Jede Erzählung braucht einen Negativpol, einen schwarzen Peter, ein Gespenst unter der Kellertreppe. Ein meist diffuses Etwas, welches knapp außerhalb des Sichtfeldes liegt und dennoch für alle irgendwie da ist.
Eine nicht greifbare Angst, ein Schreckensszenario, welches immer dann eintrifft – beziehungsweise eintreffen soll – wenn gegen die grundlegenden Spielregeln verstoßen wird. Dabei kann dieses „Etwas“ auch noch so unvernünftig sein – gefürchtet wird es dennoch und jeder gute Geschichtenerzähler versteht es, diese Furcht in den Köpfen seiner Zuhörer wach zu halten, sie bei jeder Gelegenheit daran zu erinnern.
Großerzählungen über Gut und Böse
Wenn das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern spielt, wird es irgendwann einen Feuertod sterben. Wenn der Ring nicht ins Feuer geworfen wird, triumphiert der dunkle Herrscher. Das Grundprinzip ist hierbei aus dem Religiösen entlehnt: Wenn die Menschen gegen die zehn Gebote Gottes verstoßen, regnet es Feuer vom Himmel und der ewige Tod ist die Belohnung.
Nicht anders verhält es sich mit den großen Erzählungen, die einer Gesellschaft oder einer Zivilisation unterlegt sind. Man denke nur an das prophetische: Wenn der Verbrennungsmotor nicht durch den Elektromotor ersetzt wird, wenn nicht alle Kohlekraftwerke vom Netz genommen werden, gibt es in ein paar Jahrzehnten kein Leben mehr auf der Erde.
Eine andere große gesellschaftliche Erzählung ist die der Bundesrepublik, die des „freiesten Staates, der jemals auf deutschem Boden bestanden hat“. Dabei spielt die Rolle des Gespenstes unter der Kellertreppe der überwundene Nationalsozialismus. Doch, wie es sich für ein gutes Gespenst gehört, geistert es nach wie vor durch die Republik und droht jederzeit wieder aus dem Keller emporzusteigen und dem freiesten Staat den Gar auszumachen. Bekanntlich leben Tod Geglaubte am längsten.
Ein passender Zeitpunkt, dem bundesdeutschen Bürger wieder in Erinnerung zu rufen, wie gefährlich doch die bösen Rechten seien und nichts unterlassen würden, die bundesrepublikanischen „Errungenschaften“ zu unterminieren, ist die Landtagswahl in Thüringen gewesen, bei der die AfD unter der Führung von Björn Höcke ein beachtlicher und doch vorauszusehender Erfolg beschieden war.
Minderheiten in der AfD
Die Regeln des politischen Anstandes indes – falls es so etwas überhaupt geben sollte – spielen nicht wirklich eine Rolle. Symptomatisch dafür steht ein Text, der in der Woche vor der Wahl in der Süddeutschen Zeitung erschien. Schon der Titel „Der AfD-Jude, der AfD-Schwarze und die AfD-Lesbe“ lässt tief blicken, obwohl der nachfolgende Text mit einer weniger originellen Erkenntnis eröffnet: „Der Einfluss von Rechtsaußen wächst und wächst.“ Aufhänger dieses Mal: „Wie fest und sicher sind da die Rechte der Minderheiten?“
Gefolgt von einem ausführlicheren Exkurs in die Zeit des Dritten Reiches und der dortigen Verfolgung von Homosexuellen. Immerhin 70.000 sollen in den Konzentrationslagern interniert gewesen sein, wovon über die Hälfte auch dort starb. Warum genau dieser Exkurs im Zusammenhang mit einer Warnung vor der AfD sinnvoll und zielführend sein sollte, darüber schweigt der Autor sich aus.
Stattdessen werden besorgte rhetorische Fragen aneinandergereiht. „Ich frage mich, was mit dieser Gesellschaft geschieht, was aus dem Schutz der Rechte von Minderheiten wird, wenn der Einfluss von Rechtsradikalen immer weiterwächst. Ich frage mich, was mit einer Gesellschaft geschieht, wenn die AfD (…), wenn der Flügel des „Neonazis“ Björn Höcke (…) immer mehr an Einfluss gewinnen – wenn sie mitmischen bei der Besetzung der Landesverfassungsgerichte und bei der Besetzung des Bundesverfassungsgerichts.“ Also gut – das Gespenst kommt die Kellertreppe hoch geschlichen.
Warum die AfD ein bisschen tolerant ist
Aber was soll dann nun eigentlich passieren? Man könnte jetzt einwenden, in der AfD engagieren sich doch Minderheiten. Das weiß der Autor der SZ natürlich auch. Beispiele wären Achille Demagbo, schwarz, geboren in Benin und Kreisvorstand des Kreisverbandes Kiel der AfD. Oder der Jude Wolfgang Fuhl aus Baden-Württemberg und ehemaliger Vorsitzender des „Oberrats der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden“. Ein weiteres prominentes Beispiel ist die Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion Alice Weidel, bekennende Lesbe und Mutter von zwei Söhnen.
Nun könnte man aber meinen, eine Partei, in der sich auch Angehörige von Minderheiten engagieren, ist weit davon entfernt, eine Arisierung der Gesellschaft vorantreiben zu wollen oder was auch immer. „Leider nein“, meint der SZ-Schreiberling. „Trotz allen Ausgrenzungsfurors braucht auch die AfD ein paar Leute, die ‚das Andere’ verkörpern – die AfD-Lesbe, den AfD-Schwarzen und den AfD-Juden – weil sich Toleranz als politischer Wert soweit durchgesetzt hat, dass man da ein wenig Tribut zollen muss.“
Spätestens jetzt sollte der Alu-Hut aus der Schublade geholt werden. Was glaubt der Herr eigentlich, was passiert, wenn die AfD in Regierungsverantwortung kommen sollte? Offenbar wird dann der Plan für die „Endlösung“ aus der Schublade geholt und jeder Schwarze, Homosexuelle und natürlich jeder Jude am nächsten Laternenmast aufgeknüpft. Allen voran jene Minderheitsvertreter in der Partei. Björn Höcke wird neuer „Führer des Großdeutschen Reiches“ und Alexander Gauland übernimmt die Rolle des altersschwachen und grenzdebilen Reichspräsidenten?
Ständig wird über Toleranz geredet und geschrieben. Darüber, was eine Demokratie alles aushalten müsse: Linksextremismus, militante Klimaaktivisten und den Islam. Aber eine Partei rechts der Mitte ist zu viel für die bundesdeutsche Republik? Wie oft wird betont, wir würden in einem Land leben, in dem Meinungsfreiheit herrscht; aber gegen Masseneinwanderung in die deutschen Sozialsysteme, den programmierten Ruin der deutschen Wirtschaft und für die traditionelle Familie zu sein, ist dann doch unsagbar und latent verfassungsfeindlich?
Zum Wohle des Volkes
Immer wird von linker Seite her betont, dies und jenes widerspreche den Grundpfeilern „unserer“ Gesellschaft. Was aber ist „unsere“ Gesellschaft und wer bestimmt, was dazu gehört. Darüber sollte mal geredet werden. Hier wird immer ein ominöses „uns“ angenommen, was suggeriert, allgemein anerkannt zu sein. Handelt es sich doch bei diesem „uns“, bei diesem Gesellschaftsentwurf mehr um eine linke Idee, wie eine Gesellschaft auszusehen habe. Und daran ist erstmal nichts falsch. Klar darf sich die Linke ein Gesellschaftsbild zurechtlegen. Nun ist es gefährlich, diese Idee in die Totale zu setzen und als alleingültige und seligmachende Option zu verkaufen und allem politischen Diskurs als Unbedingtes unterzusetzen.
Schließlich gibt es noch andere Ideen von Gesellschaft. So sollte der Wille, Deutschland vor dem finanziellen und geistigen Bankrott zu bewahren, als solcher respektiert werden. Es ist nichts Verwerfliches daran, Deutschlands Politik vor allem zum Wohle des deutschen Volkes gestalten zu wollen. Auch ist es legitim, sich einem wie auch immer gearteten Fortschrittsglauben zu verweigern und für den Erhalt wertvoller Traditionen und Institutionen zu streiten.
Ignoranz des Wählerwillens
Ebenso muss es gestattet sein, die Frage in den Raum zu stellen, ob linkes Fortschrittsdenken nicht auch ein Rückschritt sein kann, wenn er beispielsweise nachhaltig das Fundament aller gesellschaftlichen Freiheit untergräbt, bis der einzige Ausweg nur noch die Flucht nach vorn, Richtung Überwachungsstaat bleibt, um den allgemeinen Frieden aufrechterhalten zu können.
Stattdessen so zu tun, als sei der linke Gesellschaftsentwurf in Stein gemeißelt und jeder rechte Gegenentwurf zu geißeln – auch wenn letzterer offensichtlich derzeit Konjunktur feiert –, ist nicht zielführend, nicht tolerant und schon gar nicht demokratisch.
Immerhin, eine Regierungsbeteiligung der AfD wird es in Thüringen nicht geben. Denn weder wird die CDU noch die LINKE eine Koalition mit „Neonazis in Nadelstreifen“ eingehen wollen. Stattdessen wird munter weiterregiert – auch wenn der Anteil der nun zu ignorierenden Wähler auf knapp ein Viertel angewachsen ist.
(Bild: Metropolico.org, flickr, CC BY-SA 2.0)