Gesichtet

Nazianalsozialismus: Kurz und beschissen

Was war das doch für eine Aufregung. Wie immer, wenn ein Vertreter der AfD eine Äußerung zur Zeit des Nationalsozialismus tätigt, dreht die Presse am Rad.

Grund war die Bezeichnung jener Tage als „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte durch Alexander Gauland, Fraktionsvorsitzender der AfD im Bundestag. Und was wieder los war in der Presselandschaft! Der Tagesspiegel sprach von „Geschichtsrevisionismus“ und, davon, dass diese Aussage „widerlich“ sei. Schließlich verstieg man sich noch dazu, der AfD zu unterstellen, die „Gegenwart und Zukunft (…) verstümmeln“ zu wollen. Auch aus der Politik wurde Berufsbetroffenheit laut. CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer dazu: „Wer so etwas als Vorsitzender einer Partei sagt und dann sagt, das sei eine bürgerliche Partei, das macht einfach fassungslos.“

Altparteien und Presse „fassungslos“

Nun ist diese Aussage in der Tat stark. Schließlich war der Nazianalsozialismus mitverantwortlich an einem Krieg, der immerhin 50 Millionen Tote forderte. Jedoch darf auch nicht vergessen werden, dass er sich dennoch nur die berüchtigten zwölf Jahre an der Macht halten konnte. Wobei dieses „nur“ die CDU-Generalsekretärin vermutlich ebenfalls „fassungslos“ machen würde. Und damit wäre auch schon der Kernpunkt des Problems benannt. Wenn Alexander Gauland feststellt, dass 12 Jahre bei über 1000 Jahren deutscher Geschichte nicht so sehr ins Gewicht fallen, wie es heute den Anschein hat und dann ein Geheule angestimmt wird – von wegen, man würde das Unrecht der Nazis relativieren – ist das schon bezeichnend.

Denn anders herum wird eben auch ein Schuh daraus. Wenn man sich schon auf die Fahnen schreibt, im Gegensatz zu den bösen Rechten ein ausgewogenes und gesundes Geschichtsbild zu haben, wird dringend empfohlen, über die Gewichtung der einzelnen Epochen nachzudenken. Die Schulpolitik ist hier ein plastisches Beispiel dafür, wie es mit jener Gewichtung in der Bundesrepublik ausschaut.

Sieht man die Geschichtsbücher durch, so fällt sehr schnell auf, wie überproportional das Dritte Reich vertreten ist. Wird beispielsweise das Mittelalter (immerhin rund 1000 Jahre) auf ein paar Doppelseiten behandelt, so nehmen Hitler und seine Handlanger glatt die Hälfte des Buches ein. Über die Jahre verteilt, beschäftigt sich ein deutscher Schüler in rund einem Drittel seiner Geschichtsstunden mit dem Dritten Reich.

Vergangenheit, die nicht vergehen will

Nun könnte man einwenden, dass Themen umso wichtiger sind, je näher sie an der Vergangenheit liegen. Das mag schon richtig sein, wenn auch eine Epoche sich immer aus der vorigen ergibt. Jedoch hinkt dieser Einwand. Denn zwischen dem Dritten Reich und heute liegt nochmal eine ganze Epoche, wenn nicht zwei. Nämlich mindestens die Nachkriegszeit und Landesteilung, beendet durch die Wiedervereinigung 1990. Diese müsste demnach noch mehr Platz einnehmen und noch intensiver behandelt werden. Dem ist aber nicht so.

Die 45 Jahre Nachkriegszeit kommen mit Müh und Not auf die gleiche Seitenzahl im Geschichtsbuch, wie die zwölf Jahre Nazianalsozialismus. Wenn man das Glück hat, an eine besonders engagierte Geschichtslehrerin oder Geschichtslehrer zu geraten, kann es auch gut sein, dass die für die Nachkriegszeit reservierten Stunden zu guten Teilen in die Vergangenheitsbewältigung fließen.

Schulunterricht ist viel zu NS-lastig

Dabei muss auch noch beachtet werden, dass in der Nachkriegszeit zwei deutsche Teilstaaten besprochen werden müssen, mit jeweils eigenen Systemen, Wirtschaftsformen und Geschichtsverläufen. Und auch die Zeit der sogenannten Weimarer Republik, die ähnlich lang war, wie die des Dritten Reichs wird ungleich gröber und kürzer behandelt.

Von einem gesunden und ausgewogenen Geschichtsverständnis ist also mitnichten zu reden. Denn es ist eine unverhältnismäßige Konzentration auf die Zeit des Nazianalsozialismus festzustellen. Warum also diese Fixierung? Ich glaube, aus dem geschichtlichen Selbstverständnis heraus lässt sich einiges über die Sicht der betreffenden Personen auf unsere Gesellschaft, unser Land und Volk sagen.

Die Epoche des Dritten Reiches ist wohl als dunkle Zeit in der deutschen Geschichte zu betrachten. Auf deutschem Boden hatte sich ein Unrechtsregime breitgemacht, dass seine menschenfeindliche Ideologie dem Volk mittels geschickter Propaganda einzuimpfen versuchte. Der Widerstand dagegen wurde gebrochen, notfalls auch mit Gewalt. Schließlich fügten sich viele Menschen unter das Joch dieser Diktatur und andere wurden aufgrund der „Banalität des Bösen“ (Hannah Arendt) zu Werkzeugen von Tod und Terror.

Karl Jaspers: Es ist sinnwidrig, ein Volk als Ganzes anzuklagen

Man würde sich belügen, würde man das nicht einsehen wollen. Ausgehend davon wird Schülern nun ein Geschichtsbild eingetrichtert, das eine angebliche Kollektivschuld der Deutschen unterstellt. Das jedoch hat bereits 1948 der Philosoph Karl Jaspers in einem gleichnamigen Essay als Unsinn entlarvt: „Es ist aber sinnwidrig, ein Volk als Ganzes eines Verbrechens zu beschuldigen. Verbrecher ist immer nur der einzelne. (…) Es ist auch sinnwidrig, ein Volk als Ganzes moralisch anzuklagen. (…) Moralisch kann immer nur der einzelne, nie ein Kollektiv beurteilt werden.“

Als Identifikation mit dem Deutschen als geschichtliche und kulturelle Heimat wird also durchweg nur ein rein negatives Bild, die negativste Facette deutscher Geschichte angeboten. Folglich wird eine positive Bindung zur eigenen Herkunft schwierig und ist von Selbsthass, zumindest Scham durchwoben.

Wieso wird stattdessen nicht mehr Wert gelegt auf positive Aspekte deutscher Geschichte? Für einen demokratischen Staat würden sich beispielsweise die Anfänge demokratischer Tradition im Vormärz anbieten. Man könnte die Schüler Reden lesen lassen, die auf dem Hambacher Fest gehalten wurden, um sie anschließend zu diskutieren. Das Paulskirchenparlament und ihre wichtigsten Vertreter könnten genauer unter die Lupe genommen werden. Die Reaktionen der deutschen geistigen Elite darauf.

Auch die Befreiungskriege gegen Napoleon sind voll von spannenden Entwicklungen und positiven Bezugspunkten zur deutschen Nation. Ein anderer Weg wäre, Regionalgeschichte wieder stärker in den Fokus des Geschichtsunterrichts zu nehmen. Den Menschen zu zeigen, wie facettenreich und einmalig allein die Geschichte der eigenen Heimat ist.

Positiver Bezug zur Nation ist nicht gewollt

Ein positiver Bezug scheint jedoch nicht gewollt zu sein. Wie sonst ist es zu erklären, dass immer und immer wieder Aufnahmen aus Konzentrationslagern im Unterricht gezeigt werden? Gesehen sollte man das durchaus einmal im Zuge der Besprechung der Epoche des Nazianalsozialismus. Dennoch ist Geschichte keine Theologie. Es ist nicht notwendig, dass hier bestimmte Szenen gebetsmühlenartig wiederholt werden, bis auch der letzte in der hintersten Reihe das Dogma von der deutschen Schuld und Minderwertigkeit verinnerlicht hat.

So ist die Zeit des Nationalsozialismus in der Tat eine sehr kurze, dabei jedoch sehr unrühmliche Periode der deutschen Geschichte. Über schlimme Dinge sollten jedoch nicht allzu viele Worte verloren werden. Was nicht heißen soll, es totzuschweigen. Vielmehr muss man einen Weg finden, die Erinnerung daran wach zu halten. Jedoch nicht als stets mahnender Zeigefinger, sondern als etwas, aus dem eine Lehre gezogen werden kann, um es anschließend dabei auch bewenden lassen zu können.

Das kollektive Gedächtnis funktioniert schließlich nicht anders wie das einer jeden Person. Jeder hat in seinem Leben schon Dinge getan, auf die er nicht besonders stolz sein kann. Ganz im Gegensatz zum kollektiven Gedächtnis der Deutschen jedoch nennt man einen Menschen, der nicht müde wird, seine Unzulänglichkeiten und Verfehlungen öffentlich anzuprangern und gar nicht oft genug betonen kann, welch ein schlechter Mensch er doch sei, einen Masochisten. Demnach sind wir Deutschen wohl ein masochistisches Volk? Auf jeden Fall wirken solche Menschen auf andere nicht besonders angenehm. Und es ist daher nur verständlich, wenn man über uns im Ausland die Köpfe schüttelt. War also die Zeit des Nazianalsozialismus ein „Vogelschiss“? Auf jeden Fall, denn was wohl niemand leugnen kann: sie war kurz und beschissen.

(Bild: Alexander Gauland, von: Nicolaus Fest, flickr, CC BY-ND 2.0)

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