Gesichtet

(K)eine Bierrevolution in München

Das Bier und München. Zwei Dinge, die anscheinend untrennbar zusammengehören. Im Zuge der „Corona-Pandemie“ hatte sich jedoch die Stadt München zuletzt etwas ganz Feines ausgedacht. Sobald der 7-Tage-Wert über die magische Zahl von 35 Neuinfizierten auf 100.000 Einwohner steigen sollte, wäre mit Bier, beziehungsweise Alkohol in der Öffentlichkeit ab 23 Uhr Schluss.

Nun lässt sich der Münchner doch so einiges gefallen. Aber sein Bier will er dennoch nicht missen. Als also am 27. August Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) die partielle Prohibition ausrief, ließ die erste Klage seitens eines Münchners nicht lange auf sich warten. Schließlich entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, ein derartiges Verbot sei der aktuellen Situation nicht angemessen. Auch in Zukunft darf der Münchner entscheiden, wann und wo er sein Bier trinkt.

Das Maß ist voll

Dass der Münchner indes sehr viel Wert auf sein „täglich Brot“ oder eben Bier legt, ist sicherlich keine neue Erkenntnis. Vielmehr hat der Kampf um dieses Recht lange Tradition.

Begonnen hat alles am 1. Mai 1844. Der Soldat Korbinian Stiglmayer saß wie gewöhnlich im Wirtshaus Maderbräu abends vor seiner Maß Bier. Als dann aber die Zeche zu zahlen war und der Wirt statt den üblichen Fünf Kreuzern sechseinhalb haben wollte, war für Stiglmayer das Maß voll. Seinem lautstark vorgebrachten Zorn schlossen sich sogleich einige der anderen Gäste an und verarbeiteten kurzentschlossen die Inneneinrichtung des Maderbräus zu Kleinholz.

Am selben Tag, einige Stunden zuvor, hatte der bayerische König Ludwig I. den Bierpreis aufgrund einer Rohstoffknappheit um einen Pfennig erhöht. Der ebenfalls kurz zuvor erhöhte Brotpreis wurde von den Untertanen – wenn wohl auch zähneknirschend – akzeptiert. Irgendwo hört aber ein jeder Spaß auf. Und bei den Münchnern eben beim Biere! So entlud sich der Volkszorn tags darauf in der ganzen Stadt. Tausende Münchner zogen durch die Straßen und verwüsteten die städtischen Brauereien. Die Polizei, die mit der Situation völlig überfordert war, rief um Hilfe. Und auch der König hielt von den Bierkrawallen nur sehr wenig und schickte kurzerhand das Militär in die Stadt.

100 Tote bei Bierkrawallen

Die dazu abgestellten Soldaten dachten aber gar nicht daran gegen die stinksauren Münchner Bierrebellen vorzugehen. Schließlich sind auch Soldaten stets durstig und nie gut besoldet. Dennoch forderte der Aufstand rund 100 Tote.

Friedrich Engels sah in Bayern schon die kommunistische Revolution ausbrechen, als er im Mai 1844 erfreut bemerkte, dieser Aufstand würde dem Volk vor Augen führen, „dass es ebenso einfach ist, ihr [der Obrigkeit] auch bei wichtigeren Angelegenheiten das Fürchten zu lehren“. Diese Einschätzung hätte falscher gar nicht sein können. Die katholisch-konservativen Münchner liebten ihren König. Das sollte bis zum Ende der Monarchie 1918 so bleiben. Nur wann immer die Obrigkeit meinte, sich beim Bier einmischen zu müssen, hörte für die Bewohner der bayerischen Residenzstadt traditionsgemäß der Spaß auf. Vom Kommunismus wollte man indes nur wenig wissen dieser Tage.

Die „erste Bierrevolution“ – wie sie später genannt wurde – war auf jeden Fall erfolgreich. Am 5. Mai lenkte der König ein und nahm die Erhöhung des Bierpreises zurück. Im Oktober wurde auf Betreiben Ludwig I. im Münchner Hofbräuhaus (seit jeher Eigentum der bayerischen Obrigkeit) sogar der Bierpreis von sechseinhalb auf fünf Kreuzer gesenkt, „um dem Militär und der arbeitenden Klasse einen gesunden und wohlfeilen Trunk zu bieten“.

Auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten sollte das Bier in allen Revolten eine zentrale Rolle spielen. Schließlich war der Auslöser der deutschen Revolution von 1848 in München eine Bierpreiserhöhung. Mein ehemaliger Geschichtslehrer – ein Nordlicht, wie er im Buche steht – meinte dazu nur naserümpfend: „Während ganz Deutschland für Bürgerrechte und Demokratie auf die Straße ging und zu den Waffen griff, hatten die Münchner mal wieder nur ihr Bier im Kopf.“ Ein wohl etwas überspitztes, aber nichtsdestotrotz zutreffendes Urteil.

Revolution im Bierkeller

1888 kam es zu einer erneuten Bierrevolte und auch die sozialistische Revolution in München von 1918 nahm ihren Ausgang in einem Bierkeller. Auch soll nebenbei hier „der Russe“ (Weißbierradler) erfunden worden sein. Die Revolutionsführer wollten keine betrunkenen Revolutionäre. Daher ordneten sie einfach an, das Weißbier, welches natürlich nicht fehlen durfte, mit Zitronenlimonade zu „strecken“. Und weil unsere Münchner Räteliebhaber die Sowjets zum Vorbild hatten, also selber irgendwie Russen waren, wurde bald das von ihnen bevorzugte Getränk so genannt.

Der vorerst letzte Akt dieses Lustspiels sollte das Jahr 1995 bilden. Die sogenannte „Biergartenrevolution“ entzündete sich an einem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, das die Sperrstunde für Biergärten auf 21 Uhr vorzog. Anwohner hatten sich über Lärmbelästigung beschwert. Am 12. Mai zogen rund 25.000 Münchner durch die Stadt und forderten die Revision des Urteils. Zuvor hatten Biergartenbesitzer und Brauereien zum Protest aufgerufen. Für den Erhalt der Biergartenkultur! Eine Woche später erließ die Bayerische Staatsregierung die „Bayerische Biergartenverordnung“, in der die Sperrstunde auf 23 Uhr festgeschrieben wurde.

Die Frage ist nur, ob sich auch heute wieder genug zornige Münchner finden würden, um ein solches Spektakel zu veranstalten. Und auch wenn sich die Frage aktuell wieder erledigt hat, würde ich es doch stark bezweifeln, dass in den heutigen „Isarpreußen“ noch genug Krawall steckt, um eine Rebellion gegen „die da oben“ anzuzetteln – auch wenn Bier irgendwann doch noch ganz verboten werden sollte. Denn die nächste Grippewelle kommt gewiss!

(Bild: Pixabay)

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