Ein politischer Diskurs benötigt Meinungspluralität. Doch die Debatte um das Dritte Bevölkerungsschutzgesetz im Bundestag hat eines gezeigt: Dieses Land debattiert schon lange nicht mehr. Es ist gespalten!
Schon im Vorfeld warnten angesehen Rechtsexperten, wie Prof. Volker Boehme-Neßler, der Entwurf der Regierungskoalition sei zu „schwammig“, zu unausgereift, mit dem sich das Parlament selbst an die Seitenlinie stelle, statt der „zentrale Player“ zu sein, der es eigentlich in dieser Situation sein sollte. In dem Gesetzentwurf ist die Zustimmung des Bundestages zu künftigen von der Regierung beschlossenen Einschränkungen nicht vorgesehen.
Während draußen Wasserwerfer gegen empörte Bürger aller Schichten, Altersklassen und politischer Dunstkreise eingesetzt werden, streiten sich im Reichstagsgebäude die Bundestagsabgeordneten mit einer Vehemenz und Unnachgiebigkeit, die selten geworden sind. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) spricht vom „Zusammenhalt“ und „großer Mehrheit“ in der Bevölkerung, die das Gesetz gut fänden. Politiker der Großen Koalition haben auch nichts als lobende Worte für den Entwurf, der bei der Mehrheit der „Demokraten“ in diesem Land auf Zustimmung träfe. Menschen hingegen, die dagegen demonstrieren, wären ohnehin nur solche, die „unseren Staat ablehnen“. Auch die Grünen signalisieren Zustimmung. Schließlich will man ab September 2021 den Platz der SPD in der Regierung einnehmen und übt sich deswegen in Beifall.
Monarchische Züge bei Merkel
Auf der anderen Seite stehen AfD, FDP und die Linke, die sich zwar untereinander ebenso wenig leiden können, aber alle scharf gegen den Entwurf sind. Alexander Gauland (AfD) spricht von der größten „Grundrechtseinschränkung in der Geschichte der Bundesrepublik“ und einem Weg in die „Diktatur“, die die Bundesregierung hier einschlägt. Christian Lindner (FDP) macht ebenfalls einen stinksauren Eindruck. Es würden „klare Leitplanken“ für die Handlungsoptionen der Regierung fehlen. Er spricht von „willkürlichen“ Maßstäben. Die Linke sieht im Regierungsstil der Bundeskanzlerin „monarchische Züge“.
Die Kanzlerin indes macht während der gesamten Debatte einen gelangweilten Eindruck. Sie schaut mehr auf ihr Handy als auf die Redner, die sich immer wieder direkt an sie wenden. Man sieht ihr an, sie hat eigentlich keine Lust auf den Kindergarten. Sowieso ist das Parlament in ihren Augen mehr ein „Bremsklotz“, eine lästige Angelegenheit, die so gar nicht in ihr Verständnis von Regierung und Führung eines Landes passen will.
Mehr noch als während der Migrationskrise im Herbst 2015 hat die Corona-Krise die Bundesrepublik in zwei Lager aufgeteilt. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die den Kurs der Regierung nach wie vor mittragen. Diesem gegenüber befindet sich das Lager derjenigen, die der Regierung ablehnend gegenüberstehen, der Regierung alles zutrauen und ihre Grundrechte dauerhaft in Gefahr sehen. Immer mehr Menschen wollen nicht hinnehmen, dass ihre wirtschaftliche und gesellschaftliche Existenz oftmals ohne wirkliche Begründung von der Regierung per Knopfdruck vernichtet wird.
Die Arroganz der Besserwisser
Die Regierung wiederum kann es einfach nicht verstehen, dass sie sich vor dem Pöbel da draußen zu rechtfertigen habe. Schließlich habe man nur das Wohl der Menschen im Sinn. Im Kanzleramt und in den Staatskanzleien wisse man es sowieso besser. Diese Arroganz und Machtgeilheit der Regierung gegenüber den Menschen, die nicht blindlings folgen wollen, wird dann in den Aussagen des Bundespräsidenten deutlich, der mahnt, man müsse sich mit dem Bürger „auf Augenhöhe begeben“. Die Eltern erklären dem Kinde die Welt.
Es kommt nicht von ungefähr, dass das Infektionsschutzgesetz mit dem „Ermächtigungsgesetz“ im Jahr 1933 verglichen wird. Auch wenn dieser Vergleich auf der Regierungsbank für Empörung sorgt. Gegen den Willen eines stetig wachsenden Teils der Bevölkerung soll ein Gesetz im Eiltempo durchgedrückt werden, das schwammig in der Formulierung, der Regierung großen Spielraum dazu lässt, Grundrechte offenbar nach Gutdünken einzuschränken. Grundrechte, „die Grundrechte heißen, weil sie grundlegend sind“, gerade in Krisenzeiten.
So wird die Corona-Krise zunehmend zu einer Demokratie-Krise, in der sich Lager gegenüberstehen, die nicht mehr miteinander reden, es wohl auch gar nicht mehr können und wollen. Die Regierung wird ermächtigt, durchzuregieren. Das Volk hat es zu schlucken oder muss sich dem Gummiknüppel der Staatsmacht beugen.
Im Bundestag ist die Stimmung hitzig, vor dem Reichstag eskaliert sie. Müssen wir uns also an diese „neue Normalität“ gewöhnen, in der wir von Hinterzimmerrunden der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten regiert werden und Grundrechte unter Vorbehalt gestellt sind? Und alle, die diese „neue Normalität“ – der eigentlich ein Ausnahmezustand bleiben sollte – nicht wollen, schlicht zu Staatsfeinden erklärt werden?