die richtige Richtung. Sogenannte „default-rules“, also Voreinstellungen auf bestimmte Wahlmöglichkeiten, zählen zum wichtigsten Werkzeug der Politik.

Zwei Beispiele: Die Studenten unter den Lesern haben in den letzten Jahren sicherlich mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Die Druckfunktion der Uni-Drucker wurde dahingehend geändert, dass Dokumente automatisch doppelseitig gedruckt werden. Man klickt also wie gewohnt auf „Drucken“ und schon hat die Universität Papier gespart, oder wie sie es selbst ausdrücken würde, die Wälder gerettet. Man selbst ärgert sich dann, wenn die Hausarbeit oder wichtige Dokumente auf beiden Seiten abgebildet sind. Doch auch bewusst entscheiden sich im Zuge dieser Reformen immer mehr Menschen zum beidseitigen Druck. Die Voreinstellung signalisiert der Psyche, dass die Auswahlmöglichkeit die gesellschaftlich gewollte Option, die Norm ist.

Die Standard-Einstellung leitet unser Handeln

Abgesehen von diesen kleineren Ärgernissen gibt es auch weitreichende „default-rules“, die nicht unbedingt schlecht sein müssen. In Finnland, Norwegen oder Belgien ist man im Falle seines Todes automatischer Organspender. Man muss zu Lebzeiten widersprochen haben, ansonsten dürfen Krankenhäuser die gewünschten Organe entnehmen und spenden. In Deutschland und den meisten anderen Ländern auch benötigt man dagegen die aktive Zustimmung zum Spenden. In Belgien, aber auch in den meisten Ländern mit dieser Widerspruchsregelung, beträgt der Anteil der Organspender auf eine Millionen Menschen zwischen 20 und 30 Post-Mortem-Spenden. In Ländern mit der Zustimmungsregelung, also wie in Deutschland, ist die Anzahl signifikant geringer.

Immer häufiger, gerade im Zeitalter der Risikominimierung des Lebens, zielt das Nudging auf gesundheitliche Aspekte ab. Der Staat fragt sich: Wie bekomme ich einen gesunden Bürger, ohne auffällig in sein Leben einzugreifen. Das Schlüsselwort hierfür lautet „libertärer Paternalismus“. Dieses eigentliche Oxymoron ist eng verwandt mit dem Nudging. Der Staat lässt dem Bürger zwar noch immer die freie Wahl, allerdings protegiert er diesen dabei auf väterliche Weise. Sozusagen der zarte große Bruder. Die genannten Standardeinstellungen bilden hier die meisten Einflussmöglichkeiten.

Geframte Veganer und geächtete Trinker?

Aber auch das Framing, also die bewusste Beeinflussung einer Entscheidung durch Änderung der Rahmengegebenheiten, wird immer häufiger angewandt. Das deutlichste Beispiel ist hierbei das Abbilden der Schock-Bilder auf Zigarettenschachteln, die dem Raucher immer noch die „freie“ Wahl lassen (Sieh her, du darfst immer noch rauchen), aber gleichzeitig mit den schlimmsten Konsequenzen drohen. Hier erinnert man sich an tatsächliche Erziehungsarbeit: „Kind mach was du willst, aber du wirst sehen was du davon hast!“. Auch auf die Trinker hat der Staat es mittlerweile abgesehen. Zwar gibt es noch keine Schockbilder von aufgedunsenen Lebern, aber immer mehr Supermärkte verfrachten den Branntwein hinter die Kasse zu den Zigaretten. Ja, man kann den Schnaps immer noch kaufen, aber ein Teil der Leute ist abgeschreckt, nach dem sozial geächteten Produkt an der Kasse zu fragen, wenn in der Schlange zehn Leute stehen.

Aber auch die Ernährung ist betroffen. Theresa Marteau, Wissenschaftlerin an der University of Cambridge im Bereich Public Health, schlug bereits 2011 einige liberal-paternalistische Ansätze vor. Supermärkte sollen gesunde Lebensmittel gut sichtbar im Eingangsbereich platzieren, Alkohol könnte in kleineren Portionen serviert werden, was bedeuten würde, dass nicht nur die Wirte mehr verdienen würden, sondern auch die Gäste weniger trinken. Radfahren muss angepriesen werden und Treppen den Aufzügen vorgezogen werden. Aber auch die mittlerweile dutzenden von Siegeln auf Lebensmitteln tun ihr übriges. Ein Gros der Kunden greift zum „Super-Bio-Hühner-Glücks-Siegel“, ohne überhaupt zu wissen, was dahinter steht. Die Produzenten gehen diesen Weg natürlich gerne mit, versprechen diese Qualitätskennzeichen doch auch gesteigerten Umsatz.

Gibt es den freien Willen zur Plastiktüte?

Dann steht man natürlich vor dem nächsten Problem. Wie soll man den Einkauf nach Hause bringen? Aufgrund einer neuen EU-Richtlinie soll der Verkauf von Plastiktüten reduziert werden. Mittlerweile kosten die Tüten in den Geschäften einige Cents und verringern bereits die Kaufanzahl. Ganz ohne Gesetz. Denn dieses drohte nur, sollten die Staaten und die Wirtschaft sich weigern diese Richtlinie umzusetzen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin kein Verfechter von umweltschädlichen Tragetaschen. Doch stellen sich hier drei Fragen: Inwiefern soll der Staat sich in die Interessen der Wirtschaft einmischen? Bleibt es bei dieser „geringen“ Beeinflussung? Woher weiß der Staat, was das Beste ist?

Nichtsdestotrotz kann man als Plastiktüten-Fetischist sich immer noch für die einfache Transportmöglichkeit entscheiden. Also gängelt der Staat uns Bürger doch gar nicht? Das alles mag zwar noch immer nach eigentlich freier Entscheidung klingen, aber welche Entscheidung ist überhaupt frei? Wie Sigmund Freud bereits vor genau 100 Jahren erkannte: Der Mensch ist nicht einmal Herr im eigenen Haus. Unsere Entscheidungen und kausalen Handlungsketten sind durch eigenes Erleben, gesellschaftliche Prägung und die Umwelt in starkem Maße determiniert. Der freie Wille, darüber lässt sich sicherlich trefflich streiten, ist also ein Konstrukt. Und ein Konstrukt kann man, wenn man die richtigen Hebelpunkte findet, ändern, manipulieren oder zum Einsturz bringen.

Ziel der Bundesregierung, und darüber sollte kein Zweifel bestehen, ist die immer stärker werdende Beeinflussung der Bürger in ihrem Sinne. Die wissenschaftlichen Möglichkeiten sind bereits gegeben und werden in den kommenden Jahren weiter ausgebaut werden. Die „Väter“ des libertären Paternalismus, die amerikanischen Ökonomen Cass Sunstein und Richard Thaler, berieten über Jahre hinweg die Obama-Administration, wie man das unverantwortliche Volk ein wenig beeinflussen könnte. Wer sprang auf den Zug auf? Selbstverständlich unsere Kanzlerin Angela Merkel. Seit 2015 arbeiten Psychologen im Beraterstab der Bundesregierung und versuchen das deutsche Volk in die richtige Richtung zu stupsen. Was die richtige Richtung ist, weiß natürlich nur die Bundesregierung alleine.

(Bild: Pixabay)

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