Gesichtet

Karlsruhe schützt das Recht

Das Bundesverfassungsgericht schützt das Recht in der Machtordnung der Sieger seit 1949. Dadurch wird der Meinungsfreiheit ein positives Zwangsnormenkorsett verpasst.

Für Carl Schmitt stand fest, dass alles Recht „aus dem Lebensrecht des Volkes“ stamme und „jedes staatliche Gesetz, jedes richterliche Urteil (…) nur soviel Recht (enthält), als ihm aus dieser Quelle zufließt“. Damit sah der Staatsrechtler in seinem zu falsch verstandener Berühmtheit gelangten Aufsatz „Der Führer schützt das Recht“ den unmittelbaren Vorrang des Naturrechts gegeben.

Dieser Aufsatz war am 1. August 1934 in der Deutschen Juristen-Zeitung als deutliche Kritik an den unter dem Siegel der „Staatsnotwehr“ gerechtfertigten staatlichen Morden an den Beteiligten des so genannten „Röhm-Putsches“ erschienen. Die nationalsozialistische Reichsregierung hatte eigens ein „Gesetz u?ber Maßnahmen der Staatsnotwehr“ erlassen, in dessen einzigem Artikel es hieß: „Die zur Niederschlagung hoch- und landesverräterischer Angriffe am 30. Juni, 1. und 2. Juli 1934 vollzogenen Maßnahmen sind als Staatsnotwehr rechtens.“

Damit schützte Hitler aus Sicht Carl Schmitts „das Recht vor dem schlimmsten Mißbrauch“, weil er „kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht“ geschaffen hatte. Die Justiz sah Schmitt dadurch in einen „Zurechnungsbetrieb“ verwandelt, „auf dessen von ihm berechenbares Funktionieren der Verbrecher ein wohlerworbenes subjektives Recht hat. Staat und Volk aber sind in einer angeblich lückenlosen Legalität restlos gefesselt“.

Fesselung durch lückenlose Legalität

Für die Nationalsozialisten gingen diese Äußerungen über das erträgliche Maß an Kritik weit hinaus. Nur aufgrund guter Kontakte und seines hohen Ansehens im In- und Ausland war Schmitt vor einer Verfolgung einigermaßen sicher. Was Schmitt mit der Fesselung durch eine lückenlose Legalität meinte, ist insbesondere von seinen Kritikern im bundesrepublikanischen Zeitalter willentlich nicht oder falsch verstanden worden.

Denn sie besteht per se in jedem Staat, der sich auf das von ihm geschaffene Recht gründet. Das bis zum Erbrechen zitierte Böckenförde-Theorem von den Voraussetzungen des freiheitlichen Staates, die er selbst nicht garantieren könne, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies in der Bundesrepublik Deutschland nicht anders ist.

Was ist mit dem persönlichen Gewissen?

Was der Bundestag als Gesetz beschließt, das ist geltendes Recht – ganz unabhängig davon, ob es – wie in den wenigsten Fällen – mit dem Naturrecht übereinstimmt. Eine solche Rechtssetzung wird auch vom Bundesverfassungsgericht betrieben. Sie ist deshalb als problematischer anzusehen, weil sie letztbegründenden Charakter hat. Was Karlsruhe sagt, das gilt. Wie das Fernseh-Urteil von 1961 beispielhaft gezeigt hat, kann sich dem nicht einmal die Bundesregierung widersetzen, selbst wenn sie es wollte.

Deshalb sind es nicht nur die mehr als 50 Entscheidungen des Gerichts, die sich in den letzten Jahrzehnten mit der Meinungsfreiheit beschäftigt haben, die das positive Zwangsnormenkorsett stärken. Prinzipiell ist jede Entscheidung des Gerichts dazu geeignet, einem positiven Recht zur Geltung zu verhelfen, das jeden Bürger in der Wurzel seiner Freiheit bedroht, seine Meinung nicht nur zu äußern, sondern diese Äußerungen auch in konkretes Handeln umzusetzen.

Bundesverfassungsgericht beschränkt die Meinungsfreiheit

In der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts gibt es zwei Bereiche, in denen dies in besonders prägnanter Weise deutlich wird. Als erstes sind hier die beiden Entscheide zum Schwangerschaftsabbruch zu nennen (BVerfGE 39,1 vom 25.02.1975 und BVerfGE 88,203 vom 28.05.1993). Darin machte das Gericht zwar deutlich, dass gegenüber dem ungeborenen Leben im Mutterleib eine Schutzpflicht des Staates besteht und der Lebensschutz der Leibesfrucht höher einzuschätzen ist als das Selbstbestimmungsrecht der Mutter.

Jedoch stellte das Gericht dem Gesetzgeber gleichzeitig einen Freifahrtschein aus, den Mord des ungeborenen Lebens unter Straffreiheit zu stellen, wenn die Schwangerschaft unzumutbare Belastungen für die Mutter bedeutet. Was unzumutbar ist, entscheidet dann der Gesetzgeber und es sind mitnichten nur gesundheitliche Risiken, die den Mörder eines Kindes im Mutterleib straffrei davonkommen lassen. Denn im Zuge dieser beiden Entscheidungen des Verfassungsgerichts ist in Deutschland die so genannte Beratungslösung entstanden. Eine Abtreibung bleibt dann straffrei, wenn zuvor eine qualifizierte Beratung der Mutter stattgefunden hat, was aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts im Einklang mit der Verfassung steht.

Das Recht auf Abtreibung

Jede Frau hat deshalb einen Rechtsanspruch auf Abtreibung, wenn sie sich entsprechend der gesetzmäßigen Erfordernisse zuvor hat beraten lassen. In diesem Zusammenhang macht gerade der Fall des Chefarztes eines Krankenhauses im niedersächsischen Dannenberg bundesweit Schlagzeilen. Aus religiösen Gründen weigerte sich dieser, nicht nur selbst, sondern auch von anderen Ärzten in seinem Krankenhaus Abtreibungen durchführen zu lassen. Der Klinikbetreiber sah dies nicht als gerechtfertigt an und wollte den Arzt dazu zwingen, Abtreibungen in seinem Krankenhaus zuzulassen, weshalb dieser das Krankenhaus nun wieder verlässt.

Dem Arzt bleibt es aufgrund der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung damit verboten, aus seiner wohlbegründeten Meinung, dass Abtreibungen Mord sind, in seinem Berufsalltag die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Diese Konsequenzen bleiben aufgrund höchstrichterlicher Entscheide auch in einem anderen Bereich in weiten Teilen verwehrt.

Der richtige Blick auf die Geschichte

Gemeint ist die deutsche Geschichte zwischen 1933 und 1945. Den Prinzipien der Charakterwäsche folgend, ist es seit Gründung der Bundesrepublik gesetzlich im Volksverhetzungsparagraphen verboten, an den offiziell anerkannten Ergebnissen der Geschichtsschreibung zu dieser Zeit zu zweifeln. So kann dann beispielsweise die Behauptung, dass die Regime Stalins und Hitlers den gleichen Prinzipien folgten, schnell als Verharmlosung des Nationalsozialismus und insbesondere seiner jüdischen Opfer ausgemacht und als Volksverhetzung strafrechtlich verfolgt werden.

In der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird hier deutlich, dass es kein linkes Hirngespinst ist, in den offenkundigen Parallelen zwischen nationalem und internationalem Sozialismus eine Verharmlosung von ersterem zu sehen. Denn das Gericht sieht die Bundesrepublik Deutschland als „Gegenentwurf“ zu dem „sich allgemeinen Kategorien entziehenden Unrechts und des Schreckens, die die nationalsozialistische Herrschaft über Europa und weite Teile der Welt gebracht hat“.

Eine historisch objektive Erforschung der deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945 kann dann mit höchstrichterlicher Genehmigung unterbunden werden, wenn sie nur den leisesten Zweifel an der offiziellen Sichtweise auf diese Zeit aufkommen lässt. Mancher könnte hier wohl versucht sein, Karlsruhe die Billigung einer Staatsnotwehr zu unterstellen. Aber pssst, das ist tabu.

(Bild: Carl Schmitt)

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Jahrgang 1986, hat Soziologie und Politikwissenschaft studiert und lebt als selbständiger Autor in Köln. Für die Schriftenreihe BN-Anstoß hat er bereits zwei Bände beigesteuert: Geopolitik. Das Spiel nationaler Interessen zwischen Krieg und Frieden (2015). Sowie: Die ganze Wahrheit. Meinungsfreiheit als Herrschaftsinstrument (2016).

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