Rezension

Die Rückgabe der Geschichte

Seit ihrer Premiere in 2011 hat die Serie „Game of Thrones“ viel Stoff zu Diskussionen geliefert. Aber nie so viel wie die Endstaffel. Auch wenn wir uns hier lieber mit der Wirklichkeit beschäftigen, kann man viel davon lernen. Bevor ich weiter gehen kann, diktiert die Höflichkeit, dass ich eine Warnung liefern soll: Ich werde hier über alles um Game of Thrones sprechen. Wer nicht gespoilert werden will, soll das Lesen lassen.

Für diejenigen, die es nicht angeschaut haben, hier eine Zusammenfassung. Die gesamte Welt von Westeros stand vor der Katastrophe. Die Übernatürliche White Walkers haben eine Armee von Untoten aufgebaut und marschieren in das Land. Falls die Menschen ihre Streiterei um den Thron nicht aufgeben und sich im Kampfe gegen die Toten vereinigen, droht ihnen die Ausrottung. Oder so hat man gedacht. Die Allianz ist ausgeblieben, die Truppen des Nordens mussten sich mithilfe der Armee der exilierten Daenerys Targaryen allein verteidigen.

Die Armee der Untoten ist gegen die Burg von Winterfell gestürmt. Aber sie sahen nicht wie eine Armee aus, sondern wie eine Welle von Dunkelheit, die alle Verteidigungslinien mühelos durchbrochen hat. Die Stadt wurde wahrlich von Untoten überflutet. Die Lebenden hatten nie wirklich eine Chance gehabt und sie hätten auch verloren, wenn es nicht das größte Deus ex Machina aller Zeiten gegeben hätte.

Der Bösewicht, der seit dem Anfang langsam aufgebaut wurde, war in kurzer Zeit besiegt und der Kampf um den Thron ging weiter. Konkurrierend standen die machtbesessene Cersei Lennister und die herausfordernde Daenerys Targaryen, die Mütter der Drachen. Die eigentlich rechtmäßige Thronnachfolgerin hatte im Exil im Osten aufwachsen müssen, wo sie von ihrem Bruder in einer politischen Heirat zu dem nomadischen Volk der Dothraki verkauft worden war.

Nichtsdestotrotz hatte sie mit ihren Drachen das gesamte Sklavenhandeln im Osten gebannt und eine Armee von ehemaligen Sklaven, die sie befreit hat, aufgebaut. Sie wird als Mutter und Befreier hochgelobt. Ihre Ambitionen sind jedoch immer gewesen, die Westeros zurückzugewinnen. Mit ihrer Armee und ihrer Großzügigkeit glaubt sie, Frieden zu dem Reich bringen zu können.
Im Westeros sind die Menschen jedoch misstrauisch ihr gegenüber. Sie sind keine Sklaven, die befreit werden müssen, sondern nur freie Männer und Frauen, die ihr Leben unabhängig führen wollen. In ihren Augen ist sie nur Tochter von einem wahnsinnigen König und Anführerin von einer Fremdenarmee.

Der erwartete Kampf dauerte jedoch nur sieben Minuten. Ihr Drachen ist so übermächtig, dass die Königsstadt sich einfach ergibt. So hätte sie ohne großes Blutvergießen die Krone holen können. Die großzügige Heldin entschied sich allerdings, die Stadt niederzubrennen und unzählige Zivilisten zu ermorden. Denn sie haben gewagt, sich gegen einen Einmarsch zu verteidigen. Das tat ihr aber nicht gut und die neue Königin starb durch die Hand ihres Geliebten. Die Fremdvölker gingen freiwillig zurück, wo sie hergekommen sind und das Reich wird ab jetzt durch einen gewählten König regiert. Nicht wie in einer Demokratie, sondern wie im Heiligen Römischen Reich, durch den Fürsten. Westeros entwickelt sich aus dem Mittelalter zu einer Art Frühneuzeit.

Was die Geschichte uns sagen will

Dieses Finale hat viele Fans enttäuscht. Denn, anders als viele glaubten, ist Game of Thrones keine Kritik von „Herr der Ringe“. Es ist keine nihilistische Geschichte, wo es keinen wahren Guten und keinen wahren Bösen gibt. Die letzte Episode hat durch verschiedene Referenzen klar gemacht: das ist ein Tribut zum Werk J.R.R. Tolkiens. Auch wenn es an der Oberfläche viele Graubereiche gibt, am letzten Tag, wo auch die Besten von Bosheit besessen werden können, muss der Held die richtige Entscheidung treffen, koste es, was es wolle. Deshalb, kann man sagen, wenn „Herr der Ringe“ der Welt eine Mythologie zurückgegeben hat, dann hat „Game of Thrones“ der Welt ihre Geschichte zurückgegeben. Der eine zeigt uns die Prinzipien, der andere, wie sie in der Praxis aussehen.

Diese Entwicklung hat auch viel Kritik hervorgebracht. Zum Beispiel: Wie könnte eine so liebliche Person wie Daenerys sich entscheiden Zivilisten zu ermorden? Ich fand das allerdings gar nicht so verkehrt. Verstehen Sie mich nicht falsch, die letzte Staffel wurde abscheulich schlecht geschrieben, weil die Produzenten sich nicht mehr auf die Bücher bezogen. Jeder mittelmäßige Drehbuchautor hätte es besser machen können. Das allgemeine Narrativ jedoch, das vermutlich direkt von George R.R. Martin kommt, ist sehr passend.

Die Bosheit liegt im Inneren

Jeder hat gedacht, die größte Gefahr kam von den White Walkers. Eine übernatürliche und unmenschliche Macht, die die Menschheit zu zerstören droht. Etwa wie eine Naturkatastrophe oder der Klimawandel. Aber die tatsächliche Gefahr kam von der Schlange oder besser gesagt von dem Drachen. Egal wie groß die äußere Gefahr ist, die Bosheit, die im Menschen innewohnt, ist viel gefährlicher. Noch mehr, diese Bosheit befindet sich nicht (nur) im anscheinend Bösen, sondern kann sogar die Guten verführen.

Wenn es darum ging sich mit Sklaven zu umgeben, war Daenerys gut und großzügig. Aber, wenn es darum ging, ihr eigenes Volk zu gewinnen und mit freien Menschen zu handeln, die sich sehr wohl anders entscheiden können, gab es keine Toleranz. Daenerys ist eine Variante der mythologischen Idee der verschlingenden Mutter. Eine Mutter, die so viel Angst hat, dass ihre Kinder aufwachsen und sie verlassen, weswegen sie die Entwicklung ihrer Kinder zu Unabhängigkeit verhindert und sie in ewige Knechtschaft zwingt. Im Gegenzug schlägt sie alle mögliche Bedrohung brutal nieder.

Und was ist mit unserer Welt?

Der Leser denkt jetzt bestimmt, was hat das jedoch mit uns zu tun? Alle wissen genau, welche Gefahr eine maskuline Politik mit sich bringt, aber nur sehr wenige sind sich im Klaren darüber, dass feminine Politik genauso schädlich sein kann. Die feministische Bewegung ist ein großes Beispiel dafür, aber nicht nur das, die Entwicklung des Nationalstaates vom Wohlstands- zum überall anwesenden Mutterstaat ist auch Teil einer Feminisierung der Politik. Von der Migrationskrise muss ich gar nicht sprechen.

Das heißt natürlich nicht, dass wir versuchten sollten aus Fernsehserien politische Ratschläge zu ziehen. Denn wie Tolkien uns gelehrt hat, die besten Geschichten sind nicht metaphorisch, sondern symbolisch. Sie entsprechen der Realität nicht eins-zu-eins, sondern exemplifizieren einen Archetyp, der auch in der Realität wiedergefunden werden kann.

Und deshalb hat George R.R. Martin jetzt meinen Respekt. Denn, egal ob bewusst oder unbewusst, er hat einen Archetyp gewählt, mit dem wir jetzt streiten müssen. Er hat seine Geschichte zu einer Warnung gemacht vor Menschen, die die Welt schlagartig retten wollen, statt der Weltgeschichte ihren „natürlichen“ Lauf zuzugestehen.

(Bild: Kal242382 – Wikipedia, CC BY-SA 4.0)

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