Gesichtet

Die Trägheit der schweigenden Mehrheit

Sie ist die Wunderwaffe aller Konservativen, die nur darauf wartet, aktiviert zu werden: die schweigende Mehrheit. Aber gibt es sie wirklich und auf welcher Seite steht sie?

Die patriotischen Parteien dümpeln noch immer unter 20 Prozent herum, aber in Wahrheit steht die Mehrheit der Bevölkerung auf unserer Seite. Wenn es nicht die ständige Propaganda und die staatliche Repression gäbe, wäre alles gut … Wir müssen nur durchhalten, denn die bloße Existenz von einer vernünftigen Opposition wird die Repression diskreditieren und wenn das geschieht, wird die schweigende Mehrheit sich uns anschließen. So etwa geht der Plan.

Die Geschichte eines Begriffs

Aber stimmt das überhaupt? Um das zu beantworten, lohnt es sich, die Geschichte dieses Begriffs nachzuverfolgen. Er ist eine Übersetzung aus dem Englischen. Im 19. Jahrhundert war er da jedoch eher ein Euphemismus zum Tod, da die Toten immer zahlreicher als die Lebenden sind. So sagte man statt „Er ist gestorben“ lieber „Er hat sich der schweigenden Mehrheit angeschlossen“.

Gleichzeitig hatte der Ausdruck in der Politik eine abwertende Bedeutung gegenüber Abgeordneten, die sich in Diskussionen nicht einmischten und dann als Block wählten. Eine wohlwollende Bedeutung gewann der Begriff im 20. Jahrhundert. Die Kampagne des 29. US-Präsidenten Warren G. Harding (1865-1923) war so aufgebaut, um den durchschnittlichen Bürger zu begeistern, der sich in der Politik nicht vertreten fühlte. 50 Jahre später gelang dem Begriff schließlich der Durchbruch. Inmitten von landesweiten Protesten gegen den Vietnamkrieg, sprach Nixon 1969 von einer schweigenden Mehrheit der Amerikaner, die sich nicht an Protesten beteiligte und ihm den Rücken stärken würde.

Wählen nach Gewohnheit

In der Tat, nach seiner Rede sprang Nixons Zustimmung von 50 auf etwa 80 Prozent. Ein Mythos war geboren. In den folgenden Jahrzehnten erlangte die „schweigende Mehrheit“ große Popularität bei Konservativen, auch diesseits des Atlantiks. Aufgrund immer lauter werdender Linksaktivisten hofften sie, am Wahltag würde doch die Vernunft siegen. Und was soll man dagegen sagen? Es stimmt.

Die CDU, die sich konservativ nennt, ist nach wie vor die größte Partei der Bundesrepublik. Was ich davon halte, können Sie hier lesen. Mir ist heute wichtiger zu bemerken, dass es durchaus eine Wählerschicht gibt, die ihr tägliches Leben abseits der Politik führt und nach Gewohnheit wählt. Diese Schicht bringt eine gewisse Trägheit mit, die den raschen Aufschwung neuer Parteien verhindert, egal wieviel Zustimmung und Jubel sie bekommt. Wer von der schweigenden Mehrheit in diesem Sinn spricht, wie Nixon, hat recht.

Die schweigende Mehrheit steht nirgends

Wer aber darauf wartet, dass diese Mehrheit sich uns Patrioten anschließt, der wird ewig warten müssen. Denn die schweigende Mehrheit ist nicht unserer Meinung. Sie hat überhaupt keine Meinung. Sie besteht aus Menschen, die sich über die Fragen, die uns quälen, nicht so viele Gedanken machen. Erst wenn sie mit Entscheidungen konfrontiert werden, bilden sie sich ihre Meinung und zu wessen Gunsten das ausfällt, lässt sich nicht voraussagen.

Die schweigende Mehrheit kann sich sehr wohl entscheiden, dass sie lieber anonym in Multikultiland leben will, statt Verantwortung zu übernehmen, ihre Heimat zu lieben und zu pflegen. Nach dem Motto: In den Ruinen von einer Burg zu leben ist zwar nicht bequem, aber viel leichter als eine zu bauen oder zu erobern.

Ich will hier revolutionäre Momente keineswegs ausschließen. Die Geschichte beweist das Gegenteil. Aber darauf zu wetten, liefert nur den Eindruck, dass wenn die Probleme ein bisschen großer wären, würden alle Schläfer aufwachen. Weiter von der Wahrheit könnte dieser Gedanke nicht liegen. Denn wer mit einem massiven Problem konfrontiert wird, geht nicht verstärkt in die Öffentlichkeit, sondern zieht sich häufiger ins Private zurück.

Es ist deshalb sinnlos auf eine Verschärfung der Situation zu warten. Auch wenn ein solches „Aufwachen“ kommen würde, wäre eine unvorbereitete patriotische Bewegung, die sich nur um Kritik kümmert, nicht in der Lage das Momentum zu nutzen.

Die Unentschiedenen für sich gewinnen

Deshalb sollten wir nie mit der Prämisse arbeiten, es sind schon genug Menschen unserer Meinung, sondern allen Bürgern immer begegnen, als wären sie noch unentschieden. Wir müssen fähig sein, mit denen von Angesicht zu Angesicht zu sprechen und eine Vision übermitteln, wie wir die Welt in eine positive Richtung bewegen können.

Dazu gehört: Alternativen zum Globalismus aufzeigen, unsere humanistischen Ideale vertreten und zeigen, dass die Liebe zum Eigenen etwas Selbstverständliches ist. Kurz gesagt: Die schweigende Mehrheit ist tot, sie hat keine Stimme. Geht deshalb auf die Lebenden zu.

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