Anstoß

Liebe und Politik

Die Verächter der Liebe meinen mit Nietzsche: „Von der Liebe haben die Menschen im ganzen deshalb so emphatisch und vergöttlichend gesprochen, weil sie wenig davon gehabt haben und sich niemals an dieser Kost satt essen durften: so wurde sie ihnen Götterkost.“

Nietzsche in allen Ehren: Einer der schwersten Vorwürfe, die man machen kann, ist immer noch der der Lieblosigkeit. Dabei kommt die Lieblosigkeit der Heutigen nicht von ungefähr, sondern hat etwas mit unserem Zeitgeist zu tun. Liebe gilt als unsachlich. „Liebe ist genau wie Hass ein schlechter Berater“ heißt es. Überhaupt wird Liebe auf die rein persönliche, auf die Privatsphäre des „Liebeslebens“ verwiesen. „Liebe“ lasse sich grundsätzlich auch auf Gefühle reduzieren. Insbesondere „romantische Anwandlungen“ werden als der beste Beweis dafür angeführt, dass Liebe in Politik und Gesellschaft nicht das Geringste zu suchen hat.

Falscher Gegensatz von Innerlichkeit und Sachlichkeit

Das ist auch die Meinung vieler Rechter. Der Grund der Schmähungen, die die Liebe immer wieder erfährt, ist schnell ausgemacht: es ist die ausgesprochene Abneigung unseres Zeitalters gegen jede Form von Innerlichkeit. Innerlichkeit gilt für unsachlich und umgekehrt. Dabei ist die „Sachlichkeit“ unserer lieblosen Zeitgenossen nichts anderes als Oberflächlichkeit, Äußerlichkeit und Flachheit. Oftmals handelt es sich bei dieser „Sachlichkeit“ sogar um pure Effekthascherei, um bei gleich tickenden Menschen Eindruck zu schinden.

Rechte sind nicht liebloser als die meisten Menschen. Die Lieblosigkeit ist ein strukturelles Merkmal unserer Gesellschaft. Es ist schwer, für viele sogar unmöglich, sich dieser strukturellen Lieblosigkeit zu widersetzen. Bernd Ahrbeck z.B. – ein hervorragender Erziehungswissenschaftler, der dem herrschenden Paradigma einer behavioristisch-pragmatistischen laissez-faire Selbsterziehungspädagogik die (Kultur-)Idee des „Bildungsideals“ entgegenhält – ist nicht darauf gekommen, dass Erziehung nicht nur etwas mit natürlicher Rangordnung, wie sie die „Generationen“ mit ihrem Schatz an Reife und Erfahrungswissen verkörpern, sondern auch mit Liebe zu tun hat.

Ohne Liebe keine Ganzheit, keine Gemeinschaft und keine Kultur

Ganz sachgemäß sieht Ahrbeck in der Erziehung eine genauso individuelle wie soziale Notwendigkeit. Gewiss. Aber über ein rein positiv gegebenes Rangordnungsverhältnis kommen wir damit nicht hinaus. Liebe ist ein entscheidendes Erziehungsmotiv. Liebe zieht, mehr als auf den Nutzen, auf Ganzheitlichkeit ab. Soll aber Erziehung „nur“ von Nutzen sein, darf man sie nicht Erziehung nennen.

Eine bloß nützliche Erziehung bringt nämlich weder die Ganzheitlichkeit des Individuums noch die Ganzheitlichkeit der Gesellschaft hervor. Gerade aber im Sinne von Ganzheitlichkeit sollte Liebe zumindest als Geleitmotiv der Erziehung, und zwar jeder Erziehung, auf der Hand liegen. Diejenige Erziehung, die jenseits jedweden kodifizierten Rechts auf Erziehung einem schon aus bloßer Gerechtigkeit zuteil werden müsste, wird selbst diesem noch rein formalen Gerechtigkeitsanspruch nicht gerecht, wenn es ihr an der für den Menschen notwendigen Liebe ermangelt.

Damit ist klar, dass das Grundverhältnis, in welchem Erziehung stattfinden soll, das der Gemeinschaft ist. Urbild der Gemeinschaft sind Familie und Volk, ihr gefestigter Geist tritt uns als Kultur gegenüber.

Vom Primat der Kultur …

Nicht nur in der Erziehung, auch in der Politik sollte der Gemeinschaftsbegriff höchste Bedeutung besitzen. Da, wo Gemeinschaft kein bloßes Schlagwort und auch kein aus Gewohnheit nachgeplapperter Allgemeinplatz ist, fügt sich die Politik dem Primat der Kultur. Dagegen: Es gibt keinen besseren Beweis für die Lieblosigkeit politischer Menschen, kurz Politiker, als die Verschlagwortung, Vereinseitigung, Sinnentleerung, Ablehnung oder Anfeindung des Begriffs der Gemeinschaft.

„Gemeinschaft“ ist dem Politiker ein Dorn im Auge: der Gemeinschaftsbegriff drückt für ihn eher ein der Realität jenseitiges Sollen als einen realpolitischen Tatbestand aus. Der durch die Gemeinschaft hindurchscheinende Liebesanspruch steht zudem der Realpolitik im Wege. Daher der nicht ganz unberechtigte Einwand des Politikers, Liebe habe sich aus der Politik rauszuhalten. Schließlich gehe es in ihr um Macht und Kampf und um Schlagabtausch, bei denen man sich einen kühlen Kopf bewahren müsse. Folglich haben weder die Liebe noch der Hass etwas zu suchen in ihr.

… zum berechnenden Verstand der Politikers

Ist Politik auch selbst nicht rational, d.h. rational im Sinne der klassischen Nationalökonomie, so begreift der Politiker sie doch als eine Unternehmung, welche einer zweckmäßigen Rationalisierung grundsätzlich fähig ist. Die Politik wird damit zum Pendant der Wirtschaft. Irrationalitäten wie die Liebe, aber auch die persönliche, unübertragbare und unnachahmliche Vortrefflichkeit, werden chirurgisch aus ihr entfernt.

Der Taktiererei und Planung wird stattdessen Platz gemacht, ein in sich geschlossenes System sozio-politischer Kausalität, in welchem allein das Kalkül funktioniert, aufgestellt. Liebe jedoch stört jegliches Kalkül. Zudem würde sie das rationale System von Politik und Politikwissenschaft genauso zerstören wie das rationale System der Wirtschaft samt dazugehöriger Wissenschaft. Der berechnende Verstand des Politikers tendiert daher von Natur aus dazu, die Liebe ganz weit weg von sich zu schieben. Ganz zuletzt – oder gar ganz zuerst – schickt er die Liebe in die Verbannung. Er will seine Kreise schließlich nicht gestört wissen.

Erfolgswahn eines bourgeoisen Typs

Wie man sieht, ist für den berechnenden Verstand des Politikers das Festhalten an den ursprünglichen Motiven weniger ausschlaggebend als die rationale Erforschung der Mittel im System zwecks Erlangung praktischer Erfolge. Die Erlangung des Erfolgs ist für ihn Selbstzweck. Diese Art von Politiker gehört damit einwandfrei zur Gattung der politischen Pragmatiker. Er ist damit ein bourgeoiser Typ. Der politische Pragmatiker hat die letzten Motive seines Handelns vollkommen aus den Augen und, damit, jegliches echte Interesse an ihnen verloren.

Stattdessen hat er stets mit einer, wenn auch noch so schäbigen, Erfolgsbilanz aufzuwarten. Die Liebe hingegen nimmt von derlei Kleinlichkeiten wie „Erfolgsbilanzen“ nicht die geringste Notiz. Für den politischen Pragmatiker jedoch gibt es nur Erfolgsbilanzen. Jeder noch so lächerliche Erfolg wird als solcher verbucht. Er wird mit äußerster Akribie aufgezeichnet. Es wird mit Verbissenheit an ihm festgehalten, anderen und sich selbst zum Beweis auf ihn hingewiesen, so als ob von ihm allein Wohl und Wehe bis hin zum Sinn des eigenen Daseins abhinge.

Dabei hängt es von der eigenen Redlichkeit – speziell der Boshaftigkeit des Gewissen – sowie desjenigen Willens, moralisch und auch physisch überleben zu wollen, ab, ob man bei Ausbleiben selbst des armseligsten Erfolgs verzweifelt sein Scheitern zugibt, oder aber sich Täuschungen und Selbsttäuschungen von Erfolg hingibt. Letzteres ist korrekt nur als Erfolgswahn zu bezeichnen.

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