Rezension

Rammstein: Deutschland über allen

Mit „Deutschland“ und vor allem dem dazugehörigen Musikvideo hat Rammstein es wieder einmal geschafft. Alle regen sich aus den falschen Gründen auf.

Daß das Video aus dem Haus Eric „Specter“ Rembergs die Gruppe unter anderem in Naziuniformen und KZ-Häftlingskleidung zeigt, führte dazu, daß die üblichen Verdächtigen sich über den Mißbrauch des Holocausts zu Marketingzwecken aufregten, auf dessen werbetechnische Verwertung sie einen Monopolanspruch erheben. Ab diesem Zeitpunkt konnte niemand mehr stillbleiben. Klappe halten war keine Option mehr.

Linke Liste, Aufarbeitung, Langweilig, Freud

Da die meisten Feuilletonjournalisten nichts ernsthaftes damit anzufangen wußten, fingen sie an, die antideutsche Checkliste durchzugehen und kamen zu dem für sie erfreulichen Ergebnis, daß das Lied und Video sich alles in allem kritisch mit der deutschen Nationalidentität auseinandersetzen. Vor allem dank des Clous, die Rolle der Germania mit der schwarzen Schauspielerin Ruby Commey zu besetzen!

Henryk M. Broder hat einen neuen Meilenstein der deutschen Vergangenheitsbewältigung, ein „Meisterwerk im Dienst der Aufklärung“ entdeckt und mein Sezessionskollege Till-Lucas Wessel gibt sich derweil alle Mühe, Rammstein als eine weitere „Export-Band“ abzutun, die „auf dem Dachboden die Mottenkiste mit den Uniformen ihrer Großväter entdeckt hat“.

Jens Balzer von der Zeit muß man zugute halten, daß er sich mit dem Video ernsthaft beschäftigt hat. Seine auf die psychoanalytische Faschismustheorie zurückgreifende Interpretation des deutschen Nationalismus als eines Produktes sexueller Frustration ist zwar wenig aussagekräftig, aber vielleicht von den Absichten der Künstler nicht zu weit entfernt.

Es ist eine unhintergehbare Tatsache, daß mit Rammstein die Künstlergruppe der deutschen Gegenwart, die musikalisch wie poetisch in ihrer eigenen Liga spielt, das einzig Deutsche, was heute außerhalb der klassischen Museumsbetriebe kulturelle Weltgeltung hat, ihr Talent zu großen Teilen der Ausspähung sexueller Abgründe aufgeopfert hat. Auf eine Weise, die in anderen Zeiten mindestens eine Lawine von Sittlichkeitsprozessen nach sich gezogen hätte.

Geistiges und fleischliches Vaterland

Daß es außer der Germania in „Deutschland“ keine Frauen gibt, ist allerdings weit mehr als erotische Frustration. Joachim Fernau hat die Treue des familienlosen Hagens von Tronje mit der deutschen Treue zur Idee identifiziert und kaum ein anderes Vaterland ist so sehr Idee wie das deutsche.

In Deutschland gibt es einen strengen Unterschied zwischen der vergeistigten – und damit rein männlichen – Idee des Vaterlandes und dem, was der Franzose Charles Péguy „la patrie charnelle“, das fleischliche Vaterland, genannt hat, dem Volksleben, in dessen Zentrum die Geschlechterfolge steht.

Diese Trennung ist in den romanischen Ländern bei weitem nicht so scharf und im angelsächsischen Raum unvorstellbar.

Das deutsche Künstlertrauma

Nimmt man „Deutschland“ nur als Lied, dann ist es eine abgründige und musikalisch geniale Elegie auf die deutsche Nationalidentität. Daß das Dritte Reich, obwohl niemals direkt angesprochen, darin die zentrale Rolle spielt, ist selbstverständlich. Es ist faktisch der Bezugspunkt deutscher Identität nach dem zweiten Weltkrieg. Jeder Versuch, es etwa zugunsten des Bildes einer Weimarer Kulturnation hinauszuschneiden, hätte eine noch weit dröhnendere Leere hinterlassen.

Rammstein verarbeitet das Dritte Reich als Künstlertrauma. Nichts liegt hier ferner als die Frage, was Hitler denn politisch gewollt habe. Das Video lebt von der Spannung zwischen ästhetischer Gigantik und moralischem Abgrund. „Man kann dich lieben und will dich hassen.“ Man will Deutschland hassen, der Haß entstammt dem willentlichen Bewußtsein, daß sich zum Bruch mit dem, was man eigentlich lieben kann, moralisch verpflichtet sieht. Genauer hat niemand die Nachwirkungen des Dritten Reiches auf künstlerisch veranlagte Seelen getroffen.

Daß so etwas gerade jetzt kommt, ist nur natürlich. Nur ein Narr konnte glauben, daß diese Wunde nicht irgendwie aufbrechen würde, während nicht nur die geopolitische, sondern auch die geistige Nachkriegsordnung weit schärfer in Frage gestellt ist, als jemals während des Zusammenbruchs des Ostblocks.

England

Das bringt uns zu der absurden Unstimmigkeit, die in der Besetzung der Germania mit einer schwarzen Schauspielerin liegt. Die Besetzung von Rollen aus der abendländischen Geschichte mit farbigen Schauspielern stammt aus dem angelsächsischen Raum. Das bleibt sogar in den beiden häufigsten Kostümierungen der Germania kenntlich. Der Plattenpanzer mit Krone über der Kettenhaube ist eine geläufige popkulturelle Darstellung englischer Könige und die Königin im Spitzenkleid mit dem gigantischen Stuartkragen erinnert an Elisabeth I. und Maria Stuart.

Auch ein Deutscher würde, nach den Ereignissen der damaligen Epoche gefragt, am ehesten noch diese Namen nennen, vielleicht noch die Vernichtung der spanischen Armada durch Francis Drake. Aus der deutschen Geschichte ist aus der Zeit zwischen dem Tod Karls V. und dem Dreißigjährigen Krieg kein Ereignis jenseits der Fachgelehrtenkreise in Erinnerung geblieben.

Abgehackte Köpfe

Die Abspannpose, in der Ruby Commey in diesem Königinnenkostüm das abgeschlagene Haupt Till Lindemanns in der Hand hält, ist vom afroamerikanischen Maler Kehinde Wiley übernommen, der das offizielle Präsidentenporträt Barack Obamas gemalt hat und ansonsten für die Darstellungen schwarzer Frauen in den Kleidern der weißen Oberschicht mit abgehackten weißen Köpfen bekannt wurde.

Das ganze Motiv ist nur aus der amerikanischen, in abgeschwächter Weise auch der britischen Rassensituation zu erklären. Es ist eine schwarze Phantasie gegenüber den Weißen, die ihnen ein einigermaßen zivilisiertes Leben ermöglichen, daß sie sich selbst nicht schaffen könnten und denen gegenüber ihnen gerade deshalb nur der blanke Haß bleibt.

Die Masche hingegen, Gestalten der abendländischen Geschichte durch schwarze Schauspieler darstellen zu lassen, hat den doppelten Zweck, den Weißen ihre Identität zu nehmen und den Schwarzen ein paar Brocken für das Selbstwertgefühl hinzuwerfen.

Sie beruht auf einer ganz anderen identitätspolitischen Situation als der deutschen. Im angelsächsischen Raum ist die nationale Erzählung als solche weitgehend intakt. Sie wird jedoch ihrem Volk gestohlen und multikulturalistisch gegen es verwandt. In den Vereinigten Staaten ist dies soweit vorangeschritten, daß weiße Amerikaner außer der Rassenbezeichnung „Weiße“ kein Wort haben, mit der sie sich selbst benennen könnten.

Das multikulturelle Konglomerat hat die Wörter „Amerika“ und „Amerikaner“ erfolgreich für sich okkupiert. „Amerikaner“, aber auch „Brite“ (im Gegensatz zu „Engländer“), ist jeder, dem das zuständige Amt einen Paß nachgeworfen hat – und selbst diese Mindestvoraussetzung sieht sich als rassistisch in Frage gestellt.

Amerika is wunderbar

In Deutschland hingegen weigert sich ein großer Teil der Einwanderer, sich in die gebrochene Nationalerzählung zu integrieren und macht keinerlei Anstalten diese für sich zu beanspruchen. Darin liegt die unfreiwillige, aber bitterböse Komik dieser Rollenvergabe. Eine Pointe sticht nicht mehr, wenn man sie erklärt. Trotzdem versuche ich deutlich zu machen, warum ich das so lustig finde:

Hier kam ein deutscher Künstler, entweder von Rammstein oder aus Rembergs Truppe, auf die Idee, diese progressive Masche von der anderen Seite des Teichs zu kopieren und dabei hat er direkt in den latenten Rassenkrieg der Vereinigten Staaten gegriffen.

Obendrauf: Keiner der Beteiligten dürfte das bemerkt haben, aber für das Video eröffnet sich damit eine weitere Deutung. Die anhaltende Präsenz oder gar Rückkehr der traumatischen deutschen Vergangenheit, aber nicht in eigener Deutung, sondern in Abhängigkeit von den Vorgängen beim großen Bruder auf der anderen Seite des Atlantiks, selbst dort, wo sie an unseren eigenen Problemen vorbeigehen.

Und diese Deutung träfe die heutige deutsche Krise von Identität und Einwanderung in ihrem Kern.

We‘re all living in Amerika
Amerika is wunderbar.

Hier geht es zu dem Video.

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