Rezension

Joker: Wofür gab es denn hier einen Oscar?

Ich freute mich sehr, als ich letztes Jahr die Gelegenheit hatte, mir den Film «Joker» anzuschauen. Zwar in einer Qualität, die SD beinahe wie 4K erscheinen lässt und einem Ton, bei dem ich an manchen Stellen nicht wusste, ob mein Tinnitus sich meldet oder es Teil des Films ist. Aber es schien sich zumindest in der ersten halben Stunde zu lohnen.

Lachen als Handlung

Dennoch wurde ich mit dem Film nicht warm. Das Feuilleton lobte zwar einhellig das manische Lachen, das der Protagonist in ihn zwischenmenschlich überfordernden Situationen anstimmte. Ein Lachen, das die Absurdität seiner gesamten Existenz unterstreichen sollte und ihn in eine Isolation trieb, die keinerlei Mitlachen mehr zulässt. Aber diese kollektive Euphorie über diesen Aspekt, die wie untereinander abgesprochen wirkte, erschien mir von Anfang an suspekt.

Arthur Flecks Lachen ist – wie jedes Lachen – ein spontaner Reflex. Er kann es nicht unterdrücken. Nur die Anlässe unterscheiden sich fundamental von dem Lachen gesunder Menschen. Lacht der Gesunde, wenn eine Situation oder Gespräch eine humoristische Wendung nimmt, so lacht der Joker dann, wenn jeglicher Anlass dazu fehlt. Man fragt sich als Zuschauer, ob es eine verfeinerte Form von Humor ist, mit dem man distanziert und resignativ sich selbst betrachtet und in seinem eigenen oder dem Leid Anderer nur noch eine Komödie erkennen kann. Oder ob der Lach-Impuls durch den Versuch, ihn zu unterdrücken, überhaupt erst zu einem Lachen wird.

Ein Lachen, das gerade in Situationen mit Antagonisten zuerst irritierend, dann lebensgefährlich enden kann und den – zuvor offenen – Raum und die eigene Umwelt in eine Gefängniszelle verwandelt, wie in der U-Bahn-Szene. Vermutlich ist es eine Mischung aus beidem, die viele von uns ebenfalls kennen, wenn sie z.B. vor dem Sarg eines entfernteren Bekannten stehen. Je ernster sich die Blicke der anwesenden Personen verfinstern, je ruhiger der Raum ist und je gezwungener jeder versucht, seine Betroffenheit zu unterstreichen, umso komischer kann die Situation werden.

Ein Wahnsinniger findet Anhänger – warum?

Man lacht also und hofft verzweifelt, dass es von den hinteren Bänken als Weinen interpretiert wird. Phoenix erzählte bezeichnenderweise, dass dieses Lachen den größten Raum in den Proben einnahm und er stundenlang mit dem Regisseur übte. Es versteht sich von selbst, dass kein Film von dieser Grundidee getragen werden kann. Erst recht keine zwei Stunden. Und genau an diesem tönernen Baustein, der ein gesamtes Hochhaus tragen soll, leidet der gesamte Film.

Die Handlung selbst lässt sich in einem Satz zusammenfassen: gescheiterter Komiker mit Minderwertigkeitskomplexen, Wahnvorstellungen und Tourette-Lachen dreht durch, findet Anhänger (warum?) und erschießt aufgrund einer Kränkung am Ende einen alternden Moderator – gespielt von einem De Niro, dessen eigene Langeweile sich leider auf den Zuschauer überträgt.

Komplexe Seele

Die Minderwertigkeitskomplexe sind nachvollziehbar und berechtigt. Daran lässt sich nichts schönreden, selbst wenn man Fleck (so heißt der Joker, wenn er nicht der Joker ist) mag. Dennoch ist das Muster zu durchschaubar, die Figurenzeichnung zu klischeehaft. Die Produzenten gingen nach dem bekannten und derzeit modischen Ablauf vor: Man nehme wahllos «psychische Probleme», verrühre sie mit einem «Tick» und schreibe Handlungselemente, die die Komplexität des psychotischen Protagonisten untermalen, ohne selbst Handlung zu sein.

Und wenn der männliche Protagonist auch noch weint und über die Komplexität seines Innenlebens schwadroniert, gilt der Film am Ende als «tiefgründig» und ist ein Oscar-Anwärter. Während er in Wahrheit nur zehn Millimeter unter der Oberfläche mit einem Strohhalm im Mund dahindümpelt. Freilich ist die Leistung Phoenix’ solide, aber nicht überragend. Er spielt hier mit sich selbst, ohne ein unüberwindbares Ensemble. Die Kamera ist stets auf ihn gerichtet, so dass jede Geste zwangsläufig «Bedeutung» erhält. Dass innerhalb von zwei Stunden mehrere gute Gesten (und manche weniger gute Manierismen, wie den «unglaublich verrückten» Tanz) gelangen, verwundert daher nicht.

Dennoch liegt es nicht an Phoenix, dass der Film sein Versprechen nicht einhalten kann. Es liegt am Film selbst. Er weiß nicht, was der Joker will. Über diesen gänzlichen Mangel an Motiven für das Handeln der Figur soll ironischerweise das Handeln der Figur hinwegtäuschen. Ist er politischer Aktivist? Welche Werte vertritt er? Und wenn er keine Werte vertritt – weswegen? Man erinnere sich dagegen an den ungleich verrückteren Joker von Heath Ledger.

Männlich, jung, weiß

Er handelte chaotisch, weil er selbst das Chaos war. Man wusste, dass die Unberechenbarkeit in der Lust an der Unberechenbarkeit begründet liegt. Fleck, der Psychotiker, ist natürlich ebenfalls chaotisch, aber eben nicht unberechenbar. Als er die U-Bahn-Schläger tötete, meldete sich sein Gewissen (ein Dämpfer für jedes filmische Porträt eines Soziopathen- und ein No-Go für den Joker). Er ist stets Moralist, der in den Kategorien von Schuld und Sühne verhaftet bleibt. Er empfindet zudem Liebe für eine Frau und sehnt sich nach seinem Vater und zwischenmenschlicher Geborgenheit.

Was macht die Figur denn nun so «problematisch», wie das Feuilleton gerne schreibt? Die Antwort ist relativ einfach: er ist männlich, jung, weiß und aggressiv. That’s it. Nicht seine fehlenden Ziele sind das «Problem». Auch nicht seine Anhängerschaft, die in dieser Lesart wohl die Rolle des «Wutbürgers» einnehmen soll und bei der man sich ständig fragt: weswegen folgen Tausende Menschen einem als Clown kostümierten unfreiwilligen Mörder, der sich nicht einmal zu seinen Motiven äußerte?

«Clown, Mörder, voll geil» reicht als Erklärung nicht annähernd aus, um diese «Follower» zu verstehen – aber irgendwie ist es wohl «sozialkritisch» und daher grundsätzlich geistreich. Nein, problematisch sind seine ethnische Herkunft, sein Geschlecht und seine damit verbundene «Toxizität», die nur durch sein permanentes Hadern damit für das Feuilleton genießbar wird.

Taxidriver

Viele Kritiker verglichen den Film mit Taxidriver – nicht ohne die Euphorie, nun einen eigenen Taxidriver, der dieser Generation entspricht, bekommen zu haben. Natürlich gibt es Parallelen zwischen diesen beiden Filmen. Nur dass einer aus sich selbst heraus schöpfte, während der andere, nun ja, ein «Taxidriver» sein möchte. Natürlich eine modernisierte Version.

Dementsprechend lebt er – neben den genannten küchenpsychologischen Klischees und «sozialkritischen» Andeutungen – vom Zitat. Genau hier, im Originalfilm, liegt der unüberwindbare Konkurrent, der Phoenix im Film selbst fehlte. Und hier stellt sich natürlich die Frage: Was treibt jemanden dazu, einen guten Film weitestgehend zu kopieren? Sicherlich die Fantasielosigkeit des heutigen Hollywoods, das in politisch korrekten Überarbeitungen vergangener Klassiker seine neue Daseinsberechtigung gefunden hat.

Von Star Wars über Terminator bis hin zu den Ghostbusters: nichts entgeht dem Stift des filmischen Nachwuchses, der ja schließlich auch «irgendwie» kreativ sein möchte. Man wähnt sich moralisch «weiter» als die vorige Generation – und vergeht sich ausgerechnet an deren Stoffen, weil man selbst vor lauter Tugend und moralinsaurem Sendungsbewusstsein keine zerebralen Reserven für eigene Ideen mehr hat.

Das ist sicherlich ein Grund für die Nachahmung alter Filme: bekannte Rezepte mit ordentlich politisch korrektem Salz zu verkochen, um ein möglichst geringes Risiko einzugehen (wäre die Hauptfigur nicht der «Joker», wäre wohl nicht 1/10 der Einnahmen erwirtschaftet worden).

Aber es ist nicht der einzige Grund. Natürlich hat jeder Filmemacher den unausgesprochenen Glauben, es besser zu machen. Das «Zitat» ist nur vordergründig eine Reminiszenz. Travis Bickle war noch nicht verrückt genug – wir haben noch einen viel Verrückteren! – schreit einem der Film entgegen, auch wenn es nicht stimmt. Das heutige Hollywood erinnert darin an die Ursprünge der Wolkenkratzerarchitektur: größer muss es sein, weil wir es besser nicht mehr hinkriegen. Bis man vor lauter CGI-Effekten den Film nicht mehr sieht. Oder eben wie beim Joker: bis man vor lauter «Komplexität» der Hauptfigur die Handlung vergisst.

Es zieht sich hin – ohne gute Dialoge, ohne geschlossene Handlung, ohne Travis Bickle. Wie ein einzelner Ton, der in die Länge gezogen wird und als Konzert vermarktet wird. Dass man auch ohne Handlung hervorragende Filme schreiben kann, zeigt der Mitbewerber Quentin Tarantino, der ein Meister darin ist, aus der Summe seiner Einzelteile ein geschlossenes Werk zu schaffen. Nichtsdestotrotz sei Phoenix, der sich schon oft genug als hervorragender Schauspieler bewies, der Oscar gegönnt. Aber nicht für diesen Film.

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