Gesichtet

Merkels Wir

Nicht nur Politiker, die meisten Menschen nehmen Zuflucht zu einem „Wir“, wenn es darum geht, andere zu täuschen. Einer genaueren Betrachtung Wert ist aber das von Angela Merkel bediente „Wir“.

Nicht nur das des „Wir schaffen das“ und des „Wir lassen uns unsere Art zu leben nicht nehmen“, jegliches Wir, dass über ihre Lippen kommt, sollte uns – also ich und du, die echten Wir – zittern machen: Ganz gleich, ob im monarchischen „Wir, von Gottes Gnaden“, im dämonischen „denn wir sind viele“ (Mk, 5) oder in uns, d.h. mir oder dir, bekannten abgeschmackten Merkelianischen Formeln, „wir“ ist immer ein Wort, das stark genug ist, um damit gut seinen Schwindel zu treiben.

„Priesterbetrug“

Seit dem Altertum wird den Priestern immer wieder der Vorwurf gemacht, sie erzählten von Gott, göttlichem Willen und göttlicher Vorsehung, um ihre Macht gegenüber den Menschen zu befestigen und zu behaupten, d.h. um zu betrügen. Zu diesem Zweck lehren die Priester den einfachen Gläubigen Gott zu fürchten. Die Menschen sollen Furcht haben vor einem Imaginären. Diejenigen aber, die eine berechtigte Furcht haben, und zwar vor einem Möglichen und somit Wirklichen, sind die Priester: sie fürchten den Zweifel und den Zweifler.

Mit dem Zweifel kommen nämlich die Einwände. Und mit jedem Einwand geht ein wenig mehr der Macht, die die Priester über die Menschen haben, verloren. Hat ein Zweifler erst einmal Erfolg mit seinen Einwänden, bringt er die Menschen ab vom Glauben und – vorbei ist es mit der Macht der Priester-Herrscher.

Wir-Gefühl und politische Religiosität

Merkels Wir nun ist nur verständlich als ein Versuch in Bedrängnis gekommener Priester, mittels religiösen Schwindels sich an der Macht zu halten. Ihr „Wir“ ist nichts anderes als ein Appell an den allerletzten kläglichen Überrest politischer Religiosität in der Bevölkerung: es soll genauso an die (religiösen) Gefühle gehen und sie erwecken, wie in vorangegangenen geschichtlichen Stadien Heiland, Gott, Natur, Fortschritt, Vaterland, Blut (Rasse), Gemeinschaft, Menschheit.

Die Erzeugung von Wir-Gefühl verläuft in den Bahnen der Erzeugung religiösen Gefühls. Die Tatsache, dass es politisch-religiösen Schwindel mit den Gefühlen gibt, tut der anderen Tatsache, die der Wirklichkeit politischer Religiosität und der ihr zugehörigen Gefühls- und Ideenwelt, genauso wenig Abbruch, wie es der Priesterbetrug der eigentlichen Religiosität tut. Auch Priesterbetrug gibt es nur und funktioniert nur, eben weil die Leute religiös sind. An der Echtheit von Gefühlen und Ideen ist nicht zu zweifeln.

Wer möchte schon mit Merkel ein „Wir“ bilden?

Es gibt kaum ein Wort aus dem Munde eines Machthabers, welches nicht gefährlich wäre. Es ist dabei ganz gleich, ob es sich bei diesem Machthaber um einen der Religion, einen der Politik oder einen der Wirtschaft handelt. Wie eingangs gesagt, sollen wir – also ich und du, die echten Wir – vor dem Wir der Kanzlerin zittern. Merkels Wir ist  alles andere als harmloses Papperlapapp, mit ihm sind keine echten Menschen gemeint, sondern eine imaginierte bzw. imaginäre Wesenheit Wir.

Ich möchte nämlich einmal ganz optimistisch davon ausgehen, dass nur sehr wenige Menschen freiwillig dazu bereit sind, mit Merkel den Bund eines gemeinsamen echten Wir einzugehen. Gerade deshalb ist die Frage zu beantworten, weshalb Merkel zu einem Wir, und nicht zu einer der Realität getreueren Gesamtheit, Vielzahl gegriffen hat.

Illusionist Merkel

Die Antwort folgt auf dem Fuß, wenn man tatsächlich für das Wir Gesamtheit, Vielzahl, respektive Entscheidungsträger, Machthaber einsetzt: „Die Gesamtheit schafft das“; „Die Vielzahl lässt sich ihre Art zu leben nicht nehmen“; „Entscheidungsträger“ bzw. „Machthaber hat“ bzw. „hat nicht“ – sonnenklar, dass da von Anfang an echte Menschen herausfallen müssen, meistens sogar alle echten Menschen. Fallen nicht „alle“ heraus, so entfallen zumindest die Menschen, die nicht zur Gesamtheit oder Vielzahl gehören (wollen) und auch keine Entscheidungsträger oder Machthaber sind.

Mit dem Wir als über- und nichtmenschlicher Wesenheit verhält es sich ganz anders: aus ihm können gar keine echten Menschen, weder herauswollen noch –fallen, weil „Wir“ keine echten Menschen begreift. Würde anstatt des Wir Gesamtheit oder Vielzahl bzw. Entscheidungsträger, Machthaber eingesetzt, die Dreistigkeit und sogar Kaltschnäuzigkeit der Aussage läge offen zutage: Das geistgeschmeidige unantastbare Wir entstammt der Trickkiste derselben Illusionisten, die dem Kaiser aus Andersens Märchen seine neuen unsichtbaren Kleider fabriziert haben.

Hier heißt einer der Illusionisten zufällig Merkel, womit wir ihn näher bestimmt haben als betrügerischen Priester. Wer so wie sie Wir sagt, möchte betrügen. Grundsätzlich und teflonglatt.

Heilige Einfalt der einfachen Gläubigen

Für den einfachen Gläubigen ist die Allgegenwart, Wirklichkeit und Herrlichkeit Gottes nicht Gegenstand einer eingehenden Erörterung, das ist Sache der Fach- sowie dilettierenden Theologen. Ähnlich verhält es sich mit dem Wir: es ist zu selbstverständlich für sie. Die meisten Leute sind einfache Gläubige und wollen deshalb auch das Wir hören. Setzten wir – also ich und du, die wir keine einfachen Gläubigen, sondern Ungläubige sind – für das Wir Gott ein, würde einiges klar werden, es reduzierte sich dann nämlich alles auf „Gott schafft das“, „Gottes Ordnung ist ewig“, „Gott hat“ bzw. „hat nicht“.

Wer wagte es, als unwissender und nichteingeweihter einfacher Gläubige, an solch hohen Dingen, von denen die Priester reden, zu zweifeln? Dass mit dem Wir eine von den echten Menschen unterschiedene und fremde (jenseitige) Wesenheit, im Grunde so etwas wie Gott, gemeint ist, sollte nunmehr einleuchten. Denn, wären damit echte Menschen gemeint, z.B. ich oder du, so wäre es nicht vor den Einwänden, die immer auch Angriffe sind, gefeit: ein empirisches Wir, das sowohl mich als auch dich integrierte, wäre notwendigerweise unserem Willen ausgesetzt und sogar unterworfen und damit eben kein Gott mehr.

Wir, ich und du, wir könnten austreten aus ihm und es somit nach Lust und Laune auflösen. So etwas aber hat noch nie den Priestern geschmeckt, und auch Frau Merkel schmeckt so etwas nicht. Dagegen loben sie sich die gesunde und heilige Einfalt – Oh Sancta Simplicitas! – der einfachen Gläubigen.

Ein Wir aus Dödel und Merkel!?

Die Priester haben alle Künste aufgewendet, durch Überhöhung und Furchteinflössung – Heiligkeit trifft Ehrfurcht – einen Gegenstand, der von sich aus weder erhaben ist noch existiert, unangreifbar zu machen. Merkels Worte sind unangreifbar wegen ihrer Unauffälligkeit.

Es sind, wenn auch deutliche (sic!), so doch gemäßigte Worte einer Respektsperson. „Die Dame steht in Amt und Würden, und auch als Mitbürgerin und Mitmensch verdient sie Respekt und hat auch ihre Würde“ – nein, solch dreifachem Sophismus soll niemand auf den Leim gehen! Merkel und Dame, das passt nicht, vor allem mir passt das nicht. Und was die Würde betrifft, ein Popanz kann „in Amt und Würden“ stehen, von nichtswürdigen Kreaturen Mitmensch und sogar nicht ohne Recht Mitbürger geheißen werden, das macht ihn zwar amtlich, aber darum noch lange nicht würdig.

Ein unwürdiger Mensch, der zufällig oder, schlimmer noch, alternativlos-notwendig, sozusagen als Lückenbüßer, „in Amt und Würden“ steht, hat meinen Respekt verdient? So etwas hat niemand für mich zu entscheiden, und wer mein würdiger Mitmensch und Mitbürger ist, darüber entscheide noch immer ich, komme da mit Verfassung, Gesetzbuch oder Benimmbuch, wer wolle.

Denn auch in Verfassungen, Gesetzbüchern und Benimmbüchern steht viel Schädliches, steht viel Unsinn drin, und nur der hohen Weihe wegen soll ich sie als nützlich und sinnvoll anerkennen? Niemals! Allerdings, allein die Existenz des Ausspruchs „Ach du heilige Scheiße!“ scheint für die Richtigkeit gewisser Undinge zu bürgen: „Das ist so richtig und auch wichtig“ – könnte Merkel mit einer weiteren ihrer abgeschmackten Formeln einen darauf setzen.

Freilich ist das eine Fähigkeit, die Merkel mit jedem Dödel teilt, alles mögliche und sogar Dinge, die nicht richtig und wichtig, sondern einfach nur Undinge sind, als richtig und wichtig zu bezeichnen. Da haben wir ja schon jemanden, der mit ihr den Bund eines gemeinsamen Wir eingehen kann, den Dödel nämlich.

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