Rezension

Hat das deutsche Volk ein Existenzrecht?

In diesem Beitrag versuchen wir eine Frage zu beantworten, die Deutschland seit 1945 quält: Wie können wir unsere Existenz als Nation rechtfertigen, nachdem wir für den Holocaust verantwortlich waren?

Es ist die Frage des deutschen Schuldgefühls. In einer Zeit, in der Deutschland dabei ist Selbstmord zu begehen, ist es in der Tat eine dringende Frage. Die wurde schon bei Carl Gustav Jung, dem Vater der analytischen Psychologie, im Jahr 1945 gestellt. Mit seinem Aufsatz „Nach der Katastrophe“ war Jung einer der ersten, die über das Schuldgefühl der Deutschen geschrieben haben. Er war gnadenlos:

„Wenn ein Deutscher seine moralische Minderwertigkeit als Kollektivschuld vor der Welt anerkennt und keinerlei Versuche macht, diese mit unzureichenden Argumenten abzuschwächen oder wegzuerklären, so hat er eine vernünftige Chance, nach einiger Zeit für einen möglicherweise anständigen Menschen gehalten und damit von der Kollektivschuld wenigstens von Einzelnen losgesprochen zu werden.“ (C.G. Jung: Aufsätze zur Zeitgeschichte. Zürich 1946, S. 81)

Das mag einseitig erscheinen, aber Jungs Position war berechtigt. Nicht Selbstmord, sondern Revanchismus was damals zu befürchten. Wenn man den gesamten Aufsatz liest, wird es klar, Jung wollte die Deutschen nie belehren oder ihnen vorsagen, wie sie denken müssten. Vielmehr hatte er das Wohl des Deutschen im Blick und wollte eine real existierende Krankheit behandeln. Auch wir haben diese Absicht.

Aufzwingen der Alliierten

Es wird vom rechten Lager immer wieder der Vorwurf gemacht, das Schuldgefühl sei von den Alliierten aufgezwungen worden. Nach dem Krieg war Deutschland unter Besetzung, das stimmt. Während dieser Zeit gab es den Versuch Strukturen aus der NS-Zeit zu demontieren, um sicherzustellen, dass diese Ideologie nie wieder Fuß fassen könnte. Dazu gehört natürlich, die Schuld für den Krieg den Deutschen zuzuschieben.

Aber gleichzeitig zirkuliert das Narrativ, die Alliierten hätten die Deutschen von den Nazis befreit. Es gab und gibt mehrere Methoden die Stellung der Deutschen im Krieg zu beurteilen, als Täter, Mitläufer oder Opfer einer Diktatur. Der heutige Zustand der BRD kann nicht auf Gehirnwäsche zurückgeführt werden. Das wäre eine gewaltige Überschätzung der Fähigkeit der Regierung die Meinung von Individuen zu kontrollieren. Im Ostblock hat die Regierung jahrzehntelang massive Indoktrinierung betrieben.

Aber der Widerstand hat nicht nachgelassen. In dem Moment, als die UdSSR Schwäche zeigte, ist das gesamte System kollabiert. Warum ein solcher Widerstand im Westen ausgeblieben ist, liegt wohl daran, dass der Deutsche die Schuldpille willig eingenommen hat. Es handelt sich hier um wahrhaftige unbewusste Kräfte und nicht bewusste Konstrukte.

Ich, Selbst und Schatten

Jungs Annahme einer Kollektivschuld traf zu und die Deutschen haben diese auch so anerkannt. Wie kann man trotz dieser Schuld zu einer gesunden Einstellung zurückgehen? Obwohl Jung nicht mehr lebt, liefert seine Theorie immer noch eine Lösung. Erstmal müssen wir verstehen, was mit der Psyche der Deutschen 1945 geschehen ist. Jung hat die Psyche in drei Elementen geteilt, bestehend aus: dem Ich (auch Ego genannt), dem Schatten und dem Selbst. Das Ich ist der bewusste Teil der Psyche, d.h. was die Psyche über sich selbst denkt und akzeptiert.

Alles, was die Psyche nicht akzeptieren kann oder will, meistens sexuelle und aggressive Tendenzen, bleibt auf das Unbewusstsein beschränkt und bildet den Schatten. Zwischen Ich und Schatten liegt das Selbst. Es hat Zugang zum Bewussten und Unbewussten und ist dafür verantwortlich, das Ich zu aktualisieren. Das heißt, wenn das Ich mit Situationen konfrontiert wird, für die es selbst nicht gewachsen ist, ist das Selbst dafür zuständig die nötigen Werkzeuge aus dem Schatten zu extrahieren. Dadurch kann z.B. eine liebe Mutter die nötige Aggressivität finden, um ihr Kind in kritischen Momenten zu retten.

Sterben und Neubildung des Ich

Wenn das Ich jedoch mit einer überwältigenden Situation konfrontiert wird, kann ein Großteil davon oder sogar seine Gesamtheit sterben. Mildere Beispiele davon sind das Ende einer Beziehung oder eine Entlassung. Extremere Situationen können posttraumatische Belastungsstörungen erzeugen. Das ist der Fall bei Soldaten und zwar nicht nur wegen dem, was sie erlebt haben, sondern häufig auch, weil sie selbst etwas Grausames getan haben. Eine Heilung ist dann nur möglich, wenn das Individuum eine neuere und komplexere Theorie von Gut und Böse entwickeln kann, die in der Lage ist, die entdeckte Aggressivität und Grausamkeit in seiner Psyche einzuordnen.

Es ist also genau das Selbst, das durch Kontakt zum Schatten ein neues Ich bildet. Während Ich und Schatten sich mit der Zeit vollständig ändern können, bleibt das Selbst konstant. Es ist das, was durch den Zyklus vom Sterben und Neugeburt/Auferstehung identisch bleibt, und damit die Vergangenheit mit der Zukunft verbinden kann. Dieser Prozess ist nach Jungs Sicht der Kern vieler Religionen.

Es ist der Tod und die Auferstehung von Jesus Christus. Es ist auch der Tod des Gottes Odin, der sich selbst im Weltenbaum opfert, um die Geheimnisse der Runen zu entdecken. Auch die Wissenschaft bestätigt: es sind auch die Neuronen, die durch das Stresshormon Cortisol sterben müssen. Seinen Schatten anzuerkennen und ihn zu integrieren ist ein wesentlicher Teil der Jungianischen Heilungsmethode.

Aktuelle deutsche Identität

Wie lässt sich mittels dieser Theorie die deutsche Psyche erklären? Mit Blick auf den preußischen Geist, der Deutschland im frühen 20. Jahrhundert ergriffen hat, wird klar, dass das deutsche Ich für die Niederlagen im ersten und zweiten Weltkrieg nicht bereit war. Darüber hinaus waren die Deutschen nicht nur unfähig die Hegemonie in Europa zu halten, sondern haben auch bewiesen, dass sie einer solchen nicht würdig waren. Statt ein Reich des Friedens zu bringen, haben die Deutschen die Nachbarvölker erniedrigt und brutal ermordet. Auf die deutschen Städte brachten sie Chaos und Feuer.

Dabei ist irrelevant, von wem oder warum die Bomben geworfen wurden, es war die Auswirkung des Krieges. Die zivilisierten Deutschen entpuppten sich vor allem als barbarisch. Das war zu viel für das deutsche Bewusstsein. Wer den heutigen Stand der deutschen Identität sieht, kann mit Sicherheit sagen: Was es vor 1945 gab, ist damals gestorben. Wir leben in einem neuen Deutschland, in dem die deutsche Schuld den Hauptfaktor der Identität bildet. Der Heilungsprozess ist jedoch nicht vervollständigt. Der Schatten wurde erkannt, ist aber noch nicht integriert worden. Das Ich bleibt negativ geprägt und es wurde kein neuer Grund zum Leben entdeckt. Einzelne Deutsche entfliehen diesem Zustand, indem sie antideutsche Haltungen einnehmen.

Damit vermeiden sie die Konfrontation mit dem Schatten und versuchen die deutsche Identität in eine Art Weltbürgertum aufzulösen. Dem Schatten kann man jedoch nicht entgehen. Was nicht in sich selbst anerkannt wird, wird in die Welt projiziert. Der Nazi, der in einem lebt, erscheint dann im politischen Gegner. Somit ist die antifaschistische Bewegung erklärt, angeblich sollen Nazis bekämpft werden und dafür werden Nazi-Methoden angewandt.

Integration des deutschen Schattens

Um diese Auflösung Deutschlands zu verhindern sind Menschen nötig, die das deutsche Selbst personifizieren können. Die das Deutsche nicht nur in seiner heutigen Fassung sehen, sondern in seiner gesamten geschichtlichen Existenz. Die nicht vergessen und dem Schatten in die Augen schauen, ohne sich dabei zu verlieren. Das heißt zu erkennen, dass deutsch sein immer in Teilen Nazi sein bedeutet, aber weder hoffnungslos wird, noch der Versuchung nachgegeben wird, sich selbst als Nazi zu definieren oder die Nazi-Ideologie zu verteidigen. Das heißt amerikanische Filme zu schauen, in denen der Deutsche immer der Bösewicht ist, und sagen: „Es ist ok so“.

Irgendjemand muss den Bösen spielen. Während niemand anderes das machen will, weil alle der Held sein wollen und ihre schlechten Eigenschaften verneinen, nimmt der Deutsche den schwierigen Weg. Er gibt zu, dass in ihm ein Monster wohnt, das jeder Zeit ausbrechen könnte. Er erklärt es zu seiner Verantwortung über diesem Monster zu wachen.

Unsere Schwäche macht uns stärker!

Das macht den Deutschen aber nicht zum Schwächling, das macht ihn stärker. Weil er weiß, welche destruktive Kraft in ihm wohnt, lässt er es sich nicht gefallen, wie ein Bürger zweiter Klasse behandelt zu werden. Denn genau das würde sicherstellen, dass das Monster ausbricht. Er verlangt also Respekt und wenn ihm dieser nicht gegeben wird, zeigt er die Zähne. Er erforscht seinen Schatten, um zu wissen, in welcher Form er zum Vorschein kommt.

Deshalb respektiert er auch andere Völker und versucht nicht ihnen seinen Willen aufzuzwingen. Er weiß aber auch, dass er nicht der einzige Werwolf im Dorf ist. Es wäre sinnlos die Bosheit von der Welt verbannen zu wollen, indem man sich umbringt. Er weiß, dass ein Tag kommen kann, an dem ein kontrolliertes Monster die einzige Hoffnung gegen ein Ungeheuer ist. Er erkennt, dass auch, wenn es besser wäre, wenn alle Deutschen ihre Waffen niedergelegt hätten, derselbe Kampfgeist die Soldaten auf der anderen Seite motiviert hat, den Faschismus zu zerstören.

Für die Existenz der Deutschen

Aus dieser Tatsache kann der Deutsche die Berechtigung, als Volk weiterhin zu existieren, begründen. Die mörderischen und völkervernichtenden Tendenzen sind nicht auf die Deutschen beschränkt. Ganz im Gegenteil, jeder Mensch hat einen Schatten, jeder Mensch ist dazu fähig. Wenn wir Völkermord in der Zukunft verhindern wollen, dann müssen wir bereit sein mutig dagegen vorzugehen. Dieser Mut kann nur aus der eigenen Verantwortung kommen.

Wenn sich niemand für die Genozide der Vergangenheit verantwortlich fühlt, dann ist die Wiederholung sicher. Es ist also unausweichlich, dass der Deutsche mit seiner Erinnerungskultur erhalten bleibt. Migranten, die sich in Deutschland niederlassen, aber an ihrer ursprünglichen Identität festhalten, können und werden diese Last nicht mittragen. Wer also mit der Nazikeule argumentiert und die Umvolkung Deutschlands weiter vorantreibt, kann mit derselben Nazikeule geschlagen werden.

Es ist häufig in der Jungianischen Psychologie, dass man Denkanstöße in Geschichten sucht, denn diese sind ein Weg zu der Weisheit des Unbewussten. Ich habe so eine Geschichte, sie steht in der Bibel. Als Moses gesehen hat, dass das Volk Götzen anbetete, hat er sie stark kritisiert. Aber er betete zu Gott, er solle das Volk schonen und stattdessen ihn bestrafen (auch wenn er unschuldig war).

Dasselbe Motiv spiegelt sich bei Jesus wieder, es kann so zusammengefasst werden: „Die Opferung des Helden befreit das Volk von Sünde.“ Behält man im Auge, dass die westliche Gesellschaft jedes Individuum zum Helden erklärt hat, kann man zu unserer Situation Folgendes sagen: „Wenn der Deutsche Verantwortung für seinen inneren Nazi übernimmt, ist das Volk von Schuld befreit.“

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