Rezension

Die Wirkkraft der Helden: „Hey, this is library“

Herkules war verbrannt. Siegfried wurde verraten. Löwenherz erschossen. Die Helden sind alle gefallen, ihr Mythos wird stetig abgetragen. Die kritische Wissenschaft zerstört die Sagen und Legenden.

Gleichzeitig erheben sich die Antihelden an ihre freien Plätze. Doch selbst diese werden allmählich nivelliert auf das Niveau normaler Taten und normaler Menschen. Also ist es an der Zeit, wieder neue Helden zu suchen. Warum eigentlich?

 „Soziologen sehen in Zeiten sozialer Umwälzungen (vgl. Barbarei) oder nationaler Krisen ein starkes Bedürfnis nach Helden voraus, dem dann echte oder unechte Helden abhelfen oder nicht. Ob Abhilfe gelingt oder nicht, hängt jedoch von der ‚Echtheit‘ eines Helden nicht unbedingt ab, sondern auch von der Art der Probleme.“

Die Nachfrage steigt

Ein kluger Gedanke. Da wir gerade versuchen uns möglichst schnell auf eine waschechte soziale Krise zuzubewegen oder zumindest die Gesellschaft nachhaltig umwälzen, scheint die Nachfrage allmählich zu steigen. Aber können Helden heute noch Probleme lösen? Welchen Lindwurm kann man niederringen, welche Jungfrau befreien (oder überhaupt erst einmal finden) und welche Bedrohung mit reiner Manneskraft bezwingen? Natürlich keine mehr.

Diese Zeiten sind vorbei. Helden haben also ihre ursprünglichen Aufgaben, wirkmächtige Taten und Kämpfe, verloren. Dafür aber etwas anderes gewonnen: Reichweite. Wo früher tausende kleine und große Heldentaten begangen wurden, gab es nur eine Handvoll Barden, die darüber sangen, Schreiber, die die Geschichte notierten, Dichter, die kunstvolle Verse verfassten.

Millionen Klicks im Bardennetz

Die Wirkkraft des Helden in der Geschichte ist also nicht nur durch seine eigene Tat determiniert, sondern auch über die öffentliche Wirkung, die er in der Welt verbreitet. Und da liegt der Vorteil der heutigen Zeit. Internet und mediale Vernetzung, Globalisierung und technischer Fortschritt haben Millionen von Barden erschaffen.

Jeder, der willens ist, kann über Helden berichten, ihre Geschichten weiterverbreiten und millionenfach verteilen. Herodot, Homer, nordische Lagerfeuererzählungen und sogar neuere Autoren wie Schiller hatten es da deutlich schwieriger. Bis ihre Geschichte durch die Welt drang, waren sie meist zu Staub verfallen und die bedichtete Tat verstaubt.

Kühne Taten und Vorbildcharakter

Aber was ist eigentlich ein Held? Der Duden verweist auf drei geläufige Definitionen:

  • durch große und kühne Taten besonders in Kampf und Krieg sich auszeichnender Mann edler Abkunft
  • jemand, der sich mit Unerschrockenheit und Mut einer schweren Aufgabe stellt, eine ungewöhnliche Tat vollbringt, die ihm Bewunderung einträgt
  • jemand, der sich durch außergewöhnliche Tapferkeit im Krieg auszeichnet und durch sein Verhalten zum Vorbild [gemacht] wird

Definition eins ist ziemlich veraltet. In heutigen Kriegen lässt sich schwerlich Ehre gewinnen. Und sollte dies doch der Fall sein und jemand durch herausragende Taten brillieren, wird er anschließend als Mörder und Kriegstreiber verachtet. So sind die Zeiten. Edle Abkünfte gibt es ebenfalls kaum mehr. Sollte tatsächlich ein verbliebener Adliger seine blaublütige Feigheit vergessen und sich aktivieren, würden seine Taten, ebenso wie die des Kriegers, schlechter bewertet. Aufgrund seiner edlen Abstammung.

Punkt drei verweist wieder auf den Krieg, aber auch auf den Vorbildcharakter. Da Justin Bieber und Taylor Swift momentan aber alle Vorbildplätze der Jugend „blockieren“, kann man mit echtem Tatenruhm kaum jemand hinter dem Ofen hervorlocken. Die Erwachsenen weigern sich Vorbilder zu nehmen und die Kinder haben die Falschen.

Der zweite Punkt ist deutlich interessanter und fasst den heutigen Helden viel besser. Mut kann man nicht nur gegenüber dem Lindwurm zeigen, sondern gegen allen feindlich gesinnten Mächten. Auch die bewundernswerte Tat ist noch immer möglich und nicht an Krieg, Kampf oder körperliche Auseinandersetzung gebunden. Kriege sind längst vergeistigt. Man setzt zwar nicht mehr sein Leben ein, dafür aber Freunde, Bekannte, Job und Familie.

Trotzdem: Helden gibt es noch immer und es lohnt sich darüber zu berichten. Gerade dann, wenn sie in den Medien nicht als Held gesehen werden, sondern als Rundum-Buhmann, Volldepp, Gestriger, Nazi oder was auch immer.

Kleine Helden aus dem Campus?

Den Amerikanern wurde ihr Heroismus noch nicht aberzogen. Zum anderen wurde durch den universitären Bildersturm mehr Druck und offene Repression freigesetzt als in Deutschland und Europa. Hier finden Konflikte noch häufig passiv-aggressiv statt und nicht im Angesicht einer offenen und realen Bedrohung.

Vielleicht sind das zwei von vielen Gründen, warum junge Amerikaner aus ihrem eigenen Schatten treten. Das soll nicht heißen, dass es dergleichen in Deutschland nicht gäbe. Auch hier kämpfen tausende von jungen Leuten für eine Sache, eine Idee, eine Vorstellung und nicht für ihren eigenen Vorteil. Doch ist uns der einzelne Amerikaner noch in vielen Sachen voraus. Junge, internetaffine Menschen aus der ganzen Welt feiern die Taten von Leuten, die für ihre Überzeugung eintreten. Die Top 3 der modernen Helden:

  1. Der friedliche Alltagsheld

Für ihn ist es das Normalste auf der Welt das Übel zu verhindern und sich für das Gute einzusetzen. Er kämpft nicht für irgendetwas und würde seine Tat niemals als heldenhaft bezeichnen. Er steht einfach auf, weil er es für richtig hält ohne sich Gedanken über etwas zu machen.

Anfang dieses Jahres organisierte sich ein Haufen linker Schreihälse um gegen Donald Trump zu protestieren. Der Ort des Geschehens: eine Bibliothek. Es ging nicht um das Kundtun der eigenen Meinung, sondern um das Stören und Provozieren an friedlichen Orten. Niemand protestierte gegen die lautstarke Belästigung der bunt gemischten Meinungsfaschisten. Bis er kam: Der Held. Lässig stellte sich ein junger, nerdiger Koreaner ins Zentrum der Aufmerksamkeit und rief in gemäßigtem Ton solange „Hey“, bis eine kurze Pause entstand.

Dann folgt mit asiatischem Akzent: „This is library!“ Sofort ward es still und er geht seiner Wege. Er will einfach nur Ruhe und in Frieden weiterlernen, lesen und arbeiten. Was man in einer Bibliothek eben macht.

Bonus: Ein toleranter Left-Winger, der gegen Trumps Rassismus skandierte, rief tatsächlich „Go back to Bejing“. Heuchelei, Dummheit und Fremdenfeindlichkeit sind vereint. Mittlerweile gibt es zahlreiche Adaptionen und Remixes, die den jungen Studenten als Held stilisieren, der für die akademischen Werte eintritt. Das Ursprungsvideo hat weit mehr als eine Millionen Klicks.

  1. Der kompromisslose Krieger

Er bereitet sich darauf vor, mit allen Mitteln gegen das Böse zu kämpfen. Es gibt keine Diskussion mehr, sondern nur Taten. Auch das Einsetzen von Gewalt gegen Aggressoren ist für ihn verständlich. Er organisiert sich mit einem Trupp und ist bereit jedes Mittel einzusetzen. Politisch problematisch ist natürlich der Gewaltfaktor, der von vielen, bewusst oder unbewusst, falsch verstanden wird und dem Anliegen des Kriegerischen eher schadet. Ihm ist das egal.

Bei einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen der amerikanischen Antifa und den Alt-Rights vor knapp einem halben Jahr standen sich die Kombattanten gegenüber. Mit Schild und Stock bewaffnet, einer Gasmaske und Skibrille gegen mögliches Tränengas und ein paar Protektoren griff der „Alt-Knight“ an. Zuvor hatte die Antifa die angemeldete Pro-Trump-Demonstration überfallen und einen älteren Herren mit Pfefferspray angegriffen. Es bildeten sich wabernde Fronten und der Stickman drosch mit scheinbar müheloser Leichtigkeit einen der Angreifer gezielt auf den Kopf. Dabei blieb es nicht. Im Zuge der Krawalle in und um Berkeley trat der umstrittene Krieger mehrfach in Erscheinung.

Bonus: Der Stickman wurde zwischenzeitlich wegen Körperverletzung verhaftet. Nichtsdestotrotz stellte jemand die Szenen online. Das Originalvideo wurde mehrfach gelöscht, doch immer wieder hochgeladen. Andere bastelten Remixes oder untermalten die Situation mit heroischer Musik. Es entstanden zahlreiche Meme, Bilder und Videoclips, die seine Taten anpreisen. Den viralen Ruhm bezahlte er mit einer Anklage und Untersuchungshaft.

Innerhalb eines Tages mobilisierten Sympathisanten über 60.000 Dollar und konnten so die Kaution von 5.000 Dollar bezahlen. Auch seine Identität wurde öffentlich. Mittlerweile ist Kyle Chapman, der sich selbst als amerikanischer Nationalist bezeichnet, wieder auf freiem Fuß und betätigt sich weiterhin als politischer Aktivist.

  1. Der demonstrierende Pazifist

Er tritt aus Überzeugung für seine inneren Werte ein und scheut sich nicht davor Nachteile, Spott und Häme in Kauf zu nehmen. Er opfert seine persönliche Integrität und sein Ansehen für eine Sache. Seine Aktionen entstehen nicht aus einer Situation heraus, sondern sind durchaus geplant.

Viel deutlicher kann man ein „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders“ wohl kaum verkörpern.  Drei Tage nach den Zusammenstößen in Charlottesville mit einem Toten baute sich der Student Allen Armentrout in voller Uniform und Konföderiertenflagge von dem Denkmal des Generals Robert E. Lee auf und salutierte. Sofort wurden einige Social Justice Warriors und die Presse darauf aufmerksam, umringten diesen und brüllten ihm Sprechchöre und Beschimpfungen ins Gesicht. Natürlich reckten sich ihm ein Dutzend Kameras ins Gesicht, in der Hoffnung, dass er die Nerven verliere und sich wehren würde. Armentrout ließ sich davon nicht abbringen und kaute stoisch sein anachronistisches Kaugummi. Als die Polizei eintraf, verließ er bereitwillig den Platz und gab kurz seine Motive bekannt: „I want to honour my ancestors today. They need to know that what they fought for wasn’t slavery or oppression.“

Bonus: In einem späteren Interview gab Armentrout bekannt, dass er sich von Nationalisten und dem Ku-Klux-Klan distanziere. Zuvor wurde von liberaler Seite immer wieder fälschlicherweise behauptet, dass der Student mit der rechtsextremen Szene sympathisiere. Kurze Zeit nach seiner Einzeldemonstration wurde er von seiner Universität, dem Pensacola Christian College, verwiesen und kann, nach eigenen Angaben, sein Studium nicht mehr abschließen.

(Bild: Lindwurmbrunnen in Klagenfurt, Zacke82CC BY-SA 3.0)

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