Gesichtet

„Ich glaube der Tagesschau kein Wort mehr!“

Wir treffen uns im Hof vor der Madonna.“ Der bekannte Frankfurter Ordenspriester Bruder Paulus hätte keinen einleuchtenderen Treffpunkt auswählen können. Der Leiter des Kapuzinerklosters Liebfrauen holt mich ab. Ich begleite ihn in eine Stube und das Interview beginnt.

Bruder Paulus äußert sich positiv über die geistliche Situation in Frankfurt. Die Mainmetropole sei für ihn „eine Wunderstadt“, weil sie eine Stadt des Friedens sei mit sehr vielen Nationen und vielen Sprachen. „Da wird Pfingsten für mich Wirklichkeit, wir sind kein babylonisches Gegeneinander, sondern sind ein Miteinander hier in der Stadt. Es kommt ein wenig vom Marktdrive her, das Geld führt schon einige Menschen zusammen und auch zur Kommunikation. Aber es gibt auch einen geistigen Flair.“

Seine freundliche Anfangsstimmung schlägt um, als die Sprache auf den Medienbetrieb fällt. Mein Gesprächspartner ist ein Medienprofi und kennt den journalistischen Betrieb von innen. Seine Kritik gleicht einer Abrechnung:

„Wenn man einmal weiß, wie die Tagesschau komponiert wird, dann hört man die Tagesschau und glaubt kein Wort mehr. Ich mache 15 Jahre Fernseharbeit und dann bin ich geradezu prophetisch und weiß schon, wie genau das alles entsteht. Es muss ja adressatenorientiert produziert werden. Und dann gibt es sehr viele Vorstellungen davon, wer dieser Adressat wohl ist. Und auf diesen Avatar hin wird dann etwas gemacht. Das wird aber zu wenig transparent gemacht.

Wenn zum Beispiel RTL vor jeder Sendung sagen würde, unser Avatar hat einen IQ von 65 und säuft täglich drei Bier, für den haben wir jetzt die Sendung gemacht, dann wäre das ein bisschen klarer. Das wird man natürlich nicht sagen, weil man ja genau diese Bewusstmachung nicht will. Man will ja so tun, als sei man gerade ein ganz tolles Medium, weil man für die Leute etwas tut. – Bei der Bildzeitung ist es ähnlich.

Einmal wollte mich ein Focus-Redakteur aus Dieburg interviewen. Ich sagte zu ihm:

„Sie können gern kommen, ich weiß aber eh schon, was sie schreiben.“ – „Wieso?“ – „Sie kommen vom Focus, die Chefredaktion hat Ihnen schon erzählt, in welche Richtung Ihre Fragen gehen müssen und wie meine Antworten sich anzuhören haben. Und ich weiß auch schon, wie mich der Fotograf fotografieren will: Im Ordensgewand auf der Klostertreppe mit noch älteren Fotos hinter mir mit einem bestimmten Schlagschatten. Und das soll dann eine halbe Seite füllen.“

Sie bedienen die Erwartungen ihrer Leser und schreiben da rein.

Ich habe für SAT1 das Wort zum Sonntag gemacht. Ich habe immer gesagt, das ist voralttestamentliche Theologie, was ich da treibe. Man versucht den Leuten, was zu sagen, was sie noch so irgendwie verstehen und damit bleibt man immer auf diesem Niveau und das ist genauso, als wenn eine Mutter mit ihrem Kind immer in der Babysprache brabbeln würde, weil das Kind noch nicht verstehen kann.

Noch ein Beispiel: Ich war beim Papstbesuch von Papst Benedikt in Köln. Ich sagte zu den Leuten von N24: „Macht doch mal ein Interview mit der Gruppe von den geistig behinderten Menschen und ihren Betreuern dort drüben, um einfach mal zu sagen, wie es so war, als der Papst ihnen die Hände schüttelte.“ – Sie antworteten: „Bruder Paulus, das machen wir gerne für Sie, es wird aber sowieso nicht gesendet. Das Werbeumfeld mit behinderten Menschen ist schlecht und Behinderte dürfen wir nicht zeigen, die Leute schalten dann ab.“

Wir brauchen Öffentlich-Rechtliches und je mehr das jetzt unter einem Quotendruck gerät, ist es für mich nur noch schwer anzugucken, wie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen alle entlassen werden, die nur irgendwie denken können, Redakteure und Moderatoren. Nur die Verwaltung bleibt. Es ist wie bei der Kirche: Nur die Verwaltung bleibt.

Bruder Paulus hat gleich zu Beginn des Gesprächs abgeräumt. Doch woher kommt seine Entschiedenheit? Welche Philosophie hat er sich angeeignet?

In welchem Verhältnis steht die Liebe zur Wahrheit und zur Gerechtigkeit?

Die Liebe will die Wahrheit und die Gerechtigkeit. Und dort, wo die Wahrheit und die Gerechtigkeit nicht gelebt werden, da ist auch keine Liebe.

Der Ordensbruder sieht die Gefahr, dass Liebe ohne Wahrheit und Gerechtigkeit in Naivität und Sentimentalität abgleitet und den Menschen die Verantwortung für das eigene Leben abnimmt. Alle „Mutter-Theresa-Geschichten“, die man so hört, seien daher vom Bösen, weil sie den Menschen in eine falsche Vorstellung von Liebe hineinstießen.

Im Alten Testament geht es richtig zur Sache. Es ist ein bisschen wie bei Herr der Ringe. Für sentimentale Liebe ist dort kein Platz. Meine nächste Frage ist daher:

Aufgrund von Terroranschlägen mit islamistischem Hintergrund steht der Koran unter Beschuss. Aber hat nicht das Alte Testament deutlich mehr gewalttätige Passagen bis hin zu angeordneten Völkermorden. In Samuel 15.3 heißt es z.B.: „So spricht der Herr der Heerscharen: Darum ziehe hin und schlage die Amalekiter und vollstrecke den Bann an ihnen und an allem, was sie besitzen. Du darfst aber keine Schonung üben. Alle müssen sterben, Männer und Frauen, Kinder und Säuglinge, Rinder und Schafe, Kamele und Esel.“ – Wie interpretieren Sie diese Bibelstellen?

Das sind historisch gewachsene Texte, die nur in ihrem Kontext zu verstehen sind. Das Christentum ist keine Schriftreligion und auch der jüdische Mensch liest es als eine Erfahrung der Vorfahren und die Vorfahren haben Gott auf ihrer Seite gesehen und gegen die anderen. Das war ein Gottesbild, das entstanden ist aus einem Hirtengottesbild und einem Landwirtschaftsgottesbild.

Mein Eindruck ist, dass jüdische Israelis heute mit den Palästinensern genau das machen, was sie der Gott des Alten Testaments gelehrt hat. Nämlich das Heilige Land einnehmen und die angestammte Bevölkerung plattmachen. Deshalb frage ich:

Ist Israel ein Gottesstaat?

Ja natürlich, das Judentum ist eine territoriumsgebundene Religion. Das gelobte Land, der Tempel in Jerusalem, ein Territorium: God‘s Own Country. Das universale Christentum sagt dagegen, die Völker werden nicht nach Jerusalem wallfahrten, sondern sie werden sich um Christus versammeln an vielen Stellen dieser Erde. Das ist eine Art ambulantes Heiligtum. Drei Christen versammeln sich, Jesus in ihrer Mitte, heiliger kann es nicht mehr werden.

Ist Israel ein Apartheidstaat?

Nicht Apartheid, aber im Sinne von, dass sich Juden auserwählt fühlen.

Wie sehen Sie die Zukunft Israels?

Wenn es Juden gibt, die sagen, es ist doch dieses Land, das unseren Vätern gegeben worden ist, lasst uns auf diesem Land leben, dann sollten wir ihnen völkerrechtlich etwas geben. Aber dann würde ich sagen, ohne Waffen. Keine Industrie. Orthodoxe Juden würden dann von der Arbeit der Juden weltweit leben, die sie bei ihrem Staatswesen unterstützen. Jerusalem müsste organisiert werden wie der Vatikanstaat. Anders geht es nicht, wenn wir es respektieren, dass unsere jüdischen Brüder und Schwestern ihre Volksgemeinschaft haben möchten.

In Zeiten der politischen Korrektheit geht es einfach nicht ohne einen zerknirschten Hinweis auf den späten Antijudaismus Martin Luthers, bevor dieser – von Krankheit gezeichnet und voller Trauer um den Tod der Lieblingstochter Magdalene, voll Sorge um den Bestand der sich entwickelnden Strukturen reformatorischer Kirchen – verstarb. Die logische nächste Frage ist also:

Zum 500. Reformationsjubiläum 2017 hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) erklärt: „Luthers Sicht des Judentums und seine Schmähungen gegen Juden stehen nach unserem heutigen Verständnis im Widerspruch zum Glauben an den einen Gott, der sich in dem Juden Jesus offenbart hat.“

Wer ist denn nun Jesus? Ein jüdischer Patriarch wie Mose, so wie es die EKD hat anklingen lassen oder der Sohn Gottes?

Beides! Jesus ist für den Christen ja wahrer Mensch und wahrer Gott. Das Menschliche an ihm ist Jude sein. Denn wir Menschen werden unter den Bedingungen einer bestimmten Sprache, Kultur, Religion und Weltanschauung geboren. Dem können wir uns nicht entziehen. Wir sind sozusagen da hineingezwungen. Das ist das Wunder der Inkarnation.

Wir bleiben noch ein bisschen bei der institutionalisierten Lehrmeinung. Spätestens wenn mein Gesprächspartner seine Oma zum Himmel auffahren lässt, wird es wieder richtig interessant.

Ist die Auferstehung Jesu Christi historisch?

Sie ist selbstverständlich historisch, weil Jesus historisch war. Wenn er auferstanden ist, was der Glaube sagt, dann muss die Auferstehung auch historisch sein. Es gilt für diesen Glauben das, was das Dogma sagt: Jesus war wahrer Mensch und wahrer Gott.

Islamische Schriften beschreiben in drei unterschiedlichen Varianten die Himmelfahrt ihres Propheten Mohammed. Die Bibel berichtet von der Himmelfahrt Jesus. Wer hat recht? Moslems oder Christen?

Das ist keine Kategorie. Mohammed ist ja von Jesus her gekommen. Wenn Jesus der Mensch ist, nach dem die ganze Welt geschaffen ist, ist ja jeder Mensch Jesus aus dem Gesicht geschnitten, also auch Mohammed. Und warum soll Mohammed nicht erfahren haben, was auch Jesus erfahren hat. Meine Oma ist ja auch zum Himmel aufgefahren.

Zuerst das Rührei. Dann trennt sich das Eiweiß vom Eigelb. Beide fließen in das Ei  und schwupp, ein Küken piept hallo. So stellen sich die Verfechter der Ursuppentheorie die Entstehung der Welt vor. – Ich will mal schauen, ob Bruder Paulus nicht ein bisschen schlauer ist.

Schöpfung oder Evolution?

Mich interessieren die Narrative. So wie die Schöpfungsgeschichte ein Narrativ ist, um zu erklären, wie die Welt entstanden ist, so ist die Evolutionstheorie ein Narrativ, damit wir uns nicht so ungefragt in der Schöpfung vorkommen. Wir wissen dann sicher, woher wir kommen. Und daher ist die Evolutionsgeschichte genauso eine Geschichte wie die Schöpfungsgeschichte: Durch nichts zu belegen. Die Schöpfungsgeschichte ist immerhin noch eine Dichtung.

Jetzt soll es aber wirklich darum gehen, was die Wissenschaft so drauf hat. Vorher werden wir aber vom EKD-Ratsvorsitzenden belästigt.

Propheten sind nach meiner Auffassung Männer Gottes, die von ihm mit Namen berufen werden und einem Volk oder einer bestimmten Person die Worte Gottes kundtun.

Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm hat eine andere Sichtweise: „Für die Propheten der Bibel war nicht die Ausgewogenheit das vorrangige Ziel, sie kamen auch nicht auf die Idee, eine möglichst verlässliche wissenschaftliche Expertise einzuholen, bevor sie sprachen. Sie brachten da eine leidenschaftliche moralische Empörung zum Ausdruck, wo ganz offensichtliches Unrecht vor ihren Augen passierte.“

Für mich projiziert Heinrich Bedford-Strohm genau das in die biblischen Propheten hinein, was die evangelische Kirche heute auszumachen scheint: Moralische Panik und wenig kognitive Kontrolle.

Ist moralisch sein und dazu ein bisschen doof sein heutzutage ein Synonym für christlich?

Also, Propheten sind Menschen, die ganz wissenschaftlich arbeiten.

Machen die? Ich dachte, die hören den Ruf Gottes und dann geht es los?

Das Ganze wurde so in der Bildsprache der Vergangenheit interpretiert. Der Ruf Gottes kommt ja nicht als Audition, das wäre ja der Ausdruck einer psychotischen Krankheit. Propheten sind Menschen, die den Durchblick haben, die einen unabhängigen und distanzierten Standpunkt haben. Also brauchen wir Menschen, die so sehr in Gott sind, dass sie alles durchschauen, was nicht Gott ist. Jeder Mensch ist berufen, prophetisch zu sein. Stellen Sie es sich so vor, dass sich plötzlich unterschiedlichste Informationen wie in einem Kaleidoskop zusammenschieben und man plötzlich versteht und das ist, ich schaue gerade. Wenn man nicht wissenschaftlich arbeitet, kann man kein Prophet sein.

Ein Zurückbinden moralischer Impulse und eine rationale Würdigung wissenschaftlich fundierter Daten ist unter Heinrich Bedford-Strohm nicht gerade die Stärke der EKD.

Heinrich Bedford-Strohm begründete die Einladung von Barack Obama zum evangelischen Kirchentag mit dessen hohen Idealen, die stark verankert im christlichen Glauben seien. Barack Obama hatte es allerdings zur Staatsdoktrin gemacht, Moslems in muslimischen Ländern durch Drohnen zu töten. Für meine Begriffe ist er damit ein Massenmörder. Auf dem evangelischen Kirchentag galt er neben Martin Luther als zweite Lichtgestalt. Weiß die evangelische Kirche noch, was sie tut?

Es ist ein großes Ringen darum, wie viel Prominenz kriegt man zusammen. Wenn Obama kommt, muss Frau Merkel auch zusagen. Sachlich stellt sich die Frage, wie wir in dieser Welt handeln können. Niemand kann spazieren gehen, ohne irgendeinen Wurm zu zertreten. Und jeder, der in dieser Welt lebt, beteiligt sich am Töten. Wer Fleisch isst, handelt unverantwortlich. Und wenn man dem allen zustimmt, dass wir in der Welt alle töten und Massenmörder sind, erst dann können wir auch gerne über Obama zu Gericht sitzen, vorher aber nicht.

Aber ich töte ja nicht.

Natürlich töten Sie. Wenn Sie zum Beispiel Schokolade essen, töten sie Kinder, die unter grässlichen Umständen Kakaobohnen ernten müssen. Jedes Schnitzel, das Sie essen, ist ein Beitrag zur Erbarmungslosigkeit in dieser Welt. Und jetzt aber zu sagen, der hat aber auf den Knopf gedrückt, das finde ich arrogant. Das ist ja genau diese Schuldzuweisung, das ist ja genau der Trick. Wie bei den Geflüchteten, die für eine höhere Kriminalität verantwortlich sein sollen. – Das, was wir tun, ist immer im Bösen verstrickt.

Aber ist das nicht ein Freispruch für Obama?

Das ist kein Freispruch. Ich war nicht in der Situation von Obama, mir fehlen die Voraussetzungen dafür, entscheiden zu können, ob er richtig oder falsch gehandelt hat.

Eine Kirche ist ein Ort des Gebets und der Lobpreisung. Das Frankfurter Kapuzinerkloster, das durch eine Hausgemeinschaft von sechs Ordensbrüdern getragen wird, bestimmt auch.

Wie beten Sie privat? Konkret für einzelne Menschen und Situationen? Oder in einem Aufwasch für alle Armen und Verfolgten dieser Erde?

In dem Sinne bete ich überhaupt nicht. Beten ist für mich, dem Atmen des heiligen Geistes Raum geben. Mein irdisches Atmen ist der körperliche Ausdruck dessen, was mein Leben und meine Seele angeht. Ich gehe in Gott und Gott geht in mir.

So wie ein Kind bei der Mutter ruht. Das ist Gebet. Sich sättigen lassen, an Gottes Brust liegen und nuckeln.

Es geht jetzt nicht darum, dass Gott Gebete erhört?

Nein, Gott braucht die Gebete nicht. Gott will bzw. wird sowieso den Frieden schaffen.

Also haben Fürbitten keinen Sinn?

Doch, weil sie Ausdruck des Vertrauens sind. Und durch mein Vertrauen zu Gott ändern sich vielleicht die Dinge. Abgesehen davon sagt Jesus Christus nach dem griechischen Urtext „bittend werdet ihr empfangen“ und nicht „bittet und ihr werdet empfangen“. Richtig Verliebte ineinander müssen sich um nichts bitten, sie lesen sich alles von den Augen ab.

Vielen Dank für das Gespräch!

(Bild: Bruder Paulus, gemeinfrei)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Datenschutzinfo