Heute scheint alles erlaubt und noch viel mehr möglich. Noch nie in der Menschheitsgeschichte war es möglich, so vernetzt zu sein wie heute. Kommunizieren mit Menschen auf der anderen Seite der Welt – kein Problem. Die sozialen Medien quellen über vor Bildern, Likes und Followern. Einsamkeit dürfte also eigentlich kein Problem sein.
Und dennoch leben wir in einer Zeit großen Allein-Seins. 48 Prozent der Erwachsenen in den USA sind ledig. In Deutschland bestehen 42 Prozent der Haushalte aus nur einer Person, immerhin ein Anstieg von 46 Prozent seit 1991. In Großbritannien gibt es seit 2018 sogar ein „Ministerium für Einsamkeit“, das erste weltweit. Dieses soll sich mit dem großen Problem der postmodernen Gesellschaft befassen: der Einsamkeit.
Facebook-Freunde und Fans auf Instagram ersetzen eben nicht ein stabiles soziales Gefüge aus menschlichen Beziehungen, ganz im Gegenteil. Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Auf den Punkt gebracht, könnte man von einer „Generation beziehungsunfähig“ sprechen. Noch nie war eine Generation so unqualifiziert dafür, feste und langfristige soziale Beziehungen aufzubauen.
Quittung für befreite Sexualität?
So kommt eine Studie von Psychologen der Harvard Graduate School of Education zum Ergebnis, eine „große Zahl von Teenagern und jungen Erwachsenen sind unvorbereitet für sorgende, dauerhafte Beziehungen und haben Angst, sich darauf einzulassen“.
Das ist also die Quittung für von allen Regeln und Zügeln befreite Sexualität? Dafür, dass im Aufklärungsunterricht ständig von Verhütung, Lustbefriedigung und sexueller Neugierde die Rede ist, aber nicht davon, wie man eine Familie gründet und eine gesunde und auf Dauer angelegte Beziehung führt. Schon Horkheimer wusste, dass wir die sexuelle Revolution durch Pille und Konsorten mit „dem Tod der Erotik“ bezahlen müssen.
Und selbst der deutsche Peusdo-Starphilosoph Richard David Precht konstatierte, die Lebensform in der Zukunft werde nicht mehr die Ehe und Familie sein, sondern Individuen, die zufällig auch Kinder miteinander haben. Wen wundert es da noch, dass heute schon rund zwei Millionen Kinder allein in Deutschland bei alleinerziehenden Eltern als praktische Halbwaise aufwachsen? Hier wird das „Ideal“ der Zukunft schon in Vollendung vorgelebt und von den Kindern als hinzunehmender Umstand akzeptiert. Wenn das Verliebt-sein erlischt, trennt man sich wieder – egal, ob Kinder darunter zu leiden haben. Schließlich geht es heute nur noch um die eigenen (sexuellen) Bedürfnisse und sonst nichts.
Durststrecken überstehen lernen
Wer sich aber ausschließlich um die Organisation der eigenen Lust, Wünsche und des Konsums kümmert, hat keine Zeit mehr, sich zum Beispiel um echte Nöte und Probleme anderer zu kümmern. Mit den Grundsätzen „Just for Fun“ oder „We only live once“ gewinnt man keinen Krieg – und übersteht schon recht keine Beziehungsprobleme und Durststrecken. Man ist gar nicht mehr an der Lösung von Problemen interessiert, sondern flüchtet sich lieber zu einem neuen Partner. Da man aber jedes Mal ein Stück von sich selbst verschenkt und dieses nach einer Trennung folglich verliert, sitzt man irgendwann buchstäblich total vereinsamt da.
Was hilft es da, wenn Einsamkeits-Ministerien gegründet werden und die Vielfältigkeitspallette von angeblichen Beziehungstypen ständig erweitert wird, wenn der Mensch am Ende doch ganz allein dasteht?
Eine Beziehung zu führen bedeutet Arbeit und Kompromisse. Das erscheint dem heutigen Menschen aber wenig bequem. Und wenn der heutige Mensch etwas ist, dann faul! Sich davonzuschleichen, aus der Verantwortung zu nehmen, erscheint als rettender Notausgang. Und man will schließlich nichts verpassen. Die den Hals nicht voll bekommende Ich-will-alles-Mentalität ist mit einer auf Verzicht und Kompromiss basierenden Beziehung nicht kompatibel. Wer sich für eine solche entscheidet, riskiert eine vermeintlich bessere Option zu verpassen. Man will sich einfach nicht festlegen, Optionen bis zum Schluss offenhalten. Man hat das Bild eines Hundes vor Augen, der zwischen zwei gefüllten Futterschalen verhungert, weil er sich nicht für eine entscheiden kann.
Quantität vor Qualität ist der falsche Weg!
Eine tiefe und befriedigende Beziehung gibt es – wie alles in diesem Leben – nicht umsonst. Genau das wird aber heute allenthalben behauptet. Schnelle Nummern werden bevorzugt. Bestes Beispiel hierfür sind sogenannte Dating-Apps. Wie man heute Beziehungen führt, hat sich in erschreckender Weise an unser Konsumverhalten angepasst: Quantität geht vor Qualität. Lieber hat man zwölf Paar Schuhe gleichzeitig als ein Paar, das dafür aber wie angegossen sitzt.
Zu einem ähnlichen Schluss bezüglich des heutigen Dating-Verhaltens kommt auch der Paartherapeut Christoph Uhl: „Eine von Nähe, Vertrautheit, Verbindlichkeit getragene Beziehung passt da nicht rein, ist schlicht zu riskant und wird als zu arbeitsintensiv gefürchtet. Unsere Eltern und Großeltern haben noch etwas Anderes gelernt.“
Riskant: eine gute Beschreibung. Sind wir am Ende alle Weicheier geworden? Ein Dreivierteljahrhundert Frieden und Wohlstand haben uns auch den letzten Rest Selbstbehauptungswillen und Risikofreude geraubt. 75 Jahre Sozialversicherung, Altersvorsorge, Zukunftsangst bedingt durch Glaubenslosigkeit und volle Regale machen wohl aus fast jedem ein bedauernswertes Individuum, das sich nicht einmal mehr im Entferntesten vorstellen kann, für etwas einzutreten, für ein höheres Ideal Kopf und Kragen zu riskieren. Stattdessen Netflix und veganes Superfood – allein.
(Bild: Pixabay)