Anstoß

Lobbyismus: Ein schwarzes Loch in Berlin

Lobbyismus ist auch in Deutschland ein Problem. Wie die Affäre um den CDU-Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor kürzlich wieder allzu deutlich zeigte, liegt hier noch vieles im Argen. Natürlich gehört Lobbyismus zu einer Demokratie und ist zunächst einmal auch nicht verwerflich. Die Einflussnahme auf die deutsche Politik durch Interessenvertreter muss nur in Bahnen ablaufen, die wenig oder gar keinen Spielraum für Zweideutigkeiten und Missbrauch lassen.

Nun wird im Bundestag wieder ordentlich Wind um das Thema Lobbyismus gemacht. SPD und FDP fordern ein verbindliches Lobbyregister und auch die Union – die sich immerhin seit Jahren gegen ein solches sperrt – signalisiert Gesprächsbereitschaft. Grüne und AfD fordern ebenfalls mehr Transparenz. Dazu gehört aber mehr als die Einführung eines verpflichtenden und einsehbaren Registers für Lobbyisten.

Lobbyismus ist in Deutschland durch das Grundgesetz geschützt. Und es gibt hierzulande schon seit 1972 eine ähnliche Variante eines Lobbyregisters. Nämlich die „Öffentliche Liste registrierter Verbände“, die vom Bundestagspräsidenten geführt wird. In der Anlage 2 der Geschäftsordnung des Bundestages sind die Richtlinien zur Registrierung der Interessenverbände, also der Lobbyisten angegeben. Genannt werden müssen Name und Sitz des Verbandes, die Zusammensetzung des Vorstandes und der Geschäftsführung, sowie die Mitgliederzahl, die Interessensbereiche des Verbandes und die Adresse der Geschäftsstelle.

Mehr Lobbyisten als Abgeordnete

Im ersten Quartal 2020 waren rund 2.200 Verbände registriert. Da aber die Definition eines „Verbandes“ relativ eng gehalten und die Registrierung freiwillig ist, darf die Liste als unvollständig gelten. Schätzungen gehen von ungefähr 5.000 Lobbyisten im politischen Berlin aus. Zudem hatten 2017 703 Lobbyisten einen Hausausweis des Deutschen Bundestages – gegenüber 603 Abgeordneten. Warum sollten sich Lobbyisten auch registrieren, wenn damit keinerlei Vorzüge für sie entstehen?

Die Frage also: Reicht das aus? Offenbar nicht. Das denken auch die deutschen Bürger. Eine Umfrage von 2015 ergab, 78 Prozent der Bürger wären für mehr Lobbykontrolle und ein verpflichtendes Register. Und auch der Vergleich mit anderen Ländern in Europa ist peinlich. Deutschland hat mit die schwächste Lobbygesetzgebung in der ganzen EU. „Selbst“ Länder wie Litauen oder Slowenien sind besser aufgestellt.

In der „Öffentlichen Liste“ fehlen neben allen finanziellen Hintergründen der Lobbyisten und deren Auftraggeber auch konkrete Angaben, zu welchen Themen und Gesetzen jeweils Lobbyarbeit betrieben wurde und wird und in welchem Umfang sie stattgefunden hat. Ebenso wird nirgendwo darüber Liste geführt, welcher Abgeordnete sich mit welchem Lobbyisten getroffen hat.

Der Fall Amthor

Auf der anderen Seite müssen auch die Abgeordneten mehr in die Pflicht genommen werden. Nebeneinkünfte der Parlamentarier sollten mit exakten Summen beziffert werden und vor allem wofür diese Nebeneinkünfte bezahlt wurden. Immerhin beziehen 22 Prozent (2018) der Mitglieder des Deutschen Bundestages teils erhebliche Summen aus diversen Nebentätigkeiten. Es reicht also nicht, wenn Herr Amthor angibt, dass er freiberuflich für eine Wirtschaftskanzlei tätig ist. Viel interessanter ist doch, was er genau für diese Kanzlei gemacht hat.

So schwach die Lobbyregelungen für den Bundestag sind, die Bundesregierung rückt diesbezüglich überhaupt keine Informationen heraus. Hier gibt es keine Liste von Interessensvertretern, die Kontakte zur Regierung unterhalten. Keine Listen über Treffen von Regierungsbeamten und Ministern mit Vertretern aus Wirtschaft und von NGOs. Es bleibt unklar, wer sich genau im Kanzleramt zu Kaffee und Kuchen mit der Chefin trifft.

Dieses Problem der absoluten Intransparenz wird noch dadurch verschlimmert, dass hier Interessengruppen über Berlin erheblichen Einfluss im EU-Rat und damit auf die europäische Ebene ausüben können und ihren Einfluss damit um ein Vielfaches steigern. Nebenbei, der EU-Rat unterliegt bis auf den heutigen Tag ebenso keinerlei Transparenzkontrolle bezüglich der dort geleisteten Lobbyarbeit – nicht zuletzt, weil die Bundesregierung sich seit Jahren erfolgreich querstellt. Die Kanzlerin ist wohl der Meinung, es gehe den Souverän, das deutsche Volk, herzlich wenig an, an wen sie deutsche Interessen hinter verflossener Tür verschachert. Wäre dem nicht so, hätten wir schon lange Einblick in diese Vorgänge.

Der Drehtüreffekt

Ebenso weigert sich die Bundesregierung eine verpflichtende Karenzzeit einzuführen. Die Karenzzeit bezeichnet die Zeitspanne, in der es einem ausgeschiedenen Mitglied der Regierung verboten ist, in der Privatwirtschaft zu arbeiten, um das in der Regierungszeit erworbene Wissen und die Kontakte in der freien Wirtschaft anzuwenden, vor allem im Bereich der Lobbyarbeit. Dieser Drehtüreffekt führt bei entsprechendem Ausmaß zu einer Verfilzung zwischen Wirtschaft, Lobbyverbänden und der Politik, die nicht im Sinne des Souveräns sein kann.

Aktuell gibt es für deutsche Minister und Regierungsbeamte keine verbindliche Karenzzeit. Vielmehr gilt seit 2015 die Regelung, dass sowohl Minister als auch Staatssekretäre anzeigen müssen, wenn sie eine Tätigkeit in der Privatwirtschaft aufnehmen wollen. Daraufhin wird geprüft, ob dies zu Interessenskonflikten führen könnte. Falls dem so wäre, könnte eine Karenzzeit von bis zu 18 Monaten ausgesprochen werden. Ganz schön viel „Wenn“.

Zu guter Letzt weisen keine bundesdeutschen Gesetze beziehungsweise Gesetzentwürfe einen legislativen Fußabdruck auf. Ein solcher Fußabdruck würde angeben, welche Gesetzespassagen in welchem Umfang von Lobbyisten (durch Anhörungen, persönliche Gespräche, Tagungen usw.) beeinflusst wurden und inwieweit der Einfluss sich im Text niederschlägt. Damit wäre es zu jeder Zeit ein Leichtes nachzuvollziehen, wie die deutsche Politik arbeitet und ob sie ihrem Auftrag, Politik für das deutsche Volk zu machen, auch wirklich nachkommt.

Aber wenigstens für das Nichtvorhandensein dieser letzten Konsequenz der politischen Transparenz müssen wir den Vergleich zu unseren Nachbarn nicht scheuen. Dieses Konzept wird nämlich von keinem Land der EU auch nur ansatzweise durchgesetzt.

(Bild: Philipp Amthor, von: Olaf Kosinsky, Wikipedia, CC BY-SA 3.0 de)

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