Gesichtet

Die Pflegepolitik der AfD

Mit einem eigenen „Konzept zur Sozialpolitik“ und ihrem Bundestagswahlprogramm bemüht sich die AfD um eine Schärfung ihres sozialen Profils.

Viel Platz nimmt dabei die Darstellung der allseits bekannten demographischen Situation in der Bundesrepublik ein. Dies geht leider zu Lasten von konkreten Vorschlägen zur Lösung des Rentenproblems und des Pflegenotstandes. Insbesondere mangelt es an Vorschlägen zur Finanzierung der Maßnahmen. Hier liegt somit allenfalls ein „Konzept“ im Sinne von ersten Ideen oder einem ersten Entwurf vor, aber kein Konzept als ein klar umrissener Plan bzw. Programm.

Laut dem Konzept sei die wesentliche Ursache der Verwerfungen in unseren Sozialsystemen die demographische Krise. Doch nicht nur aufgrund der Überalterung der deutschen Gesellschaft hat sich die Krise der Sozialsysteme verschärft, sondern auch aufgrund der massiven Zuwanderung, welche die Zahl der Leistungsempfänger erhöht, die der Beitragszahler aber nicht signifikant. Hierzu findet man aber leider nur im Bundestagswahlprogramm von 2017 klare Aussagen:

„Sozial- und Gesundheitsleistungen für Asylbewerber dürfen keine Anreizwirkung entfalten und sind auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken. Es muss der Grundsatz gelten: „Sachleistungen vor Geldleistungen“.“

„Die Stabilisierung der Sozialsysteme erfordert bei einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung besondere Anstrengungen. Unsere begrenzten Mittel stehen deshalb nicht für eine unverantwortliche Zuwanderungspolitik, wie sie sich kein anderes europäisches Land zumutet, zur Verfügung.“

„Unser Sozialstaat kann nur erhalten bleiben, wenn die geforderte finanzielle Solidarität innerhalb einer klar definierten und begrenzten Gemeinschaft erbracht wird.“

„Die Finanzierung unseres Gesundheitswesens wird durch allgemeine politische Fehlentwicklungen bedroht: Die von den Kassen zu tragenden Kosten für Migranten, Flüchtlinge und Asylbewerber laufen aus dem Ruder…“

Diese klaren Worte fehlen im Konzept zur Sozialpolitik und auch im aktuellen Wahlprogramm 2021 finden sich nun weniger deutliche Aussagen als noch 2017. Unverständlich bleibt, warum sinnvolle Forderungen in Bezug auf die gesetzliche Rentenversicherung nicht auf die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung übertragen werden. Warum sollten Politiker und ein Teil der jetzigen Beamten zwar in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, aber nicht in die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung?

Diese Forderungen sind auch für die Kranken- und Pflegeversicherung zu stellen, um die Einnahmenseite im Sinne eines solidarischen Miteinanders zu stärken. Diese Mehreinnahmen sollen jedoch nicht in Mehr-Ausgaben für „Migranten“ fließen, sondern Einheimischen bzw. deren Versorgung verbessern. Einen Anspruch auf volle Sozialleistungen sollten nur Deutsche haben.

Aus pflegerischer Perspektive weckt der Punkt 7.1 des Konzeptes „Pflegenotstand – den Kollaps verhindern“ besonderes Interesse. Ähnliche Forderungen finden sich im Wahlprogramm unter dem Titel „Beendigung des Pflegenotstandes“:

„Die Verweildauer der Patienten im Krankenhaus ist erheblich gesunken. Gleichzeitig ist der Kostendruck in Klinken, Rehabilitations- und Pflegeeinrichtungen gestiegen. Dies führt im Pflegebereich zu deutlicher Überlastung, zu Bürokratie, zu Demotivation, zu Kündigungen, in Folge zu Personalnot und weiteren Kündigungen. Ein Kollaps bahnt sich an. Die AfD will diese Entwicklung mit folgenden Lösungen aufhalten:

  • Aufwertung des Berufsbildes der examinierten Pflegekraft durch eine angemessene Bezahlung über einen Flächentarifvertrag mit steuerfreien Nacht-, Sonn-, und Feiertagszuschlägen.
  • Entlastung bei fachfremden Tätigkeiten, wie z.B. Dokumentationspflichten.
  • Eine verbindliche bundeseinheitliche, gesetzliche Personalbemessung für alle Pflegebereiche mit entsprechenden Personaluntergrenzen.
  • Regelmäßige Überprüfungen der Ergebnisqualität und der Abrechnungen in Pflegeeinrichtungen.
  • Förderung der Ausbildung zur examinierten Pflegefachkraft durch das Jobcenter, insbesondere für Pflegehelfer.
  • Einführung eines „Gemeinschaftsdienst-Jahres“ für alle Schulabgänger, welches im Pflegebereich, im Technischen Hilfswerk, bei der Feuerwehr oder der Bundeswehr absolviert werden kann.“

Der Überschrift folgend stellt das Konzept einen Pflegenotstand fest. Dies ist korrekt und mutig, da alle anderen Parteien von einem sich anbahnenden Notstand fabulieren. Kritisch wäre hier zu hinterfragen, warum denn der Kostendruck in den Einrichtungen gestiegen ist? Warum benennt man nicht, daß genug Geld für alles andere ausgeben wird (Bankenrettung, Klimarettung, Kampf gegen rechts, Versorgung „Nicht-schon-länger-Hier-Lebender“), aber nicht für eine Stärkung des Pflegebereiches.

Ein Flächentarifvertrag ist als Maßnahme zu begrüßen, enttäuschend genug, daß wir einen Pflege-Mindestlohn brauchen. Jedoch ist die Forderung nach steuerfreien Zuschlägen abzulehnen. Bleiben diese steuer- und sozialabgabenfrei, werden sie nicht beim Renten-Brutto berücksichtigt, d.h. sie spielen bei der Rentenhöhe keine Rolle. Warum das im Pflegebereich so sein soll, aber beim Industriearbeiter nicht, bleibt unverständlich.

Die Forderung nach Entlastung bei fachfremden Tätigkeiten ist zu unterstützen, nur daß hier die Dokumentationspflicht als Beispiel genannt wird, läßt eine Pflegefachperson ratlos zurück. Pflegekräfte sollen ihre erbrachten Leistungen sehr wohl dokumentieren, am besten digital, um endlich nachweisen zu können, was sie tagtäglich leisten. Denn nur so wird das pflegerische Leistungsgeschehen transparent und dementsprechend gewürdigt.

Zudem müssen Veränderungen des Patientenzustandes dokumentiert werden und haftungsrechtlich auch bestimmte Maßnahmen, wie Lagerung und Wundverlauf. Wir Pflegekräfte dokumentieren sehr gern unser eigenes Leistungsgeschehen. Genauso absurd wäre die Forderung, ein Arzt möge keinen Operationsbericht schreiben. Oder sind pflegerische Leistungen nicht so wichtig im Vergleich zu ärztlichen? Fachfremde Tätigkeiten, die von Service-Personal ausgeführt werden können, wären stattdessen: Essen verteilen, Betten machen, Schränke auffüllen, Betten putzen, fachfremde administrative Dokumentation.

Die Forderung nach verbindlichen Personalbemessungsinstrumenten ist zu begrüßen. Nur kann kein Personalbemessungsinstrument entwickelt werden, wenn die pflegerischen Leistungen nicht dokumentiert werden und damit nicht klar ist, was Pflege konkret leistet. Insofern ein weiterer Beleg, wie unsinnig die Forderung nach einer Entlastung von der Dokumentationspflicht ist. Richtig wäre hier eine „smarte“ digitale Lösung zu fordern.

Ebenso ist die Förderung der Weiterqualifizierung von Pflegehelfern und die Einführung eines „Dienstjahres“ zu unterstützen. Jedoch führen diese Maßnahmen und die bessere Bezahlung nicht sprunghaft zu mehr Pflegekräften. Hier ist deutlich mehr notwendig. Eine Möglichkeit wäre, die Masse an Teilzeitkräften zu einer Erhöhung ihrer Stunden zu ermuntern. Da der Pflegeberuf noch immer ein weiblicher ist, geht es oft um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Pflegerische Tätigkeiten werden 24/7 an 365 Tagen im Jahr erbracht, also bedarf es auch entsprechender Kinderbetreuungsangebote zu diesen Zeiten. Dazu das Wahlprogramm 2021:

„Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu vereinfachen, sind Betriebskindergärten stärker als bisher zu fördern. Sie reduzieren die Fahrtwege und vereinfachen die Abstimmung von familiären und beruflichen Verpflichtungen.“

Im Rentenprogrammteil des Konzeptes taucht die Forderung nach einem früheren Renteneintritt für Eltern auf, um eine Lastengerechtigkeit herzustellen. Ich würde dies um die Forderung nach einem früheren Renteneintritt für soziale Mangelberufe, hier Pflege, erweitern. Wer eine bestimmte Anzahl von Berufsjahren in der Pflege gearbeitet hat, kann mit 60 abschlagsfrei in Rente. Hier wären auch tarifvertragliche Regelungen denkbar.

Es sei hier an das „antiquierte“ Modell der Schwesternschaften bzw. Orden (Mutterhausprinzip) erinnert, wo man im Alter oder bei Krankheit in den entsprechenden Einrichtungen der Schwesternschaft bzw. des Ordens versorgt wurde. Im Unterschied zu heute: Die physisch-psychisch herausfordernde Pflegearbeit im Drei-Schicht-System ist kaum bis 67 durchzuhalten. Daher geht man früher mit Abschlägen in Rente und die geleistete Arbeit an Feiertagen und Wochenenden wird bei der Rentenhöhe auch nicht berücksichtigt, siehe oben. Nun, jedenfalls erhielt man während des Arbeitslebens hunderte Blumensträuße und kiloweise Merci-Schokolade …

Als neue Forderung tritt im Wahlprogramm 2021 hinzu:

„Wir befürworten weiter die getrennte Berufsausbildung von Gesundheits- und Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Altenpflege, die sich über Jahrzehnte bewährt hat. Die generalisierte Pflegeausbildung halten wir für eine Fehlentwicklung zu Lasten der Pflegebedürftigen.“

Hier kann eine Pflegefachkraft nur den Kopf schütteln. Diese Aussage steht der gleichzeitigen Forderung nach einer Aufwertung des Berufsbildes diametral entgegen. Denn die generalistische Ausbildung würde ja gerade die Altenpflege aufwerten. Diese wäre dann endlich ausbildungsniveaugleich mit der Krankenpflege, was eine schlechtere Bezahlung von Altenpflegekräften (z.B. Pflegeheim) gegenüber Krankenpflegekräften (z.B. Krankenhaus) nicht mehr rechtfertigen würde.

Mit welcher Begründung rechtfertigt man diesen Zustand? Werden im Pflegeheim keine Wunden versorgt, keine Tabletten gerichtet, kein Insulin gespritzt? Oder ist die Arbeit mit Bewohnern mit Demenz weniger herausfordernd, als die Pflege von Menschen nach einer Schenkelhalsfraktur? Und vor allem: wenn die Pflegekräfte selbst als Betroffene eine generalistische Ausbildung fordern, warum weiß man es als Nicht-Betroffener besser? Gern würde ich erfahren, warum eine generalistische Ausbildung zu Lasten der Pflegebedürftigen geht. Ganzheitlich ausgebildete Pflegekräfte versorgen die Menschen schlechter? – Nein, aber sie sind wahrscheinlich selbstbewußter, stellen andere Forderungen und lassen sich nicht weiter bevormunden.

Womit wir beim Punkt „Pflegekammer ablehnen“ wären: „Da kein Mehrwert für die Pflegenden vorhanden ist, lehnen wir die Zwangsmitgliedschaft in Pflegekammern ab.“ Was für Ärzte und Psychotherapeuten augenscheinlich einen Mehrwert hat, denn sie sind verkammert, ist für die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen also abzulehnen.

Gern würde ich den Handwerksmeister an der Spitze der Partei fragen, ob er einen ähnlichen Satz auch für seine Malerkollegen ins Programm schreiben würde. Warum ausgerechnet eine Pflegekammer keinen Mehrwert haben soll, bleibt eine unbeantwortete Frage. Wie soll eine Aufwertung eines Berufs erreicht werden, wenn dieser sich nicht selbst organisieren und verwalten kann. Wieso können Handwerker ihre Fort- und Weiterbildung selbst bestimmen, organisieren und zertifizieren, Pflegekräfte aber nicht.

Insgesamt läßt das Konzept und das Programm tiefergehende pflegerische Expertise vermissen. Vermutlich ein hausgemachtes Problem, denn die gesundheitspolitischen Sprecher der Fraktionen kommen in der Mehrzahl nicht aus dem Berufsfeld.

Also „Mut zur Wahrheit“: Eine menschenwürdige-menschengerechte Pflege kann aktuell nicht mehr flächendeckend geleistet werden, auch wenn es einzelne Leuchttürme geben mag. Als Solidargemeinschaft aller Deutschen muß es unser Ziel sein, diesen Zustand zu beenden. Ergreifen wir jetzt verschiedene Maßnahmen, werden wir zwar durch ein pflegerisches Versorgungstal schreiten, aber vermutlich in fünf bis zehn Jahren Erfolge sehen. Eine schnellere Lösung wäre die massive Anwerbung ausländischer Pflegekräfte, welche aber in Gänze mehr Nachteile als Vorteile böte.

Eine Absenkung des Versorgungsniveaus auf eine „Satt-und-Sauber“-Verwahrung, von Pflege möchte ich in diesem Zusammenhang nicht sprechen, halte ich für indiskutabel. Dies sollte im Wahlkampf so thematisiert werden und die für diese Misere verantwortlichen Alt-Parteien benannt werden. Denn eben jene haben diese Zustände zu verantworten, daher bestünde für die AfD selbst kein Risiko, den Wählern diesen reinen Wein einzuschenken.

Derzeit ist aus berufspolitischer Sicht die Partei (leider) nicht wählbar, genau wie viele andere Parteien auch!

Frieda Helbig hat für Recherche D, Heft 8 zur Sozialpolitik, bereits einen Beitrag zur Pflege beigesteuert.

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