Gesichtet

Konservative Hipster

Der Hipster ist seit jeher Todfeind des konservativen Denkens. Doch die Subkultur ist im Wandel begriffen.

Der Begriff des Hipsters entstand in den 1950er Jahren in den USA. Doch wie so vieles hat die jugendliche Subkultur ihren Ursprung im Europäischen. Bereits im 19. Jahrhundert sind erste Auswüchse einer avantgardistischen Gegenbewegung zum „spießigen“ Leben des typischen Bürgertums zu beobachten. Auch der Begriff des Dandys, oder des deutschen Gegenstückes des „Stutzers“ könnte bereits im 18. Jahrhundert als Startschuss für eine progressive Jugendkulturbewegung gesehen werden, damals noch unter Adligen oder Neureichen. Merkmal des Hipsters war und ist, eine typische Antihaltung zu allen althergebrachten, etablierten und standardisierten Lebensformen ihrer Zeit.

Dementsprechend lebt das Hipstertum eine kulturelle Symbiose mit der politischen Linken, sei es das blasierte Auftreten junger Fürsten in, damals noch zarter, Opposition gegen der ihnen zugedachten Verantwortung, die modische, musikalische oder künstlerische Revolution der Beatgeneration, oder eben das moderne Hipstertum in vollendeter Form durch radikal-linkes Denken, unbegrenzten Konsum oder zwanghafte Re-Definition des eigenen Ichs. Hipster waren und sind facettenreich und nähren sich aus dem aufgeladenen Gegensatz zum Etablishment. Doch was passiert, wenn die Gesellschaft schon so „hip“ ist, dass man sich nicht mehr abgrenzen kann? Ein bemerkenswertes Phänomen ist zu beobachten.

Konservativer Filterkaffee?

Vergangene Woche besuchte ich einige Freunde. Man saß morgens beisammen, die meisten stinknormale Studenten verschiedenster politischer Ansichten, doch alle weit vom Hipstertum entfernt. Man bot mir einen Kaffee an, ich akzeptierte dankend. In der Küche hörte ich das elektrische Geräusch einer vollautomatischen Senseo-Pad-Maschine, das einem kleinen Düsenflieger glich. Ich rief spaßhaft hinein, dass ich gerne einen echten Kaffee hätte und keinen Hipsterscheiß. Nach einigen Minuten brachte mir ein erstaunter Freund den Kaffee und fragt mich, was denn echter Kaffee wäre. „Den mit Filter und Kaffeepulver eben“, antwortete ich. Er stutzte, verdrehte die Augen und klärte mich auf: „Jeder normale Mensch hat heute eine Pad-Maschine, nur Hipster kochen sich alten Filterkaffee.“ Verstört und als halber Hipster gebrandmarkt nippte ich am nervigen Schaum meiner viel zu kleinen Tasse.

Könnte es also sein, dass die gesamte Gesellschaft mittlerweile so technisch-progressiv ist, dass hippe Studenten wieder zum Konservativen greifen? Der Gedanke scheint gar nicht so abwegig. Denn in Zeiten, in denen Opa mit seinen Enkeln whatsappt und Frauen im mittleren Alter mit Plunderhosen, Bubikopf und iPhone durch die Gegend stolzieren, ist es für den geltungssüchtigen Studenten in seiner Rebellionsphase gar nicht mehr so leicht sich abzugrenzen und die Spießbürger zu belächeln. Also greift er zum Althergebrachten um sich irgendwie selbst zu definieren. Hier erkennt man die eigentlich treibende Kraft des Hipstertums: Diese ist eben nicht, wie man auf den ersten Blick vermutet, links und progressiv, sondern gründet sich, im Kern der Sache, auf einer reinen Antihaltung gegenüber dem Mainstream. Und hat dieser Mainstream die klassischen linken und eigentlich hippen Themengebiete besetzt, muss man ausweichen und wendet sich ins Konservative.

Vollbart, Schallplatte und Wehrmachtsfrisur

Einige Beispiele für die verkehrte Welt: Vollbärte und karierte Hemden, die ursprünglich von Holzarbeitern angezogen wurden. Zwar karikieren sich die heutigen Träger zumeist selbst, doch erkennt man zumindest eine Annäherung am traditionell Maskulinen. Ebenso gibt es mittlerweile einen ausgeprägten Trend zur Klingenrasur mit dem Messer. Auch im Konsum ändert sich einiges: Whiskey und Zigarren kommen langsam zurück und verbannen süße Fruchtcocktails und Shisha zu den jüngeren Semestern. Nach Jahren des musikalischen Fortschrittes, über Kassetten, CD-Spieler und MP3 greifen viele alternative Jugendliche zur Schallplatte.

Auch eine erstarkende Naturbindung, die sich im Wandern und Ausflügen manifestiert, kann beobachtet werden. Zwar fehlt noch das passende Liedgut, aber mir nichts dir nichts ist man 100 Jahre in der Zeit zurückgereist. Auch die Décroissance-Bewegung (Wachstumsrücknahme), die in Band II der BN-Schriftenreihe thematisiert wurde, ist ein Signal der konservativen Hipster. Man will im Einklang leben, keinen Raubbau betreiben. Auch über den Umweg des Umweltschutzes kommt man zum gleichen Ergebnis: Kachelofen und Holzkamin, Pelletheizung, Gartenfläche, Bio-Ernährung und Fahrradfahren entscheiden sich deutlich vom progressiv-technisierten Hauptstrom. Die Füße stecken in Stricksocken, Hornbrillen aus den 50ern unterstützen die Sehkraft. Lange Haare bei Männern werden immer weniger. Der „Undercut“ bestimmt das Bild der hippen Jugend. Ehemals Zeichen der englischen Arbeiterklasse, wurde der Haarschnitt vor allem im Dritten Reich populär.

Gegenentwürfe zum Fortschrittsglauben

So könnte man sich vorstellen, dass der Konservatismus einmal durch die Lebensweise des jungkulturellen Hipstertumes gerettet wird. Zumindest in Teilen. Nicht weil junge Menschen die Vorzüge eines bodenständigen Lebensstiles erkennen, sondern aus alleinigem Abgrenzungsdenken vom Normal-Michel. So erkennt doch die Jugend immer als erstes, wann die Gesellschaft im Wandel begriffen ist und formt diese in hohem Maße mit. Falls die Rechten und Konservativen weiterhin auf verlorenem Posten kämpfen werden, könnte zumindest ein Teil ihrer Anliegen als alleinige Trotzreaktion der Jugend etabliert werden. Zwar wird keineswegs die Gesamtagenda der Konservativen attraktiver, doch bilden sich zumindest Gegenentwürfe zum exponentiellen Fortschritt der breiten Gesellschaft. Und sei es auch nur der gute Filterkaffee, der aus vollbärtigen 6er-Wohngemeinschaften duftet.

Wer weiß, vielleicht folgt der politische Konservatismus auf einen bodenständigen Lebensstil. Doch größere Bedeutung als einen Notnagel sollte man in diesem Szenario nicht sehen. Eine rebellische Jugendbewegung gegen die Symbiose aus kulturmarxistischer Theorie und kapitalistischer Praxis könnte wie eine metaphysische Heilkraft zwar die Waage der Gesellschaft wieder ins Gleichgewicht bringen, würde allerdings Jahrzehnte brauchen. Wenn überhaupt … Und das ist Zeit, die wir in Deutschland kaum haben werden.

(Bild: Pixabay, gemeinfrei)

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