Gesichtet

Die Vermessung der Psyche

Siegte Donald Trump dank Facebook? Die Propagandatauglichkeit von Facebook wurde jedenfalls bewiesen. Fahrt frei für die digitale Manipulation – auch in Deutschland.

Likes sind die Währung des digitalen Zeitalters. Sie sind der elektronische Ausdruck der Anerkennung, die jemand für einen Beitrag bei Facebook oder andernorts erhält. Die Zahl der Likes zeigt, wie beliebt jemand und seine Meinung sind. Sie werden auch für beliebige Produkte und Marken verteilt. Damit zeigen Internetnutzer dann gerne ihren „Freunden“ die eigenen Vorlieben. Meistens wollen sie damit beeindrucken. Mit Likes kann sogar Politik gemacht werden. Damit sind nicht die Facebook-Seiten von Politikern gemeint, die im „Neuland“ auf Likes warten. Angela Merkel kommt hier auf klägliche 2,3 Millionen, während Trump bereits rund 16 Millionen Likes sammeln konnte.

Diese Likes sind durchaus wertvoll, denn sie können dazu dienen, die Persönlichkeit eines Menschen zu vermessen. Was einem Menschen gefällt, gibt also Aufschluss darüber, welche Persönlichkeit ein Mensch hat und mit welchen politischen Botschaften er am besten zu manipulieren ist. Diese Persönlichkeitsvermessung ist seit den 1980er Jahren eine psychologische Praxis, die im Zweig der Psychometrie ihre Heimat gefunden hat. Dabei wird nach der so genannten Ocean-Methode vorgegangen. Diese beruht auf der Erkenntnis der Möglichkeit, den Charakter eines Menschen anhand von fünf Persönlichkeitsdimensionen zu erfassen.

Likes machen manipulierbar …

Die fünf Persönlichkeitsdimensionen sind Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurozentrismus und bis zum Siegeszug von Facebook und Co. war für ihre Erfassung anhand von Fragen wie beispielsweise „Wie aufgeschlossen sind sie gegenüber Neuem?“ oder „Wie rücksichtsvoll und kooperativ sind Sie?“ ein komplizierter Fragebogen nötig. Dieser gab zwar am Ende Aufschluss darüber, welche Bedürfnisse und Ängste ein Mensch hat und wie er sich in bestimmten Situationen verhalten wird, aber die Datengewinnung war sehr zeitintensiv.

Das hat sich maßgeblich durch den Psychologen Michal Kosinski von der Universität Cambridge geändert. Ihm und seinem Team ist es gelungen, eine technische Methode zur Persönlichkeitsvermessung eines Menschen anhand seiner Likes auf Facebook zu entwickeln. Wer das selbst einmal ausprobieren möchte, der findet den entsprechenden Test auf der Internetseite https://applymagicsauce.com.

68 Facebook-Likes sind ausreichend, um die politische Ausrichtung, die Intelligenz, die Religionszugehörigkeit oder die sexuelle Orientierung eines Menschen zu bestimmen. Bereits zehn Likes genügen aber, um einen Menschen besser einschätzen zu können, als das ein durchschnittlicher Arbeitskollege könnte. Mit 70 Likes gelingt die Einschätzung besser als durch Freunde, mit 150 besser als durch die Eltern und mit 300 besser als durch den Partner. Je mehr Likes ein Nutzer also bei Facebook hinterlässt, umso durchschaubarer und manipulierbarer wird er.

… weil sie die eigene Psyche offenlegen …

Für Kosinski ist Facebook deshalb nichts anderes als ein psychologischer Fragebogen, den jeder Nutzer relativ unbewusst und unbekümmert ausfüllt. Viele Nutzer machen dies täglich. Nur allzu gerne geben sie öffentlich preis, welche Vorlieben sie haben und wie sich ihre Meinung geändert hat. Für jede politische Kampagne sind diese Informationen Gold wert. Sie erlauben schließlich einen tiefen Einblick in die Psyche des Menschen, vor dem der koreanische Philosoph Byung-Chul Han in seinem Buch Psychopolitik unlängst gewarnt hat.

Diesen Einblick hat sich Donald Trump zunutze gemacht. Er ließ vom britischen Unternehmen Cambridge Analytica die Psyche aller erwachsenen 220 Millionen Amerikaner vermessen. Dieses Unternehmen hatte bereits die Brexit-Kampagne erfolgreich betrieben. Auch an Trumps Sieg hatte es einen nicht zu unterschätzenden Anteil. Das zeigen zwei Beispiele aus der mit rund 15 Millionen Dollar eher günstigen Digitalkampagne Trumps. Beispiel eins ist eine App, die Trumps Wahlhelfern bei Hausbesuchen zeigte, welche Einstellungen die jeweiligen Bewohner hatten. Die App empfahl, wo sich ein Hausbesuch lohnte und wo nicht. Beispiel zwei ist die Versendung von Nachrichten mit Trumps Positionen. Aufgrund der genauen Kenntnis der Psyche jedes einzelnen Facebook-Nutzers konnten diese so formuliert werden, dass sie ihren Empfängern psychologisch optimal entsprachen.

… und den Staat in den Kopf lassen

Beide Beispiele zeigen, wie wirksam im digitalen Zeitalter Propaganda betrieben werden kann. Jeder Mensch lässt sich mit der ideologischen Verkleidung einer Meinung versorgen, die ihn am ehesten zur Übernahme dieser Meinung motiviert. Facebook und Co. sind damit zu einer Art Volksempfänger 2.0 geworden, der nicht nur künftige Wahlkämpfe entscheiden wird. Auch die Politiker, die sich bereits an der Macht befinden, dürften dieses digitale Propagandainstrument gerne einsetzen, um die Bürger möglichst effizient zu manipulieren. Damit sind der neoliberalen Psychopolitik, die als Herrschaftstechnik „vermittels psychologischer Programmierung und Steuerung das herrschende System stabilisiert und fortführt“ (Han), Tür und Tor geöffnet.

Deshalb sollte die digitale Persönlichkeitsvermessung durch Facebook auch diejenigen in höchstem Maße beunruhigen, die sich in Deutschland und Europa über den Wahlsieg Trumps freuen. Eine wirklich alternative Politik ist nämlich in einem Umfeld der perfektionierten digitalen Manipulation noch weniger möglich als im System Merkel. Die Bundestagswahl im nächsten Jahr wird zeigen, was das für Deutschland bedeutet. Ein Aufbrechen der Kollaboration zwischen Politik und Neoliberalismus ist nicht zu erwarten. Daran wird auch die AfD als Teil des Systems nichts ändern. Die rund 26 Millionen Facebook-Nutzer werden zu einem großen Teil wahlentscheidend sein. Ihre Köpfe muss erobern, wer die Wahl gewinnen will. Am Ende werden sie dann denen gehören, die an der Macht sind.

(Bild: Pixabay, CC0 Public Domain)

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Jahrgang 1986, hat Soziologie und Politikwissenschaft studiert und lebt als selbständiger Autor in Köln. Für die Schriftenreihe BN-Anstoß hat er bereits zwei Bände beigesteuert: Geopolitik. Das Spiel nationaler Interessen zwischen Krieg und Frieden (2015). Sowie: Die ganze Wahrheit. Meinungsfreiheit als Herrschaftsinstrument (2016).

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