Eigentlich dachte ich, der Kelch voll Unsinn, landläufig auch als Fasching oder Karneval bekannt, würde dieses Jahr an mir vorübergehen. Aber leider musste ich Uni-bedingt doch in die Stadt.
Und wie der Zufall es so wollte, führte mich mein Weg auch durch die Münchner Innenstadt. Und an dieser Stelle sollte ich eigentlich die Feder zu Seite legen, denn was mich beim Anblick überkam, der sich mir bot, kann wohl nur als Abscheu, Ekel und Scham bezeichnet werden. Dennoch schreibe ich es auf, weil es mich Jahr für Jahr ankotzt, wie die Menschen in diesem Land meinen, sich an bestimmten Tagen benehmen zu müssen.
Dass hier jetzt primär von Fasching und Karneval die Rede sein wird, ist nicht beabsichtigt. Denn dieses Ereignis ist schließlich nur eines von einer immer länger werdenden Reihe von „gesellschaftlichen Ereignissen“, die man am besten verschläft oder zumindest abseits der Zivilisation verbringen sollte. Karneval, Oktoberfest, aber in zunehmendem Maße auch – leider Gottes! – Veranstaltungen wie Weihnachtsmärkte und ähnlichem.
Sternhagelvoll
Aber zurück zur Münchner Innenstadt. Wo man nur hinschaut, ist die Stadt voll von jungen und „junggebliebenen“ Menschen in irren Kostümen und zum größten Teil in einem bestimmten Zustand der Trunkenheit, angefangen mit leicht beschwipst bis hin zu sternhagelvoll. Dabei sei angemerkt, es ist mitten am Tag. Des Weiteren versteht man seine eigenen Gedanken nicht mehr, weil überall Lautsprecher aufgebaut sind, aus denen in bester Ballermann-Manier klassische „Wir-haben-gute-Laune-because-we-are-party-people“-Musik dröhnt.
Dazu sind einige Bühnen aufgebaut, auf denen männliche, wie weibliche Hampelmänner_innen (auf jeden Fall sind die entsprechend gekleidet) auf und ab hüpfen und dabei in ihre Mikrofone irgendwelche semi-motivierenden Sprüche der tollen Menge vor den Bühnen entgegenschleudern. Die vor Bier, Sekt und Schnaps geröteten Nasen grölen munter mit. Na, kommt schon Bierzeltstimmung auf?
Miniröcke-Alarm im Winter
Aufgefallen sind mir vor allem die jungen (und auch schon älteren) Damen, die sich in ein Miniröckchen geschmissen, ein paar Katzenohren aufgesetzt haben und allgemein alles dafür tun, möglichst billig und aufreizend dazustehen. Was genau soll das? Nach dem Motto: Schaut alle her. Verspieltes Kätzchen will vernascht werden? Wo sind denn die Väter dieser Damen? Haben diese ihren Töchtern nie beigebracht, dass man immer nur auf dem Niveau fischt, auf dem man sich selbst befindet?
Aber Sexismus, der wird als der Untergang des Abendlandes verschrien. Nein, auf eine solche Veranstaltung sollte man seine Tochter nicht lassen. Auch bekommt man immer wieder den Eindruck, Menschen, die Veranstaltungen dieser Kragenweite aufsuchen, suchen nur einen Grund, schon am Morgen mit der Sauferei anzufangen, diese den ganzen Tag und Abend fortzusetzen und – wenn es „gut“ läuft – am nächsten Morgen in irgend einem fremden Bett neben einer gänzlich unbekannten Person in völlig unbekleidetem Zustand aufzuwachen.
Und das wird dann vermerkt als gelungener Karneval? Aber schließlich muss man den Leuten doch zugestehen, vor den vierzig Tagen Verzicht vor Ostern nochmal so richtig auf den Putz zu hauen. Wenn selbige Leute doch die Fastenzeit mit ähnlichem Eifer begehen würden wie die Faschingszeit!
Das ganze Jahr ist doch schon Irrenhaus angesagt
Und was, bitteschön, soll diese ganze Verkleiderei? Reicht es denn nicht, dass man das ganze Jahr schon das Gefühl hat, in einem Irrenhaus zu leben, nur heute hat das Irrenhaus Ausgang? Man wird ja ganz meschugge im Kopf vor lauter herumschwirrenden Bienchen und stolzierenden Kätzchen, die von grölenden Piraten und Cowboys gejagt werden. Wenn das Grundschüler machen, hat das irgendwie noch Charme. Aber wenn Menschen das machen, die 20, 30 oder gar 40 sind, ist das nicht mehr witzig, sondern beschämend. Man sagt ja immer so schön: die Welt sei so traurig und fade, da hat man das Bedürfnis auch ab und an mal verrückt zu sein.
Statt sich in irgendwelche irrwitzigen Kostüme zu zwängen, sollten diese Menschen sich lieber mal fragen, warum denn ihr Leben so ein Trauermarsch ist? Ich glaube nicht, dass es daran liegt. Vielmehr bin ich der Überzeugung, dieses Volk versumpft zusehends in seiner Dekadenz und leidet unterschwellig an Lebensüberdruss. Man empfindet im tiefsten Herzen Selbstekel, wenn man in den Spiegel schaut, weil das Leben immer weniger wirkliche Sinnhaftigkeit bereithält und die Seele vor lauter Bessermenschenromantik jedes Ziel aus den Augen verloren hat.
Wenn ich das im Spiegel sehen würde, wäre ich auch ganz versessen darauf, wenigstens ab und an einmal in eine andere Rolle, ein anderes Selbst zu schlüpfen, um dieser Tristesse wenigstens ein paar Stunden entfliehen zu können.
Bewahrenswertes Brauchtum?
Bräuche! Man hört – vor allem aus „konservativen“ Kreisen – dieses Zauberwort in diesem Zusammenhang oft. Und in der Tat gibt es auf den ersten Blick ähnliche Festivitäten schon seit längerer Zeit in diversen Gegenden in Deutschland (beispielsweise im Schwarzwald). Jedoch haben diese Bräuche und der Karneval so viel miteinander zu tun, wie französisch und arabisch sich ähneln. Beides sind Sprachen, mehr auch nicht. Und wer an dieser Stelle auf den Karneval in Köln oder Mainz verweisen will, dem sei gesagt: auch wenn das Brauchtum sein soll, so ist Brauchtum nicht gleichzusetzen mit bewahrenswert.
Gestern hat sich vor aller Augen (mal wieder) der Umstand vollzogen, dass dieses Land an seiner eigenen Dekadenz ertrinkt. Viele Menschen scheinen Leben nur noch dadurch zu definieren, so viele Partys wie möglich mitzunehmen, alles ausprobiert und jeden Mist mitgemacht zu haben. Nur ein Tag des Konsums, der Ausschweifung und der Maßlosigkeit ist ein guter Tag. Oder wie man im Schwäbischen sagt, „ellewail bsoffa, isch au recht gläbt“. In der Tat, dieses Leben ist außerordentlich fade.
(Bild: Pixabay)