Gesichtet

Die Weisheit des Gartens

Ein guter Gärtner alten Stils wusste mehr über Mensch, Leben und Gesellschaft als der überintellektualisierte und überinformierte „Nutzer“ moderner Technologien.


Der Beweis für diese gewagte Behauptung ist schnell erbracht: Um 1990 kam von Seiten gewisser grüner „Ökos“ der Vorschlag, man solle die Unkräuter doch lieber als Wildkräuter bezeichnen. Die Frage, ob ein Unkraut nicht als Unkraut, sondern besser als Wildkraut zu benennen sei, ist dabei keine der Welterklärung und -erkenntnis, sondern eine der Weltanschauung: widernatürliche Reflexion hatte die „Ökos“ auf einen genauso abstrusen wie politischen Gedanken gebracht.

Mit der Umbenennung des Unkrauts in Wildkraut schleicht sich nämlich tatsächlich die Politik, gleich einem unheilbringenden Unkraut-, pardon!, Wildkrautsamen, in den Garten ein. Die Politik aber einmal beiseite: pragmatisch ist es ganz gleich, ob ich ein Wild- oder ein Unkraut ausmerze, das Wildkraut also genauso behandle wie vordem das Unkraut. Man darf sich auf Namen, die sich ändern können oder auch ganz bewusst geändert werden, nicht allzu viel einbilden. Viel eher muss man sich an die Sache halten.

Es gibt doch Unkräuter

Als Kind fand ich es schlüssig, dass es von nun an keine Unkräuter, sondern eben nur noch Wildkräuter geben sollte: In der Quecke, im Giersch, in der Vogelmiere, in der Melde usw. sah ich nicht Invasoren und Störenfriede, die es zu bekämpfen galt, sondern harmlose Unkräuter, die zu Unrecht als Unkräuter verfemt wurden. Dann, eines Tages, hörte ich auf, ein Kind zu sein, fand mein Interesse am Garten und fing an, diesbezüglich zu lernen. Je mehr ich über den Garten und seinen Bau erfuhr, je mehr ich mich als Hobbygärtner betätigte, desto klarer wurde mir: es gibt Unkräuter, und zwar eine ganze Menge von ihnen.

Unkräuter sind zum Beispiel nicht nur die in den Garten eingedrungenen „wilden“ Kräuter. Alles, was im Garten wuchert, zur falschen Zeit am falschen oder über dem ihm zugewiesenen rechten Platz hinaus wächst, kann zu Unkraut werden. Überhaupt können viele Kulturpflanzen – selbst wenn sie nicht ausarten oder verwildern sollten – zu Unkraut werden. Die Grundregel lautet: was wild ist, wuchert, außerhalb des ihm zugewiesenen Ortes, außerhalb der ihm zugewiesenen Zeit oder ganz einfach  als ungebetener Gast auftritt, ist ein Unkraut und gehört folglich auch so behandelt.

Umzäunung macht den Garten aus

Wer oder was entscheidet darüber, ob ein Gewächs zum Unkraut wird oder nicht? Da ist  zunächst einmal der Garten selber als physischer, vor allem aber als Sinnzusammenhang. Nicht die Arbeit allein an ihm, sondern menschlicher Wille, menschliche Vernunft und menschliche Zwecksetzung haben den Garten zu dem gemacht, was er ist: ein Stück Boden wird zum Garten bestimmt, indem es umfriedet, also eingezäunt wird.

Die slawischen Sprachen haben im –gorod, –grad, gradina und in Graz den Tatbestand des Einzäunens als Namen für „Siedlung“ festgehalten, ähnlich dem englischen town > Zaun. Der Gartenzaun als Abgrenzung, zuerst von der „wilden“ Natur, dann von anderen Gärten, besonders aber zum Schutz vor tierischen Schädlingen und menschlichen Eindringlingen, ist begrifflich maßgebend für den Garten. Die vornehmlichste Funktion des Zauns ist, die Exklusivität des Besitzes und seiner Nutzung anzuzeigen: „Im Garten entscheide ich – mein Boden, meine Pflanzen und, folglich auch, meine Früchte; dass mir da ja keiner ins Gehege komme!“

Ein alleiniger Herrscherwille entscheidet über alles

Unter normalen Umständen betätigt sich im Garten nicht mehr als ein einziger Wille und Verstand, für gewöhnlich der seines Besitzers: Bodenkultur und -einteilung, Anzucht und -pflanzung der Gewächse sowie ihre Pflege erfordern Erfahrung und Sachverstand, die eher in einen einzigen Kopf anzutreffen sind als in den Köpfen vieler. Die Fehler, die gemacht werden, müssen die eines Einzelnen sein, der auch allein für sie gerade steht und deswegen auch dazu gezwungen ist, aus ihnen zu lernen.

Derjenige Besitzer, der sich um seinen Garten kümmert, folglich auch seine eigenen Fehler macht, ist der erste, dem es darum geht, aus ihnen zu lernen um sie in Zukunft zu vermeiden. Im Garten hat alles seine Konsequenz: das Unterlassen und Wildwachsenlassen – Liberalismus im Garten! – genauso wie das natur-, standort- und pflanzenwidrige Durchsetzen irrer Wünsche und abstrakter Vorstellungen –„Sozialismus“. Im Garten gibt es eben Dinge, die gemacht werden müssen, andere wiederum dürfen oder müssen sogar sich selbst überlassen werden.

Denken und Einsicht in die zeitliche Dimension – dank des Baumschnitts!

Als Kind dachte ich, Obstbäume werden gesät und geben von sich aus Obst, fast ohne menschliches Zutun, pflücken ausgenommen. Der Obstbaum aber ist ein hochkomplexes, ofmals sogar aus mehreren anderen zusammengesetztes Wesen: die Wurzel bis zum Wurzelhals, der Stamm, die Hauptäste, können das Ergebnis verschiedener Einpropfungen sein.

Unsere Obstbäume sind sämtlich Kultursorten, und als solche eine jahrtausendealte Frucht des Zusammenspiels von Natur und Mensch, von Zufall und bewusster Auswahl. Allein die Kunst, Obstbäume durch Pfropfen zu verbessern und zu vermehren widerspricht der kindlichen Annahme, man könne Obstbäume einfach so säen. Nicht einmal den einfachsten Gartenspinat kann man einfach so säen! Und welche Anforderungen an Einfühlungsvermögen und wie viel Erfahrungsschatz erfordert erst der Baumschnitt!

Die alten Römer hatten zum pensare – wägen, wiegen –, noch ein anderes Wort für denken, welches der Tätigkeit des Baumschnitts entlehnt war: putare. Wer vor dem Baum steht und ihn beschneiden will, muss bedenken, wozu er ihn schneidet. Der Schnitt hat nicht den Zweck, dem Baum ein gefälliges Aussehen zu verleihen, sondern ihn richtig aufzubauen, er dient der richtigen Erziehung, so dass er über viele Jahre hinweg konstant Obst liefert ohne Schaden zu erleiden.

Da will gut bedacht sein, welche Äste und Triebe wie, bis wohin und zu welcher Zeit, geschnitten werden. Hier darf man sich grundlegende Fehler, welche den Baum für immer verderben könnten, nicht leisten. Der Schnitt zwingt zur Einsicht in die zeitliche Dimension, der Baum – oder der Weinstock – stellt eine zeitenübegreifende organische Ein- und Ganzheit dar, in der die Vergangenheit genauso berücksichtigt sein will wie die Zukunft.

Ordnung im Garten ist nicht gleich politische oder soziale Ordnung

Zurück zum Anfang: Niemand, der seinen Garten wirklich und ernsthaft in Kultur genommen hat, kommt auf die Idee, ein Unkraut Wildkraut zu nennen. Die Quecke, deren Erdsprosse bis in die tiefsten Wurzeln der Rosen hinein reichen und ihnen alles nimmt, was sie zum Gedeihen benötigen, ist ein todbringendes, hässliches Unkraut.

Die Ackerwinde, so nett sie auch aussehen mag, hat auf den Weinstöcken nichts verloren, und der Borretsch, der sich in diesem Jahr selbst ausgesät hat, gehört versetzt oder sogar ganz ausgerissen.

Wenn ich Feldsalat oder Rucula – beides ursprünglich Ackerunkräuter, der Schickimicki-Rucula sogar ein ganz derbes – gerne esse, kann ich einen Flecken Erde für ihren Anbau bestimmen. Nach alldem lautet nun die Preisfrage: Lassen sich die Erkenntnisse bezüglich des Gartens und seines Baues auf gesellschaftliche Verhältnisse – oder gar die „Politik“ – übertragen?

Genau wie Gemeinschaft und Gesellschaft ist auch der Garten eine aus der wilden Natur gehobene menschliche Ordnung, teils natürlich, teils geistig. Die Ordnung des Gartens lässt sich auf gesellschaftliche Verhältnisse jedoch nicht übertragen. Die Beschäftigung mit ihr lehrt aber Grundsätzliches über das Wesen von Ordnung überhaupt, z.B. die Bedeutung von Abgrenzung, und welche Rolle dabei dem menschlichen Willen und Verstand zukommt. Auch ist der Garten ein Ort der Besinnung, der Freude und der Phantasie. Darum ist es auch nicht zufällig, dass der einzig wirklich große unter den bundesdeutschen Kanzlern, Konrad Adenauer, mit Leidenschaft Hobbygärtner war.

(Bild: Pixabay)

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