Rezension

Nikolai Berdiajew: Im Herzen die Freiheit

Seit Anbeginn der Kirchengeschichte hat die christliche Lehre ein Problem: die Masse der Menschen folgt lieber ihrem bürgerlichen Interesse als Jesus und der Idee der Freiheit.

Die kürzlich im Renovamen Verlag wieder aufgelegte Schrift des russischen Philosophen und ehemaligen Marxisten Nikolai Berdiajew Im Herzen die Freiheit erschien zuerst 1936 in der Schweiz unter dem für die damalige Zeit typisch sperrigen Titel Von der Würde des Christentums und der Unwürde des Christen. Der aus der Sowjetunion verwiesene Dissident lebte zuvor u.a. zwei Jahre lang in Berlin, wo er die konservativen Philosophen Max Scheler, Oswald Spengler und Paul Tillich kennenlernte, zu denen er anschließend zeitlebens in Kontakt stand. Insbesondere mit Scheler und Tillich dürfte er sich zudem breit über theologische Fragen unterhalten haben, die bereits zuvor ein großes Thema seines Denkens waren.

Idealismus gegen Materialismus

Der Ansatz, mit dem Berdiajew der Welt grundsätzlich begegnet, ist zunächst ein typisch christlich-idealistischer, welche die reine Idee von ihren konkreten Lebensäußerungen trennt. „Heute, da der Glaube zu versiegen droht und der Unglaube eine allgemeine Verbreitung gefunden hat, pflegt man das Christentum nach den Christen zu beurteilen; in früheren Zeiten dagegen hat man das Christentum vor allem nach seinen Dogmen gewertet.“

Eine solche Anklage ist innerhalb des christlichen Denkens folgerichtig, jedoch unter unserer heute zumeist postmodernen Perspektive mindestens befremdlich. Schließlich könnte man nach dem gleichen idealistischen Gedankenschema ebenso den Kommunismus von vergangenen Verbrechen freisprechen, wenn diese angeblich nichts mit dessen eigentlicher Grundidee zu tun hätten.

Auf der anderen Seite kann man natürlich auch nicht das gesamte Christentum rein nach dessen weltlichen Vertretern beurteilen, da man ansonsten der symbolischen Struktur des Glaubens nicht gerecht werden könnte. Denn der Gottesglaube ist wie jede Idee letztlich immer auch etwas Außerweltliches. Er kann keiner konkreten Realisierung ganz gerecht werden. Die philosophische Herausforderung wäre es an dieser Stelle, einen Ausgleich zu finden, anstatt wie Berdiajew die beiden Pole als zwei unversöhnliche Extreme zu betrachten, zwischen denen man sich anschließend zu entscheiden hat.

Kommunismus als typisch bürgerlich

Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit dem Geist des Bürgertums, in welchem Berdiajew den des ewig kleingeistigen und materiellen Pharisäers wiederentdeckt, den bereits Jesus selbst verdammte. Deswegen erblickt er auch – entgegen gewohnter Lesarten – gerade im Kommunismus eine typisch bürgerliche Haltung. „Endgültig und uneingeschränkt bekennt sich hier der neue Bürger zur Religion der irdischen Herrschaft, der irdischen Macht, der irdischen Glückseligkeit.“ Wichtig sei, um zu dieser polemischen Bestimmung des Bürgerlichen zu gelangen, also nicht Einkommen oder sozialer Stand, sondern die Einstellung gegenüber ökonomischen Kategorien und eine materialistische Perspektive auf die Welt überhaupt.

Insgesamt stellt die Schrift einen durchaus interessanten, kurzen und prägnanten Abriß zur Problematik christlicher Theologie und der menschlichen Grundstruktur dar, in welcher zudem auch das Problem der Technik nicht zu kurz kommt. Die Kritik Nietzsches und Heideggers am Christentum wischt Berdiajew jedoch entschieden zu leichtfertig mit der Begründung hinweg, sie hätten den christlichen Glauben einfach nicht verstanden. Hier macht es sich Berdiajew etwas zu leicht. Er meinte, diese beiden Schwergewichte einfach übergehen zu können, was sicherlich auch zu seinem eher geringeren Bekanntheitsgrad beitrug.

Nikolai A. Berdiajew: Im Herzen die Freiheit. Das Bürgertum zwischen Sinnsuche und Selbstgeißelung, Renovamen Verlag, Bad Schmiedeberg, 2018, 104 Seiten, 12 Euro.

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