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Kraftklub versus 1000 Robota

Chemnitz ist eine kleine Noch-Großstadt deutlich oberhalb des Äquators, nur unwesentlich westlich der Oder-Neiße-Linie und definitiv direkt neben Zwickau, in der momentan jeder mit den fünf Jungens von Kraftklub verwandt sein will. Irgendwer kennt immer irgendwen, dessen Bruder mal mit einem von Kraftklub ein halbes Bier trinken war, zumindest weiß es der Arbeitskollege vom Neffen des Meerschweins seines Großcousins mütterlicherseits.

Das Debütalbum „Mit K“ schoß aus dem Nichts auf Platz eins sämtlicher nur denkbarer Charts. Der lustige Linus Volkmann führt das Phänomen in seinem Hausblatt Intro auf drei Gründe zurück: Den griffigen Stabreim im Namen, die Attitüde genau in der Mitte zwischen „juvenilem Suffkopptum“ und „bemühte[n] Nerdkasper[n]“ und eben der Tatsache der Abkunft aus Karl-Marx-Stadt. Richtig, Karl-Marx-Stadt und eben nicht Chemnitz. Sänger Felix Kummer („The Voice of East-Germany“) betreibt auf den Konzerten regelmäßig Massenhypnose:

Heute abend sind wir alle aus Karl-Marx-Stadt!

Er schreit es mit seiner komisch gepreßten Stimme und von Hamburg bis München finden das alle unheimlich cool. Volkmann nennt das „Sloganeering“ und stellt es in den Kontext der wesentlichsten Grundaussage der Band: Irgendwie war alles schon mal da und wenn jemand eine kolossale Jugend hatte, dann unsere Eltern. Deren Kinder, also die jetzt Zwanzigjährigen, leben in Zeiten von restaktiver Postmoderne und Globalkultur, die einfach alles nivelliert. Es gibt keine neue Botschaft mehr, meinen sie und legen die Hände lässig in den Schoß, weil einfach alles Pop ist. Deswegen kann auch alles verschlagwortet werden, selbst der seit zwanzig Jahren zu den Akten gelegte Name Karl-Marx-Stadt, der wie kein zweiter für die gescheiterte Utopie des Sozialismus steht. Und auch das ist irgendwie noch lustig und cool. Hatten wir ja nix mit zu tun.

Kraftklub machen aber in Wirklichkeit überhaupt nichts besonders und sind damit trotzdem unheimlich erfolgreich, einfach, weil sie hammerharten Konsens produzieren. Vermeintliche Ecken und Kanten der Provinz-Kids sind einfache Verkaufsmaschen, auch, wenn das die Fans natürlich anders sehen wollen. Das Konzept hat einen Haken: Musik, die dem Motto folgt „Nichts Originäres mehr möglich, bleiben wir unkreativ!“ klingt auch so. Ihr einziger Bonus und das wahrscheinlich ausschlaggebendste Moment ihres Erfolges beruht auf ihrer unspektakulären, ja randständigen Herkunft. Die Chemnitzer Fans lieben Kraftklub, weil sie vormachen, es ist auch als Provinz-Kid möglich, ganz groß raus zu kommen (The American Dream). Alle anderen Fans lieben die Band, weil sie aus einer irgendwie kuriosen Stadt kommt, in der irgendwie noch immer DDR ist. Kraftklub verkörpern zumindest nach außen etwas, mit dem sich jeder gern identifizieren will: den schnellen und steilen Aufstieg, den wirklichen Erfolg, der auf „echtem Engagement“ beruht, einem „nicht zu brechenden Willen“ und einer „Vision“.

Daß das Musik-Business aber ganz, ganz anders ist, dokumentiert der am 4. Mai auf DVD erscheinende Film Utopia Ltd. Genau wie Kraftklub sind 1000 Robota zunächst eine aufstrebende, deutschsprachige Band. Der Film handelt vom steinigen Weg nach oben, der sich für 1000 Robota trotz des anfänglich großen Medien-Echos und mittlerweile drei Platten nicht in vergleichbarem Maße lohnt, wie für die fünf Konsens-Herren aus Chemnitz. Frontmann Anton Spielmann ist kein Milchbubi vom Schlage Kummers. Wenn er von Visionen spricht, dann glaubt man ihm das. Kraftklub machen eine „Tugend“ aus der Feststellung, daß nichts Neues mehr zu sagen ist. Spielmann, der Urtyp des klugen Rüpels, im Film auf denselben Zusammenhang angesprochen, lacht und bringt die Rolle seiner Band mit für ihn typischer Präzision auf den Punkt:

Wir wollen Entstehung verursachen und nicht erinnern.

Utopia Ltd. zeigt den Weg einer Band, die genau wie Kraftklub eine Zusage für den Bundesvision Songcontest hatte, aber aus Ekel nicht hingegangen ist. Er zeigt das Portrait einer Band, die statt von Party von Sprachlosigkeit singt, die die Kafka-Attitüde kultiviert, die ein Lied gegen die widerwärtige Moralisierung aller Debatten in Deutschland geschrieben hat, eine Band, die so viele Ecken und Kanten hat, daß es nur Befürworter oder Gegner gibt. Der Film zeigt, wie 1000 Robota um ein Haar von den Klopphölzern eines Indy-Labels verheizt worden wäre:

Hauptsache einen Gig nach dem anderen spielen, egal in welcher Kaschemme, Hauptsache glamourös, egal, was ihr zu sagen habt, egal, was ihr macht, Hauptsache, wir können mit Eurem Scheiß unser Team bezahlen.

Der verzweifelte Anton Spielmann spricht Leute vor dem Konzerthaus an, weil ihm vom Label wieder ein Sinnlos-Konzert ohne Gäste gebucht worden ist, bei dem er nicht wieder vor drei Leuten spielen will. Die vom Veranstalter versprochene Gage will er um 100 Euro verringern, um noch vierzig Leute auf die Gästeliste zu bekommen, also das Publikum wenigstens mit freiem Eintritt zu locken. Doch umsonst. Der Angesprochene versteht Spielmanns „Wir spielen Wave-Punk“ als „Rave-Punk“ und hat überhaupt keine Lust. Es laufen noch fünftausend andere Konzerte in dieser Nacht. Spielmann gibt nicht auf:

Wir spielen Wave-Punk, so wie Joy Division.

Darauf hat der Partygänger aber nun wirklich „überhaupt keinen Bock“. Zeilen wie „Intelligenz setzt unsere Trends“ oder „Sag‘ den Dummen nicht, daß Du schlauer bist“, wären in der Tat auch nichts für ihn gewesen.

Utopia Ltd. ist ein großartiger Film über die wichtigste deutsche Nachwuchsband. Er wirft ein grelles Licht auf ein riesengroßes, um sich selbst rotierendes Business, das sich jede Nachfrage erst künstlich erzeugen muß. Ein Business, das vor allem eines macht: junge Talente verschleißen.

Utopia Ltd. Ein Dokumentarfilm von Sandra Trostel. Rapid Eye Movies, 2012.

httpv://www.youtube.com/watch?v=9C9YcG_Ovso

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