Rezension

Monika Maron: Krumme Gestalten, vom Wind gebissen

Wer hätte gedacht, daß dieses Büchlein, das gar keine neuen Texte enthält, solche Wellen schlägt? Es war der Anlaß für den S. Fischer Verlag, Monika Maron eine mehr als 40-jährige, erfolgreiche Zusammenarbeit zu kündigen. Allein das ist Grund genug, die Lektüre zu wagen. Versammelt sind hier zwölf Texte, die zwischen 1999 und 2019 bereits gedruckt worden waren, sowie Marons Rede zum Lessing-Preis des Freistaates Sachsen 2011.

Die ersten Texte, auch die über ihre beiden Hunde, lese ich als Signale eines Rückzugs. Sie sind zuerst bei S. Fischer in Frankfurt, in der Hamburger Zeit und in der WeLT erschienen. Haben die Wessis nichts bemerkt, oder wollten sie es nicht? Ich bin wohl wie die meisten Ostsozialisierten mehr darin geübt, zwischen den Zeilen zu lesen: „Du könntest glauben, ich sei hier auf dem Lande inzwischen verblödet. Du berichtest von Deinem Kongreß … und ich erzähle Dir, wie mein Hund auf meinen Fingerzeig einen Ball aus dem Schilf holt“.

Literaten sind keine Postboten!

Und weiter: „Nach drei Nächten mit den Kakerlaken fühlte ich mich allem gewachsen, furchtlos und unerschrocken wie man für eine Stadt wie New York eben sein muß.“ / „Und später, als der Vorsatz, schön zu finden, was immer das ländliche Leben bereithielt, vielleicht an Kraft verlor, war unter seinem Schutz etwas herangewachsen, das in all der Dürftigkeit das Schöne wirklich finden konnte.“ Muß man, soll man da eine Botschaft heraus- oder hineinlesen? Nein, muß man nicht: Literaten sind ebensowenig wie Maler Postboten!

Man lese einfach die guten Texte, oft über viele Kommata sich fortentwickelnd wie ein langsamer Gedanke zum Mit-, Nach- und Gegendenken einladend. Dann wird es klartextiger: Eigentlich sind wir nett, wir Berliner! Eine Philippika jenen, die über Berlin und die Berliner meckern. Klar: Wenn üba Berlin und uns jemeckert wird, machn wia det selba, weil wa det am besten könn – und sonst keena! Nein, Maron meckert nicht und schon garnicht berlinernd. Gegen Unsinn stehen ihre wohlgesetzten Worte. Aber „Du alter Pietist“, muß schon noch hinterhergerufen werden.

Muß jede Religion die Gesetze achten?

Ihre Rede zum Lessing-Preis nahm sie zum Anlaß für eine Hommage an Moses Mendelssohn, den Freund Lessings, der ihn in seinem Nathan verewigte. Das ist (wieder) ein hochaktuelles Gegenwartsstück: „Verlangen wir zu viel, wenn wir von einer unaufgeklärten Religion, die in unsere Gesellschaft einzieht, erwarten, dass sie alle Gesetze; aber auch alle Werte achtet, die dieser Gesellschaft als schützenswert gelten?“

Gegen Kopftuch als Zeichen der Abgrenzung, eingeforderte Privilegien, Zementierung der eigenen Andersartigkeit, muß es – so Monika Maron – eine Antwort geben: „Wir brauchen die Solidarität der Aufgeklärten.“ Das und noch viel mehr Klartext – nicht nur in diesen Texten hier – hat ihr dann schließlich die Kündigung eingebracht und eine Korrespondentin der Frankfurter Allgemeinen wirft kommentierend nach: „schwindelerregende Thesen“. Quittieren Sie das, indem Sie das auch äußerlich wohlgestaltete Büchlein von Frau Maron bestellen, und zwar direkt beim Buchhaus Loschwitz. Dann werden Sie wohl auch ein signiertes Exemplar erhalten, denn ich bin zu unwichtig und nicht prominent, um glauben zu können, daß Monika Maron das Buch speziell für mich signiert hat.

Der S. Fischer Verlag war zu feige, die wirklichen Gründe des Rauswurfes zu benennen, geschweige denn, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Stattdessen warf man der Buchhändelerin Susanne Dagen vor, eine Editionsreihe herauszugeben, die Exil heißt, und Frau Maron, in dieser publiziert zu haben.

Ja, die Zuwendung zu Hunden, zu den einfachen Leuten, der Landsitz im Oderbruch ist eine Art inneres Exil. Könnte es sein, daß Linken Räume des Rückzugs, Hauseigentum, Landsitz, Kleingarten ideologisch suspekt sind, weil das Räume letztlich unangreifbarer Autonomie sind, weil man sich dort im Notfall auf Selbstversorgung zurückziehen kann in Räume, die sich bevormundender Planung entziehen? Ich gebe zu, auch schon darüber nachgedacht zu haben, wohin ich ins Exil gehen könnte.

Der Rauswurf von Maron ist für mich ein Déjà-vu: Die zusammengefaßte Neuedition von Texten in Peter Rubens Dialektik und Arbeit der Philosophie (Köln 1978) war der Anlaß zu einer aggressiven Kampagne gegen den Wissenschaftler und seine Anhänger an der Akademie der Wissenschaften der DDR. Mit Lehr- und Publikationsverboten, Strafversetzungen und Entlassungen wurden Andersdenkende bestraft. Sind wir da wieder angekommen?

Monika Maron: Krumme Gestalten, vom Wind gebissen. Essays aus drei Jahrzehnten. EXIL 2020.

(Bild: Monika Maron, von: Heike Huslage-Koch, Wikipedia, CC BY-SA 4.0)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Datenschutzinfo