Seit einem Jahr herrscht der Ausnahmezustand. Was aber macht das mit uns? Eine Frage, die mich zunehmend umtreibt. Denn eines ist deutlich geworden. Die Präferenzen haben sich bei vielen Menschen drastisch verschoben. Alles wird geopfert dem Umstand, sich möglichst nicht anzustecken. Abstand und Hygiene sind Schlagwörter dieser Zeiten.
Mir kommen täglich genug Menschen entgegen, die sich an den Rand des Bürgersteigs drängen, nur um den größtmöglichen Abstand zu mir zu halten. Die mir damit signalisieren, sie hätten Angst vor mir – oder dass meine Präsenz irgendwie unangenehm sei. Menschen, die meine ausgestreckte Hand panisch anstarren und mich in der U-Bahn anbrüllen, ich würde sie umbringen, weil ich meine Maske nicht korrekt trage.
Panische Angst im Alltag
Die Menschen tun so, als ob der Tod durch die Straßen gehen würde. Und weil man diesen Tod nicht sehen kann, wirken ihre Anstrengungen, ihm zu entgehen, nur noch krampfhafter und verzweifelter. Ich bezweifle nicht, dass sich im letzten Jahr eine nicht geringe Anzahl an Menschen zu neurotischen Phobikern entwickelt, die panische Angst vor Viren entwickelt haben, die immer und überall um uns sind.
Was mich aber vor allem mit Sorge erfüllt, ist der Umstand, dass man das „Pandemie“-Geschehen des vergangenen Jahres überwiegend nur durch Fernsehen und Zeitung mitbekommen hat. Die Menschen, die eine Pest-Epidemie früherer Jahrhunderte miterlebten, erlebten diese in der eigenen Umgebung, in Realität sozusagen. Da starb eben innerhalb weniger Monate die Hälfte aller Menschen in einer Stadt. Leichen stapelten sich auf den Straßen und die Friedhöfe waren überfüllt. Noch während der „Spanischen Grippe“ war das Pandemie-Geschehen am eigenen Leib erfahrbar und allgegenwärtig.
Pandemie in den Köpfen
Heute handelt es sich aber um eine Pandemie, die sich vor allem in den Köpfen der Leute abspielt. Denn die Horrorszenarien der Politiker und Experten sind schließlich nie eingetreten. Wie soll dann aber die Pandemie jemals wirklich enden? Nach einer Pest wurde sehr schnell deutlich, dass es überstanden war – es starben einfach keine Menschen mehr wie die Fliegen. Im letzten Jahr hingegen unterschied sich die Situation in den Krankenhäusern vielerorts nicht von früheren Grippesaisons. Auch die Sterbezahlen sind nicht signifikant angestiegen – wenn überhaupt angestiegen.
Wenn also morgen die Pandemie für beendet erklären werden würde; wer kann dann schon sagen, ob das stimmt. Schließlich ändert sich im konkreten nichts. Menschen werden auch weiterhin einen Schnupfen bekommen, mit Grippesymptomen im Bett liegen, an einer Virusinfektion sterben. Weiterhin wird jährlich das „große Sterben“ in den Altenheimen einsetzen. Und auch weiterhin werden die jüngeren eine Erkrankung in der Regel gut wegstecken und nach ein paar Tagen oder Wochen wieder einsatzfähig sein, während vor allem auch weiterhin alte und kranke Menschen sterben werden. Und auch das Corona-Virus wird nicht verschwinden.
Orwell – 1984
Werden also bei einigen Menschen phobische Verhaltensmuster aufrechterhalten bleiben? Vermutlich. Distanz, Krankheitsverdacht, Hygiene und Misstrauen werden auf jeden Fall bei vielen bleiben!
Manchmal erinnert mich das heutige Szenario an Georges Orwells Roman „1984“. Die Menschen nehmen etwas wahr, weil es vom großen Bruder als wahr ausgegeben wird. Man pflegt seine Neurosen und vorgegebenen Vorstellungen, weil man sonst nichts mehr hat, und auch gar nicht haben will.
„Lüge ist Wahrheit“ eben weil in einer Lüge zu leben, einfacher scheint, als sich der Realität stellen zu müssen. Denn in dieser sterben nun einmal täglich Menschen. An Krankheiten. An Infektionen. Und nur, weil man sich einredet, das sei jetzt alles ganz anders als früher und grundsätzlich vermeidbar gewesen, macht es das nicht „wahrer“. Wenn man sich hingegen in die Illusion flüchtet, an einen Wendepunkt der Zeit gekommen zu sein und ab sofort Viren der Staatsfeind Nummer eins sind, macht – aber nur dann – ein solches Verhalten Sinn!