Rezension

Philosophie des Meeres

Über die Jahrtausende der Philosophiegeschichte hinweg, tauchte das Meer immer wieder als Gegenstand der Inspiration für seine Betrachter auf. Höchste Zeit also, daß einige dieser Ideen einmal zusammengetragen wurden.

Das im vergangenen Herbst erschienene Buch Philosophie des Meeres des emeritierten Philosophieprofessors Gunter Scholtz, ist eine Reise durch die Geschichte der Philosophie, mit dem Thema des Meeres in dessen Mittelpunkt. Angefangen bei dem als den ersten Philosophen geltenden Thales von Milet, läßt Scholtz Seneca, Hegel, Nietzsche, Karl Jaspers, Carl Schmitt und eine ganze Reihe weiterer Philosophen zu Worte kommen, deren Gedanken in irgendeiner Weise diesem Element galten.

Das Meer als Quell des Lebens, als unvergängliches, als Spiegel der Seele und des Schicksals

Das Meer selbst ist dabei jedoch nur ein mittelbarer Gegenstand der Philosophie, über welchen man sich metaphorisch Gedanken machen kann. Kant meinte hierzu im Bezug auf das Erhabene, daß man den Ozean nicht durch allerhand Kenntnisse verstellen darf, um ihm philosophisch gerecht zu werden. Vielmehr sollte man das Meer, den Dichtern gleich, durch die eigene Wahrnehmung als erhaben empfinden: „als einen klaren Wasserspiegel, der bloß vom Himmel begrenzt ist, aber, ist er unruhig, wie einen alles verschlingenden drohenden Abgrund.“ Nicht nur das Meer, sondern letztlich die gesamte Natur kann also für uns schön und bedeutend sein, und ist somit viel mehr als nur ihr materieller Gehalt.

Einen Bezug des Meeres zu unserem gesellschaftlichen Leben knüpfte auch Platon. Ihm zufolge sei etwa eine Küstenstadt ein moralisch bedenklicher Ort, da durch das Meer der Handel und der Gelderwerb erleichtert werden, was wiederum die Sitten untergrabe. Die Bewohner verlieren dann nach und nach das Gemeinwohl aus den Augen und werden so zu egoistischen Geschäftsleuten, welche nur noch an ihre eigenen Vorteile denken. Der römische Philosoph Cicero knüpfte später daran an, demzufolge ganze Küstenstädte wie Korinth oder Karthago untergegangen seien, da man in ihnen Landwirtschaft und Verteidigung zugunsten von Seefahrt und Handel vernachlässigt habe.

Die Moderne brachte auch Bioethik und Sensibilität gegen die Zerstörung der Meeresnatur hervor

Der Lehre des Augustinus nach, gebe es zudem drei Typen von Seefahrern, die metaphorisch für den Menschen selbst zu nehmen sind. Der erste Typ ist der des Ängstlichen, welcher sich kaum aus dem Hafen hinaus traue und so auch sein Leben lang nichts anderes sieht. Der zweite Typ hingegen, fährt für Lust- und Ehr-Gewinn weit hinaus und vergisst darüber sein Vaterland, welches er mit der Zeit aus Augen und Sinn verliert. Der dritte Typ hingegen sei der Ausgewogene, welcher sowohl sein Ziel, als auch sein Vaterland nicht vergesse. Mit Vaterland ist hier wiederum metaphorisch die Erkenntnis Gottes als Grund der Weisheit und der Wahrheit gemeint.

Von solch mahnenden und nach Ausgleich bedachten Philosophen des Altertums, hielt der im 16./17. Jahrhundert lebende englische Philosoph und Staatsmann Francis Bacon nichts mehr. Ihm folgend, sollte fortan die Wahrheit einer Philosophie daran gemessen werden, inwieweit sie neue Erfindungen zeitige und damit den Menschen weitere Macht über die Natur verschaffe. Heute sind für uns im Zeitalter der Meeresverschmutzung, wie auch der gefährdeten Fischbestände, solche Ideen längst problematisch geworden, wenngleich die wissenschaftliche Verengung unseres Denkens seit Bacon eher noch vorangeschritten ist.

Weltgeschichte wird über die Meere entschieden

Eine weitere Perspektive auf das Meer bietet dann auch die Geschichtsphilosophie. Laut Herder war das Meer essentiell wichtig für die Entwicklung Europas, dessen Vorankommen in der Welt dem Seehandel zu verdanken sei. Deswegen habe die Hanse auch mehr zu einem europäischen Gemeinwesen beigetragen „als alle Kreuzfahrten und römischen Gebräuche“. Der These Oswald Spenglers folgend, bestimme jedoch nicht die äußere Natur die Geschichte des Menschen, sondern dessen Schicksal, das Seelentum der Völker. Spengler zufolge werde die Weltgeschichte von Eroberern gemacht, von Reitern und Seefahrern, welche die sesshaften Bauern erobern. Dieses Prinzip herrsche in der Weltgeschichte, weshalb auch etwa ein klarer Unterschied zwischen Seehandel und Seeraub schwierig wird.

Auf eine gefühlsbetonte Verknüpfung des Meeres mit der Philosophie setzt hingegen ein Passus Nietzsches an: „Es hat große Vorteile, seiner Zeit sich einmal in stärkerem Maße zu entfremden und gleichsam von ihrem Ufer zurück in den Ozean der vergangnen Weltbetrachtungen getrieben zu werden. Von dort aus nach der Küste zu blicken, überschaut man wohl zum ersten Male ihre gesamte Gestaltung und hat, wenn man sich ihr wieder nähert, den Vorteil, sie besser im ganzen zu verstehen als die, welche sie nie verlassen haben.“

Auch unsere Sprache ist bildlich

Man sieht an derlei Beispielen, daß die Philosophie auf bildliche Ausdrucksweisen, auf Metaphorik, nicht verzichten kann – ja sie lebt davon. Ebenso entnehmen wir viele unserer täglichen Ausdrucksweisen dem großen Thema des Meeres, um damit vor allem Veränderungen in der Welt zu bezeichnen: so den Fluss der Zeit, die geistige Strömung, die Welle der Mode, der politische Dammbruch, die Flut der Migranten usw.

Das Buch kann als Einstieg für den philosophisch Interessierten dienen, der sich zunächst einmal einen groben Überblick über die unterschiedlichen Epochen verschaffen möchte. Es ist aber auch gerade jenen wärmstens zu empfehlen, welchen das Meer auf die eine oder andere Weise am Herzen liegt.

Gunter Scholtz: Philosophie des Meeres, mareverlag, 2016, 288 Seiten, 26 Euro

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