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Römisches Tagebuch: Das Schicksal der Marò-Soldaten

maro italien indienRom im März. Es regnet in Strömen. An der Piazza Colonna drängen sich die Regenschirme vor der prächtigen Galerie Alberto Sordi. Auf der anderen Straßenseite liegt der Palazzo Chigi, der italienische Regierungssitz – direkt gegenüber einer ehemaligen Irrenanstalt. Dazwischen befindet sich das Gebäude der Tageszeitung Il Tempo.

An den oberen Fenstern flattert ein großes Banner im Wind, leicht verdreht, aber dennoch eindeutig und unübersehbar. „RIPORTIAMO A CASA I MARÒ!“ – „Holen wir die Marò nach Hause!“ So schallt es leise in Richtung des Regierungspalasts. Jeden Tag und rund um die Uhr. Die Marò, das sind Salvatore Girone und Massimiliano Latorre, italienische Marineinfanteriesoldaten des 1. Regiments „San Marco“ – genannt „i Marò“.

Italien liefert seine Soldaten aus

Vor fast genau drei Jahren nun, im Februar 2012, erschossen die beiden Männer auf hoher See versehentlich zwei indische Staatsbürger. Die beiden Soldaten, Teil einer Anti-Piraterie Mission, hielten die Fischerleute irrtümlich für angreifende Piraten. Von den indischen Behörden festgenommen, kehrten sie 2013 zeitweise nach Italien zurück. Man gewährte ihnen seitens der indischen Seite einen einmonatigen Hafturlaub – aus dem sie zunächst nicht zurückkehrten. Daraufhin erhöhte die indische Regierung den diplomatischen Druck auf Italien. Das Ergebnis: Die italienische Regierung lieferte die Soldaten aus, woraufhin der damalige Außenminister das Handtuch warf. Sie sitzen nun seit knapp drei Jahren in indischer Haft. Ohne Anklage und zwischenzeitlich mit der drohenden Todesstrafe konfrontiert, deren Nicht-Anwendung die indische Regierung mittlerweile jedoch garantiert hat.

An mehreren Orten der italienischen Hauptstadt prangen ihre Namen, findet man Bilder und Banner auf denen gefordert wird, die Männer endlich heimzuholen. Auch auf der Demonstration der Lega Nord Anfang März in Rom wurde die Regierung auf das Schärfste attackiert, die Männer verraten zu haben. Aus Tausenden Kehlen schallte es: „Ich stehe mit den Marò!“, als sich das Fahnenmeer der CasaPoundisti hinunter zur Piazza del Popolo bewegte, Gigantografien zeigten die Bilder der beiden Soldaten.

Kein Verständnis bei den einfachen Italienern

Spricht man die Menschen auf der Straße oder im Bekanntenkreis darauf an, ist die Reaktion stets die Gleiche. Wut, Fassungslosigkeit und auch Scham. „Una vergogna!“, „Eine Schande!“, erbost sich ein älterer Herr in einer der vielen Espresso-Bars, in denen ebenfalls ein Bild der beiden Soldaten hängt. Andere, nach den Marò befragt, schütteln betroffen den Kopf, nehmen die Hände vor den Mund oder zeigen die typische italienische Handbewegung, die simpel ausdrückt: „Ja, was ist mit denen? Was tut man denen an?“. Umso jünger derjenige, den man fragt, desto drastischer wird die Aussage, was man von den italienischen Behörden und Regierungsvertretern hält. Nur rhetorisch stellt man mir die Frage, ob ich denn nicht wüsste, was man „normalerweise“ mit Politikern macht, die so mit ihren Soldaten umgehen. Einer Antwort bedarf es nicht. Ich kann sie in den Augen der drei römischen Studenten ablesen, mit denen ich am späten Dienstagabend vor einer Bar im beliebten Ausgehviertel Trastevere stehe. „Ma dai, lass uns besser nicht darüber reden. Nicht heute!“, sagt der eine, und ich nicke.

Mehr zu sagen gab es auch nicht und es entfaltet eine fast merkwürdig eindringliche Wirkung, wie emotional die Reaktion der Italiener, mit denen ich über das Schicksal der beiden Soldaten gesprochen habe, ausfiel. Zumal im Vergleich mit der bundesbürgerlichen Distanz zu den Schicksalen der Bundeswehrsoldaten, die nicht selten noch durch die offene Verachtung der bundesdeutschen Funktionseliten überboten wird.

Die beiden Männer sehen weiterhin einer ungewissen Zukunft entgegen – in Indien. Was die italienische Regierung denn derzeit unternehmen würde, um die Soldaten nach Hause zu holen, frage ich einen Bekannten, einen studierten Familienvater Anfang 40. „Questi ratti. Una cazzatta! Una cazzata…!“ „Diese Ratten. Einen Scheißdreck! Einen Scheißdreck…!“ Kopfschütteln. Schweigen.

Bild: Salvatore Girone und Massimiliano Latorre 2012 beim damaligen italienischen Staatspräsident Italiens, Giorgio Napolitano, vor der Auslieferung nach Indien. Heute interessieren sich die etablierten Politiker des Landes nicht mehr für die beiden Soldaten. Wikimedia Commons / Presidenza della Repubblica / Gemeinfrei

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